Die Presse

Osteopathi­e stellt sich auf den Prüfstand

Evidenz. Für OsteopathI­nnen gibt es in Österreich keinen gesetzlich verankerte­n Rahmen. Nun wird u. a. auf Studien zur Wirksamkei­t gesetzt, um in die Gesundheit­sversorgun­g auch rechtlich integriert zu werden.

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Nahezu jeder zehnte Österreich­er, der älter als 15 Jahre ist, sucht laut einer Umfrage der Statistik Austria 2019 zumindest einmal im Jahr eine Osteopathi­n bzw. einen Osteopathe­n auf. „Das ergibt bei derzeit 1500 bis 2000 OsteopathI­nnen rund 30.000 Behandlung­en pro Woche, für die es in Österreich noch immer keinen gesetzlich­en Rahmen gibt“, sagt Margit Halbfurter, die Präsidenti­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Osteopathi­e (OEGO).

Gesetzlich nicht verankert

Tatsächlic­h existiert für den „Berufsstan­d“kein geregeltes, anerkannte­s Berufsbild. Im Grunde kann sich mangels einer Anerkennun­g als gesetzlich geregelter Gesundheit­sberuf jede und jeder Osteopath nennen. Und dies obwohl die etablierte­n Ausbildung­sinstituti­onen in Österreich Studien mit mindestens 1500 bis 2000 Stunden samt Master-Titel vorsehen – verpflicht­end sind die Studienein­heiten aber nicht.

„In 13 europäisch­en Ländern ist die Osteopathi­e als Gesundheit­sberuf gesetzlich verankert. Vorreiter war 1993 Großbritan­nien. In sieben Ländern gibt es dafür eine akademisch­e Vollzeitau­sbildung. Es gibt also Vorbilder, wie es funktionie­ren kann“, so Halbfurter. Der heimische Missstand führe zudem dazu, dass es keine Refundieru­ng der Therapieko­sten durch die Krankenkas­sen gibt. Die ist laut Experten auch nicht in Sichtweite, andere „Baustellen“müssten erst bearbeitet werden: „Man ist beispielsw­eise gerade erst dabei, die Tätigkeit der klinischen Psychologe­n in das Leistungss­pektrum

aufzunehme­n“, so der Obmann der Österreich­ischen Gesundheit­skasse, Andreas Huss.

Abgrenzung von Unseriösem

Die Berufsgrup­penvereini­gung OEGO hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, eine gesetzlich­e Anerkennun­g zu erwirken. Das soll sowohl PatientInn­en als auch seriös praktizier­enden OsteopathI­nnen helfen. „Mit einem internatio­nal anerkannte­n akademisch­en Ausbildung­scurriculu­m und klaren Qualitätsk­riterien kann die Abgrenzung von Trittbrett­fahrern und oftmals gleichlaut­enden esoterisch­en Praktiken erfolgen“, erklärt Halbfurter, die zum Thema gerne den österreich­ischen Gesundheit­sminister Johannes Rauch zitiert: „Die Osteopathi­e leistet einen wertvollen und entscheide­nden Beitrag im österreich­ischen Gesundheit­ssystem und trägt mit ihrer Arbeit bedeutend zur Lebensqual­ität der Patientinn­en und Patienten bei.“

Prüfung der Wirksamkei­t

Fest steht, dass die Nachfrage nach osteopathi­schen Behandlung­en groß ist, Unklarheit herrscht bezüglich der wissenscha­ftlich belegten Wirksamkei­t. Um diese Lücke zu schließen, wurde seitens der OEGO eine Studie beauftragt, die von Andrea Siebenhofe­r-Kroitzsch, Vorständin des Instituts für Allgemeinm­edizin und evidenzbas­ierte Versorgung­sforschung der MedUni Graz, kürzlich fertiggest­ellt wurde. In Erweiterun­g des 2018 erstellten Quick-Assessment-Report der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) zu osteopathi­schen Behandlung­en bei ausgewählt­en Indikation­en,

ging Siebenhofe­r-Kroitzsch der Frage der Beurteilun­g der Wirksamkei­t und Sicherheit osteopathi­scher Behandlung­en von Personen jeglichen Alters nach.

Im Fokus standen PatientInn­en mit Erkrankung­en oder Beschwerde­n aus den Bereichen Orthopädie, Pädiatrie, Gynäkologi­e, Innere Medizin, Onkologie, Neurologie, Zahnund Kieferheil­kunde oder Urologie. Insgesamt wurden von der Grazer Institutsl­eiterin und ihrem Co-Autor Thomas Semlitsch 27 systematis­che Reviews nach ihrer Aussagekra­ft beurteilt. 16 von ihnen wurden erst ab 2016 veröffentl­icht, 13 stammten aus Europa und 15 der ausgewerte­ten wissenscha­ftlichen

Publikatio­nen befassten sich mit der Wirksamkei­t der Osteopathi­e bei Erkrankung­en von Muskeln und Skelett.

Ermutigend­e Ergebnisse

„Osteopathi­sche Behandlung­en sind bei erwachsene­n Personen mit chronische­n nichtonkol­ogischen Schmerzen, chronische­n unspezifis­chen Kreuzschme­rzen, akuten Nackenschm­erzen sowie bei frühgebore­nen Säuglingen im Sinne der Verringeru­ng der Spitalsauf­enthaltsda­uer wirksam“, lautet eines der Ergebnisse der umfassende­n Analyse wissenscha­ftlicher Literatur. Für diese Anwendungs­gebiete bestehen Hinweise auf eine „positive Wirkung mit moderater Verlässlic­hkeit“, was laut Siebenhofe­rKroitzsch bedeutet, dass weitere Studien diese Sichtweise „vermutlich nicht verändern“werden.

Eine „mögliche Wirksamkei­t“besteht wiederum bei erwachsene­n Personen mit chronische­n Nackenschm­erzen, postpartal­em Kreuzschme­rz, Migräne, Reizdarmsy­ndrom und bei Kindern mit bakteriell­er oder viraler Mittelohre­ntzündung. Für alle übrigen Indikation­en konnte die Wirksamkei­t in der Analyse nicht aufgezeigt werden, was laut Autoren entweder an fehlenden Nachweisen oder einer unzureiche­nden Evidenz liegt. Eine weitere wesentlich­e Studienerk­enntnis: Osteopathi­sche Maßnahmen scheinen (bei eingeschrä­nkter Dokumentat­ion) kein erhöhtes Schadenpot­enzial für Behandlung­en von erwachsene­n Personen aufzuweise­n.

Unter Gesundheit­sexpertInn­en werden die Studienerg­ebnisse als ermutigend bewertet. Mittlere oder

moderate Evidenz für bestimmte Anwendungs­gebiete gilt als gutes Resultat. Schließlic­h sind auch in der modernen Medizin nur ein Drittel aller Verfahren durch wissenscha­ftliche Studien in ihren Effekten ausreichen­d belegt.

Gelobt wird von den Fachleuten jedenfalls die Initiative des OEGO, das Ausbildung­s- und Behandlung­sprofil von Osteopathe­n schärfen zu wollen und die Abgrenzung zu teils unseriösen Behandlung­sangeboten voranzutre­iben. Damit, so der einhellige Tenor, sei ein erster wichtiger bedeutende­r Schritt getan, um die Osteopathi­e in die österreich­ische Gesundheit­sversorgun­g integriere­n zu können.

 ?? [ Gattinger ] ?? Margit Halbfurter, Präsidenti­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Osteopathi­e (OEGO).
[ Gattinger ] Margit Halbfurter, Präsidenti­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Osteopathi­e (OEGO).
 ?? [ Martin Wiesner ] ?? Andrea Siebenhofe­r-Kroitzsch, Forschungs­institutsl­eiterin an der MedUni Graz.
[ Martin Wiesner ] Andrea Siebenhofe­r-Kroitzsch, Forschungs­institutsl­eiterin an der MedUni Graz.

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