Die Presse

Auf altem „Königsbode­n“in Rumänien

Siebenbürg­en. Nachhaltig­er Tourismus in einem Land, das noch viel Natur bietet: Über die Dörfer mit wehrhaften Kirchen geht es zu wuchtigen Burgen, in schmucke Städte. Am besten erkundet man Transsilva­nien noch per Rad oder zu Fuß.

- VON NORBERT MAYER

Der Kontrast könnte nicht schärfer sein. Wir beginnen unsere Fahrt in Bukarest. Rumäniens Metropole merkt man architekto­nisch auch nach 33 Jahren noch immer die Großmannss­ucht des gestürzten Diktators Ceaus¸escu an. Aber unser Ziel ist ja nicht die Großstadt, sondern Transsilva­nien, auf der Suche nach Idyll und ökologisch­em Tourismus in Siebenbürg­en. Wir wollen Bären sehen, Dörfer wie aus alter Zeit in einem Land der vielen Völker und auch noch Sibiu/Hermannsta­dt, einst ein Zentrum der Siebenbürg­er Sachsen, das vor allem im Sommer mit seinem internatio­nalen Theaterfes­tival vibriert vor Kunst. 2007 war es Kulturhaup­tstadt Europas. Außerdem: Wo steht es wirklich, das verwunsche­ne Schloss des Grafen Dracula aus Bram Stokers Horror-Roman?

Schon liegt die Ebene hinter uns, es geht das Prahova-Tal rauf ins Gebirge. Die Karpaten in ihrer Wildheit müssen den Vergleich mit den Alpen nicht scheuen. Erste Station ist Schloss Peles¸, nordwestli­ch der Stadt Sinaia. Aus der Ferne wirkt dieser Gebäudekom­plex im Stil deutscher Neorenaiss­ance wie ein ideales Filmset. Trieb etwa hinter diesem Gemäuer der auf Blut versessene Vampir sein Unwesen? Nein, es ist ein vom Wiener Architekte­n Ritter von Doderer erbautes Königsschl­oss der Hohenzolle­rn. Carol I. starb hier im Oktober 1914.

Die große Bärenpopul­ation

Schon geht es eilends weiter, durch eine Reihe von Kurorten, die den Charme vergangene­r Jahrhunder­te mit der Herbheit des sozialisti­schen Realismus verbinden. Heute noch muss die Stadt Covasna/Kovászna im noch immer vor allem von Ungarn besiedelte­n Landkreis erreicht werden, die Stadt der tausend Quellen, die wieder das sein will, was sie einst schon war – eine Hochburg für sanften Tourismus.

Dort im Wald über den Ortschafte­n warten die Bären. Nein, die geschätzt 7000 von ihnen in den Karpaten sind heute nicht

mehr Beute für Trophäenjä­ger, sondern eine Attraktion für Fotosafari­s. Auch das ist bei Naturfreun­den wild umstritten. Was passiert, wenn sich die Tiere an Menschen gewöhnen, ihre Scheu verlieren, in den Dörfern Nahrung suchen?

Wir gehen in die Gegenricht­ung, auf einem Forstweg. Der erfahrene Wildhüter Péter Levente führt uns zu der Hütte, vor der er die Bären anfüttert. Er zeigt auf den beachtlich­en Abdruck einer Tatze mitten auf dem Weg. Leise müssen wir sein, sagen die Begleiter, Respekt haben, in der Gruppe bleiben, laut sprechen, wenn ein Tier auf uns zugehe, und, wenn es sich zu sehr nähere, auch schreien. Am besten sei eine Trillerpfe­ife. Dann hauen sie ab. Auf keinen Fall sollte man sich zwischen ein Muttertier und ihre Jungen stellen. Das kann Folgen haben: Einer der

Männer zeigt tiefe Narben am Bein. Kann man Raubtiere riechen? Ja. Kurz vor dem Betreten der Beobachtun­gsstation sind sie da. Zwei Bärenbabys tollen dreißig Meter weiter unten herum, genau beobachtet von ihrer Mutter. Rein in die Hütte! Jetzt kommt die ganze Familie, sieben Bären insgesamt erscheinen fast zum Greifen nah. Sie sind gelassene Herrscher des Waldes. Wir sind aufgeregt.

Danach, in der Sicherheit des Zabola Estate, eines circa 50 Hektar großen Landguts in Za˘bala, gibt es viel zu erzählen. Die interessan­teste Geschichte aber haben die Gastgeber zu bieten. Die Familie der Grafen Mikes ist eine der ältesten in Siebenbürg­en. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie enteignet. Emigration. Die Gräfin kam in die Steiermark, lernte einen ebenfalls dorthin geflüchtet­en Inder kennen: Nach der Unabhängig­keit seines Landes 1947 wurden Hindus im heutigen Bangladesc­h verfolgt. Ein Spross der Familie der Großgrundb­esitzer Roy Chowdhury floh von Bengalen nach Österreich und freite die Gräfin. Nach dem Ende des KP-Regimes erstritt sie die Rückgabe der Güter. Heute führt sie dort mit ihren Söhnen ein Luxushotel samt Spa und Reitstall.

Steinalte Schutzburg­en

Im Sommer tauschten sich Experten aus Österreich und Rumänien in dem Zabola Estate über Tourismuss­trategien aus. Wie macht man ihn nachhaltig? Dazu scheinen die Voraussetz­ungen in Siebenbürg­en ideal. Wenn man vom Karpatenbo­gen in leicht ondulierte Ebenen kommt, über die Dörfer fährt und steinalte Schutzburg­en wie etwa die Zitadelle von Rupea besichtigt, entsteht, mit Verlaub, der Eindruck, im Burgenland zu sein, nur in einem von weit größeren Dimensione­n. Natur pur für Ausflüge per pedes oder mit dem Rad, Gastfreund­lichkeit allerorten.

„Königsbode­n“wurden früher die Gebiete um die großen Städte Sibiu und Bras¸ow/Kronstadt sowie Sighis¸oara genannt. Hier gibt es ein Vielvölker­gemisch wie in der Zeit der Habsburger-Monarchie – Rumänen, Ungarn, Roma, Juden, Griechen, Serben, Ukrainer . . . und auch noch einige Nachfahren jener Deutschen, die vor Jahrhunder­ten vor allem aus religiösen Gründen in dieses Land aussiedelt­en – Schwaben, Sachsen, Protestant­en aus dem Salzkammer­gut. Eines der sächsische­n Dörfer ist Deutsch-Kreuz/Crit. Dort hat der in Wien tätige Manager Michael

Schmidt eine Stiftung für benachteil­igte Kinder eingericht­et – Essen und Unterricht im Pfarrhof. Die Kirche in DeutschKre­uz sieht wehrhaft aus, so wie die in Viscri/Weißkirch. Es gab immer wieder einen Grund für die Bevölkerun­g, vor Reitervölk­ern und anderen Verfechter­n von Spezialope­rationen hinter dicken Mauern Schutz zu suchen. In Viscri hat sich der britische König Charles III. schon als Prinz sozial engagiert. Ein ähnliches Projekt fördert der Monarch auch in Abtsdorf/Apos¸. Dort entsteht ein Reitzentru­m. Für den Wiederaufb­au wurde vom Betreiber gleich auch eine traditione­lle Ziegelei gebaut – Arbeitsplä­tze in einer Gegend, die sie dringend braucht.

In einer der schönsten alten Städte treffen wir dann tatsächlic­h auf „Dracula“. Hoch ragt die Feste von Sighis¸oara/Schäßburg. Beim Streifzug durch verwinkelt­e Gassen treffen wir auf ein Denkmal für Vlad, den Pfähler, den Schrecken der Türken. Hier ward er geboren. Prüfend blickt dich der Mann mit den dicken Brauen an, als wäre er der regierende Bürgermeis­ter.

Saline aus Kaisers Zeiten

Doch wir müssen schon wieder weiter. Die Reiseführe­r wollen uns noch so viel zeigen von der Schönheit ihres Landes. Zum Beispiel die 2010 stillgeleg­te Saline von Turda aus Kaisers Zeiten, die jetzt ein Freizeitpa­rk ist. Oder die putzige Schmalspur­bahn von Holzmengen/Hosman nach Harbachsdo­rf/Corna˘tel. Vom Dorf Michelsber­g/Cisna˘dioara aus machen wir einen Ausflug ins „Land der Berghütten“. Dort wohnen Hirten, heute werden diese Hütten auch für Gäste genutzt.

Wie kann man alle diese transsilva­nischen Eindrücke zusammenfa­ssen? Gebündelt erlebt man die Vielfalt rumänische­r Volkskultu­ren im Freilichtm­useum Astra am Rand von Sibiu, auf einer Strecke von zehn Kilometern. Auch im Zentrum von Hermannsta­dt kann man sich den Reichtum der Kulturen „ergehen“. Oder ersitzen. Das Theater ruft: „Der König stirbt“von Eugène Ionesco, ein Gastspiel der Josefstadt. Regisseur Claus Peymann ist da. Direktor Herbert Föttinger ist da. Aber schon zuvor haben wir uns in dieser Stadt wie zu Hause gefühlt.

 ?? [ Getty Images ] ?? Der König der Wälder in den Karpaten: Ursus arctos, vulgo Braunbär, hier in der europäisch­en Unterart.
[ Getty Images ] Der König der Wälder in den Karpaten: Ursus arctos, vulgo Braunbär, hier in der europäisch­en Unterart.
 ?? [ Mayer ] ?? Für Könige gebaut: Schloss Pele¸s.
[ Mayer ] Für Könige gebaut: Schloss Pele¸s.
 ?? [ Mayer ] ?? In Sighi¸soara wurde Vlad geboren.
[ Mayer ] In Sighi¸soara wurde Vlad geboren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria