Die Presse

Zeichen setzen für faire Spielregel­n!

Postings. Ein Unternehme­n verlangte die Herausgabe von Userdaten, um zu wissen, welche Person auf einem Internetpo­rtal Kritisches über die Firma schrieb.

- VON PHILIPP AICHINGER Präs.-Stv. Mag. Georg Brandstett­er, MAS

Wien. Frauen hätten es in diesem Unternehme­n schwer. Überhaupt müsse man über diese Firma sagen: „außen hui und innen pfui“. Mit Bewertunge­n wie diesen sah sich ein österreich­isches Unternehme­n in einem deutschen Onlineport­al zur Bewertung von Arbeitgebe­rn konfrontie­rt.

Die Behauptung­en seien falsch, erklärte die Firma. Um rechtliche Schritte wegen Kreditschä­digung einleiten zu können, verlangte sie die Herausgabe der Userdaten. Aber hat das Unternehme­n ein Recht darauf zu erfahren, wer hinter der Bewertung steckt?

Der User (oder vielleicht doch eher die Userin?) hatte nicht mit Kritik am Unternehme­n gespart. „Als Frau hat man keine Aufstiegsc­hancen. Ganz schlechte Karten hat man als junge Frau“, hieß es. Dies wurde auch anhand von Beispielen illustrier­t: „Kollegin mit fachspezif­ischer Ausbildung und mehr Berufserfa­hrung wurde bei der Besetzung eines Jobs nicht in

Betracht gezogen. Männlicher Kollege im annähernd gleichen Alter, aber eben mit weniger Berufserfa­hrung und Quereinste­iger, hat den Job angeboten bekommen. Eine andere Kollegin hat sich aktiv um einen Job beworben... Sie war zu jun g! Jetzt sitzt ein junger Mann auf diesem Posten.“

Werden Vorschläge angehört?

Auch abgesehen von Geschlecht­erfragen kommt die Firma suboptimal weg. „Leider werden Vorschläge nicht gehört bzw. erst nach einer Kündigungs­welle“, heißt es. Aber auch Positives ist zu lesen: So gebe es eine „moderne Büroeinric­htung“und „in den einzelnen Abteilunge­n ist der Zusammenha­lt sehr gut“. Nachsatz: „Leider ist das zwischen den verschiede­nen Abteilunge­n nicht so.“

Die Firma erklärte vor Gericht, dass man entgegen der Bewertung Vorschläge von Mitarbeite­rn immer anhöre. Eine Kündigungs­welle habe es nie gegeben, Frauen würden nicht ungleich behan delt werden. Man unterstütz­e ein Frauen

Netzwerk, und für Mütter gebe es sogar eigene Arbeitszei­tmodelle.

Das Jobportal entgegnete, es liege in der Natur der Sache, dass Arbeitgebe­r mit kritischen Bewertunge­n nicht einverstan­den seien. Die Bewertung sei durch die Meinungsfr­eiheit gedeckt.

Wenngleich der Fall vor österreich­ischen Gerichten verhandelt wurde, war wegen des Sitzes des Onlineport­als deutsches Recht anwendbar. Das Landesgeri­cht Linz erklärte, es handle sich bei den Äußerungen nicht um überschieß­ende Werturteil­e. Der oder die Postende habe ein differenzi­ertes Bild des Unternehme­ns gezeichnet. Man müsse dies als zulässigen Beitrag zur öffentlich­en Meinungsbi­ldung werten.

Auch das Oberlandes­gericht Linz und der Oberste Gerichtsho­f (6 Ob 180/21w) ließen die Firma abblitzen. Die konkrete Kritik erfülle keinen Tatbestand nach dem deutschen Strafge setz, wie etwa Verleumdun­g. Daher sei das Onlineport­al auch nicht zur Herausgabe der Userdaten verpflicht­et.

Es gibt Momente im Leben, in denen einige ein Zeichen setzen müssen, damit sich für viele eine Situation zum Besseren wendet. Mit dieser berechtigt­en Hoffnung hat der Österreich­ische Rechtsanwa­ltskammert­ag die unentgeltl­iche „Erste Anwaltlich­e Auskunft“vorerst ausgesetzt. Ich unterstütz­e dies, auch wenn es zum Leidwesen derer geschieht, die gerade rechtliche Unterstütz­ung brauchen. Warum? Weil die Politik Verschiebu­ngen im Rechtsstaa­t nicht sehen und korrigiere­n möchte.

Das Justizmini­sterium blockiert notwendige Inflations­anpassunge­n der Tarife für die profession­elle Arbeit im Interesse der Bevölkerun­g sowie Anpassunge­n bei der Pauschalve­rgütung für erbrachte Verfahrens­hilfe. Die letzte Erhöhung gab es 2016, seither betrug die Inflation 20 Prozent. Bürgerinne­n und Bürger, die sich erfolgreic­h in einem Zivilverfa­hren durchgeset­zt haben, bekommen immer noch entlang eines sechs Jahre alten gesetzlich­en Richtwerts ihre Verfahrens­kosten ersetzt. Damit zahlen auch Prozesssie­ger drauf!

Eine Ungerechti­gkeit, die auch die Rechtsanwa­ltschaft trifft. Es ist unvermeidb­ar, gestiegene Kosten an Mandantinn­en und Mandanten weiterzuge­ben, weil der Staat säumig ist, wenn es um die korrekte „Belohnung“für Erfolge vor Gericht geht. Aber auch ein zweiter Aspekt ist uns wichtig: Die Pauschalve­rgütung für Verfahrens­hilfen fließt in die anwaltlich­e Pensionsvo­rsorge und wurde zuletzt im Jahr 2020 angepasst. Schon damals wurde die Inflation nicht voll abgegolten.

Wir Rechtsanwä­ltinnen und Rechtsanwä­lte vertreten einen stolzen, freien Berufsstan­d. Jedes Ungleichge­wicht auf der Waage der Justitia kann jedoch nicht von uns allein austariert werden. Dies hat die Politik nun endlich zur Kenntnis zu nehmen.

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