Gesunde Gelenke: Von Anfang an, ein Leben lang
Arthrose-Prävention. Was kann man tun, um die Volkskrankheit Arthrose bestmöglich zu verhindern bzw. zu verzögern? Was braucht es, um beim Thema Vorbeugung in die Wirkung zu kommen? Eine ExpertInnendiskussion über den Stellenwert von Bewusstsein, Motivati
Verschleißen die Gelenke, sprechen Mediziner von Arthrose. Die Knorpelsubstanz, die den Gelenken ein reibungsloses Arbeiten ermöglicht, zerfasert und baut sich ab. Bei manchen früher, bei anderen später. Irgendwann machen sich Beschwerden bemerkbar, bei Belastung oder im Ruhezustand. Die Gelenke können verdicken und versteifen, die Beweglichkeit verringert sich. Am häufigsten tritt Arthrose an Knien und Hüften auf, eine Erkrankung ist jedoch an jedem Gelenk möglich, seien es Schulter-, Finger-, Zehen- oder Sprung-Gelenke. Wenn sich das Gelenk infolge der Arthrose entzündet, ist von Arthrose-Arthritis oder aktivierter Arthrose die Rede.
Bald jeder Dritte
„Einer von vier Erwachsenen im Alter von 40 Jahren und älter ist betroffen. Angesichts der alternden Bevölkerung und des zunehmenden Übergewichts wird prognostiziert, dass bis 2032 jeder dritte Erwachsene darunter leiden wird“, sagt Stefan Nehrer, Facharzt für Orthopädie und Leiter des Regenerativen Zentrums an der Donau-Universität Krems.
Das Leiden der Betroffenen besteht in Schmerzen, Funktionseinschränkungen und einer insgesamt verminderten Lebensqualität. 25 Prozent können keine normalen Aktivitäten mehr ausüben, 80 Prozent sind in ihrer Bewegung eingeschränkt. Arthrose erhöht zudem das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Bluthochdruck. Die chronische Erkrankung mit dem komplexen Krankheitsbild ist nach Diabetes und Demenz die Erkrankung, die am dritthäufigsten mit Behinderungen einhergeht. Dass 50 Prozent aller Menschen mit Arthrose im erwerbsfähigen Alter sind, zeigt auch den wirtschaftlichen Faktor auf, der abseits der persönlichen Ebene zusätzlich zum Tragen kommt. „Das Heimtückische an der Erkrankung ist, dass eine echt etablierte Arthrose nicht heilbar und die Rückkehr zum gesunden Normalzustand somit nicht mehr möglich ist“, betont Nehrer. Eine Behandlung kann zwar die Schmerzen lindern, aber es existieren keine zugelassenen Medikamente, die Arthrose verhindern oder das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen. Eine Operation kann das natürliche Gelenk ersetzen, aber nicht wiederherstellen.
Wie Zähne putzen
„Wenn die Symptome mal da sind, ist es eigentlich schon zu spät. Umso größer ist die Bedeutung der Prävention“, so Nehrer. Vorbeugende Maßnahmen bestehen vor allem in einer Veränderung des Lebensstiles hinsichtlich Ernährung, Sport- und Belastungsgewohnheiten sowie Körpergewicht. Letzteres steht nachweislich in engem Zusammenhang mit der Krankheit, die mit zunehmenden Alter immer häufiger auftritt. „Wir haben gelernt Zähne zu putzen, um Karies zu vermeiden. Wir haben leider nicht gelernt, Gelenke zu bewegen, um Arthrose zu verhindern“, spricht der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention auf den Umstand der mangelnden Erziehung zur individuellen Gesundheitskompetenz an.
Studienzahlen der Internationalen Forschungsgesellschaft für Osteoarthritis, OARSI, bestätigen, dass empfohlene Behandlungen kaum genutzt werden. Während klinische Leitlinien Aufklärung, Bewegung und Gewichtsabnahme empfehlen, werden diese Maßnahmen in der primären Gesundheitsversorgung nur wenig eingesetzt. Die Bedeutung der Gesundheitskompetenz unterstreicht auch Margit Halbfurter, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Osteopathie – und verweist beispielhaft auf die Praevenire Summer School: „Die Idee, SchülerInnen ein anwendbares Basiswissen mit wissenschaftlicher Evidenz zu Gesundheitsthemen zu vermitteln, hat voll eingeschlagen. Ich habe selten so begeisterte junge Leute gesehen wie in der Summer School.“
Leider, so Nehrer zur Therapiesituation, dominieren seit nahezu 50 Jahren Konzepte mit Kortison und Medikamenten, die schmerzlindernd, entzündungshemmend und fiebersenkend wirken (Nicht steroidale Antirheumatika, NSAR). Nur 29 Prozent der Betroffenen werden laut OARSI-Studie aufgefordert, Übungen zu machen oder zu einem Physiotherapeuten zu gehen, nur rund jedem Zweiten wird mitgeteilt, dass eine Gewichtsabnahme helfen könnte. Dazu kommt, dass die Häufigkeit des Einsatzes von Gelenkersatzoperationen – insbesondere in Österreich, Deutschland und der Schweiz – unangemessen hoch ist. Dabei verspüren 36 Prozent nach einer Operation keine Besserung.
Die Conclusio von Präventionsexperten Nehrer: „Wir müssen die Vorbeugung, die Behandlung und die Politik für Arthrose verbessern. Wir brauchen Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens zur Vorbeugung, präventive Maßnahmen gegen Überlastung und Verletzung und einen gerechten, durchlässigen Zugang zu kosteneffizienten Maßnahmen.“
Mobilität und Ernährung
„Wir können gar nicht so viele Gelenke bauen, wie wir in den nächsten Jahren brauchen. Wir müssen unbedingt verstärkt auf die Prävention setzen, denn die ist in der Orthopädie leider noch ein Stiefkind“, sagt dazu Andreas Stippler, Facharzt für Orthopädie und Leiter des David Gesundheitszentrums und Ärztekompetenzzentrums am Universitätsstandort Krems. Der Gründer des Langzeitprogramms „Bewegte Klasse“, das seit mehr als 20 Jahren das Konzept der Bewegungsförderung von Schülern verfolgt, plädiert dafür, dass die Vertreter der Orthopädie vermehrt und lauter auftreten, wenn es darum geht, bereits Jugendlichen die Bedeutung von Gangbild, Haltung und gesunder Bewegung näherzubringen. Was für die Jugend gilt, ist aber auch im Alter von größter Wichtigkeit. Je länger alternde
Personen in Bewegung sind, umso länger kann eine gute Lebensqualität gewährleistet werden. „Unsere Aufgabe ist es, die Menschen mobil zu halten. Bewegung ist Lebensfreude und Gesundheit“, so Stipplers Appell.
Bedeutung hat laut Experten wie Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Institutes für Ernährungsmedizin, natürlich auch die Ernährung. Wer entzündungshemmend essen will, sollte vor allem viel Gemüse und gesunde Pflanzenöle auf den Speiseplan setzen. Eher einzuschränken ist der Zucker- und Fleischkonsum. Insbesondere rotes Fleisch und Wurst enthalten viele entzündungsfördernde Stoffe. Wer seinen Gelenkknorpeln Gutes tun möchte, sollte zudem auf eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen achten.
Wundermittel Motivation
„Dem Knorpel durch Bewegung eine Chance geben“, formuliert Monika Peer-Kratzer, Physiotherapeutin und Tiroler Landesverbandsvorsitzende von Physio Austria, den vorbeugenden Gedanken: „Schon kleinste Bewegungsimpulse sind besser als nichts. Man muss kein Spitzensportler sein. Wenn man sich bewusst macht, dass sieben Prozent aller Todesursachen auf Inaktivität basieren, sollte das eigentlich Motivation genug sein, einen aktiven, bewegten Alltag zu führen.“Die Motivation zu einer gesunden Lebensführung, die Krankheiten wie Arthrose verhindert, auf allen Ebenen und mit allen Mitteln zu stärken, ist ebenfalls der Ansatz von Andreas Hoyer, Vizepräsident des Österreichischen Apothekerverbands − „Wenn wir den Knorpel vom Zuschauer zum aktiven Part des Körpers verwandeln, ist schon viel gewonnen“− und Kurt Widhalm: „Es braucht gezielte Anreize auf Ernährungs- und Bewegungsebene. Und man muss sich vor der Bewegungsfreude eines Kindes nicht fürchten. Mir ist eine Fraktur eines Knochens lieber als die Fettleber
ExpertInnenrunde zum Thema Gelenkgesundheit (im Bild v.l.n.r.): Stefan Nehrer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention /
Margit Halbfurter, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Osteopathie / Andreas Stippler, Facharzt für Orthopädie und Leiter des David Gesundheitszentrums und Ärztekompetenzzentrums am Universitätsstandort Krems / Monika Peer-Kratzer, Physiotherapeutin und Tiroler Landesverbandsvorsitzende von Physio Austria / Gabriele
Jaksch, Präsidentin von MTDAustria, Dachverband der gehobenen medizinisch-technischen Dienste Österreichs / Michael
Koller, Sportwissenschaftler und Trainingstherapeut / Johannes Oberndorfer, Diskussionsleiter und Executive Consultant der PERI Group.
eines Jugendlichen, um es pointiert zu sagen.“
Maßnahmen erfordern vorab eine exakte Diagnose, fügt Widhalm an, und erntet Zustimmung von Sportwissenschaftler Michael Koller: „Mehr funktionelle und weniger strukturelle Untersuchungen würden helfen, um daraus die richtigen Trainingsmaßnahmen abzuleiten. Es fördert die Motivation, wenn wir die Menschen darin bestärken können, dass es genau richtig ist, was sie für ihre Gesundheit gerade tun.“Das Richtige zu tun, gilt übrigens nicht nur im Vorfeld, sondern auch für PatientInnen nach einer Operation, wie Ralf Rosenberger, Facharzt für Orthopädie und Traumatologie und Unfallchirurgie, betont: „Prävention endet nicht mit Einsetzen des Implantats. Sobald man ein neues Gelenk hat, beginnt schon wieder der Verschleiß. Alles, was wir besprechen über Arthrose gilt auch für den Zeitpunkt nach der Operation.“
Poetisch bringt Stefan Nehrer das Wundermittel Motivation auf den Punkt: „Wenn man jemanden lehren will, wie man ein Schiff baut, zeigt man ihm die Sehnsucht nach dem Meer. In Bezug auf Arthrose ist es unsere Aufgabe, die Menschen zu motivieren, dass sie nicht krank werden wollen, und ihnen zu zeigen, dass sie dafür etwas tun können.“Dem stimmt auch Heinrich Resch, Österreichische Gesellschaft für Knochen- und Mineralstoffwechsel, zu, der zudem die Hoffnung auf medizinische Fortschritte nicht aufgeben will: „Ich hoffe, dass wir so wie auf meinem Fachgebiet eines Tages einen Weg finden, dass sich Knorpel wieder regenerieren können. Bis dorthin muss aber alles getan werden, dass es zur Knorpeldegeneration gar nicht kommt.“
Bei Praevenire ist man jedenfalls zuversichtlich, gemeinsam mit den ExpertInnen und dank deren Vernetzung (die Initiative wird von Orthomol, einem Wegbereiter der orthomolekularen Ernährungsmedizin, unterstützt), Arthrose künftig besser in den Griff zu bekommen.