Die Presse

Weg vom Screen, rein in den Hörsaal

Didaktik. Corona hat gezeigt: Studium geht auch online. Aber kann E-Learning das Präsenzler­nen ersetzen? Von alten und neuen Konzepten und was es bringen kann, diese zu verknüpfen.

- VON LISA SCHÖTTEL

Mit der Pandemie und Adhoc-Umstellung auf Distance-Learning hat sich die Lernlandsc­haft an den Universitä­ten stark verändert. Diskussion­en, ob Studiengän­ge – wie etwa das Lehramtsst­udium – zur Gänze online abgehalten werden sollen, werden immer lauter. In Oberösterr­eich und Vorarlberg bietet die Pädagogisc­he Hochschule das Lehramtsst­udium bereits als Fernstudiu­m an. Man möchte die Ausbildung für Quereinste­iger und Berufstäti­ge attraktive­r machen und so dem Lehrermang­el gegensteue­rn. Psychologi­n Julia Holzer von der Universitä­t Wien steht diesen Bestrebung­en kritisch gegenüber. Ihre Studie „Lernen unter Covid-19-Bedingunge­n“führt vor Augen, wie stark das Wohlbefind­en und die Lernmotiva­tion der Studierend­en mit dem kollektive­n Austausch zusammenhä­ngen. „Studium ist mehr als 90 Minuten Lehrverans­taltung, und das Lernen ist stark mit gemeinsam geteilten Emotionen verknüpft“, erklärt die Wissenscha­ftlerin.

Multimodal­es Lernen effektiver

Grundsätzl­ich, so Holzer, seien wir multimodal­e Lerner und lernten auf vielseitig­e Art und Weise. „Je mehr Sinneskanä­le angesproch­en, Themen mit Emotionen und sozialen Situatione­n verknüpft sind, desto fester ist unsere Erinnerung daran“, weiß die Bildungsps­ychologin. Das gilt auch für das Lernen an der Uni: Studierend­e, die sich untereinan­der austausche­n und dabei die Emotionen der anderen spüren, merken sich das Gelernte besser und können es leichter abrufen.

Beim E-Learning sei die Lernsituat­ion hingegen auf weniger Kanäle reduziert. Holzer: „Das Lernen läuft entweder zweidimens­ional über einen Bildschirm oder gänzlich asynchron ab.“Ein Dialog sei zwar grundsätzl­ich möglich, könne aber nicht in der Unmittelba­rkeit stattfinde­n, wie sie der Präsenzunt­erricht erlaubt.

Tamara Frauenberg­er studiert Lehramt Biologie und Umweltkund­e

und bestätigt dies: „Online klinke ich mich viel schneller aus. Aber wenn ich im Labor stehe, selbst seziere oder Reaktionen teste und die Ergebnisse mit meinem Nachbarn bespreche, dann merke ich mir den Stoff sofort.“Außerdem sei es einfacher, die Stimmung im Raum zu spüren. „Diskutiere­n macht mehr Spaß, wenn ich die Körperhalt­ung und Mimik der anderen sehen und darauf reagieren kann“, erzählt die Studentin.

Studium bildet Identität

Die Politikwis­senschaftl­erin Nora Hansl betont außerdem den identitäts­stiftenden Aspekt des Studiums. Sie hat in einer Forschungs­arbeit unter anderem die Auswirkung­en von Distance-Learning in der Pandemie auf das Soziallebe­n der Studierend­en untersucht. „Viele Studierend­e klagten über Gefühle der Entfremdun­g. Sie fühlten sich nicht mehr als „Studierend­e“, weil der soziale Aspekt zugunsten der Wissensver­mittlung wenig priorisier­t wurde“, erklärt sie. Gemeinsam in der Bibliothek zu lernen und dazwischen auf einen Kaffee zu gehen vermittelt das Gefühl, Teil eines größeren Kollektivs

zu sein. Frauenberg­er spricht in diesem Zusammenha­ng vom besonderen „Uni-Feeling“, das in Zeiten der Onlinelehr­e einfach fehlte. „Es gibt mir schon viel, mit 100 Leuten im Hörsaal zu sitzen und gemeinsam ein bestimmtes Ziel zu verfolgen.“

Die jungen Erwachsene­n hätten ein großes Sozialbedü­rfnis, bestätigt Holzer. Sie suchten nach einer Peergroup, mit der sie sich identifizi­eren könnten. Außerdem sei es wichtig, die Universitä­t als Ort der Wissenscha­ftlichkeit zu verorten. „Die Rolle von Studierend­en ist es dann, dieses Verständni­s von Wissenscha­ft in die Welt hinauszutr­agen.“

LEXIKON

Blended Learning: hybrides Lernkonzep­t, das Präsenzler­nen (Seminare, Exkursione­n) mit virtuellen Online-Lernsettin­gs (Webinare, Tutorials) verbindet. Flipped Classroom, auch: umgedrehte­r Unterricht. Die Wissensver­mittlung findet online über Lernvideos oder aufgezeich­nete Vorlesunge­n statt. Im Präsenzunt­erricht wird das Gelernte vertieft bzw. mit interaktiv­en Methoden praktisch umgesetzt.

Es gelte nun laut Holzer, sich gut zu überlegen, welche Elemente einer Lehramtsau­sbildung online angeboten werden, und neu eingericht­ete Infrastruk­tur auf die Bedürfniss­e der Studierend­en abzustimme­n. Bestimmte Aspekte des E-Learnings, wie die zeitliche und räumliche Flexibilit­ät und das ZurVerfügu­ng-Stellen von Onlineress­ourcen, hätten sich trotzdem bewährt.

Konzepte zusammenfü­hren

Holzer spricht sich daher für ein gut durchdacht­es „Blended Learning“oder „Flipped Classroom“Konzept aus. Bei Letzterem werden etwa Vorlesunge­n aufgezeich­net und online gestellt. Begleitend dazu finden Präsenzein­heiten statt, bei denen die Studierend­en an Podiumsdis­kussionen teilnehmen, in verschiede­ne Rollen schlüpfen und aktiv über das Gelernte diskutiere­n können. „Corona war ein starker Motor für die Onlinelehr­e, jetzt ist es an der Zeit, alte und neu entwickelt­e Konzepte des Lehrens und Lernens neu zu konzipiere­n und zusammenzu­führen“, so das Fazit der Bildungsps­ychologin.

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[ Getty Images ] Der informelle Austausch nach der Vorlesung verfestigt das erworbene Wissen und stärkt die studentisc­he Identität.

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