China vor der Winterwelle
Corona. Nach der Abkehr von „Null Covid“rüsten sich die Menschen für einen massiven Anstieg der Infektionen. Spitäler an Kapazitätsgrenzen.
Peking. Bereits zur Mittagsstunde reicht die Warteschlange vor der Fieberklinik des Pekinger Chaoyang-Krankenhauses bis zur nächsten Straßenecke: Eingehüllt in Daunenjacken und FFP2-Masken warten dutzende Personen auf ihren Einlass. Und auch vor der gegenüberliegenden Apotheke hat sich eine beachtliche Menschentraube gebildet. Die meisten von ihnen werden jedoch enttäuscht den Heimweg antreten müssen: Sämtliche Selbsttests und fiebersenkenden Medikamente sind längst ausverkauft.
Erst vor wenigen Tagen hat die Volksrepublik China eine pandemische Kehrtwende vollzogen, die in kurzer Zeit die Spielregeln des Alltags auf den Kopf gestellt hat: Nach über zweieinhalb Jahren „Null Covid“versucht das Land nun, „mit dem Virus leben“zu lernen. In Peking haben sämtliche Geschäfte wieder geöffnet, die Lockdown-Zäune sind praktisch vollständig verschwunden.
Doch die neue Realität bedeutet auch: Hat der Staat zuvor mit Quarantänepflicht, Massentests und Absperrungen das Ansteckungsrisiko minimal klein gehalten, ist nun jeder Chinese maßgeblich selbst für seine eigene Gesundheit verantwortlich.
Die Staatsmedien publizieren derzeit zuhauf pädagogische Lehrvideos, wie sie im Rest der Welt vor zwei Jahren üblich waren: von Anleitungen für korrekte Selbsttests bis hin zum richtigen Verhalten im Falle einer
Infektion. Eine Lehre, die viele Pekinger noch nicht gezogen haben, liegt auf der Hand: Viel zu viele Personen marschieren bereits beim Anfangsverdacht einer CoronaErkrankung zum Krankenhaus, die nun vorschnell an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen.
Doch es zeichnet sich ab, dass sich Chinas erste landesweite Coronawelle seit Beginn der Pandemie rasanter anbahnt als zuvor befürchtet. Der ehemalige Vizedirektor des nationalen Gesundheitsamtes, Feng Zijian, geht davon aus, dass sich während der Winterwelle bis zu 60 Prozent der 1,4 Milliarden Chinesen anstecken könnten – und insgesamt gar bis zu 90 Prozent. Zum Vergleich: Laut den offiziellen Zahlen sind in China nur etwas mehr als 5000 Menschen an dem Virus gestorben, die meisten 2020.
Werden die Statistiken manipuliert?
Doch mittlerweile muten die Statistiken absurd an: Denn während sich Omikron ganz offensichtlich unkontrolliert verbreitet, sinken die Fälle seit Tagen stetig. Landesweit meldete die Gesundheitsbehörde am Donnerstag lediglich etwas über 21.000 Fälle.
Dass die behördlichen Statistiken nicht das Infektionsgeschehen abbilden, steht außer Frage: Aufgrund der aufgehobenen Testpflicht kurieren sich viele Chinesen im Stillen aus, ohne ihre Ansteckung zu melden. Und der Verdacht liegt nahe, dass die Zahlen manipuliert werden: Unzählige Pekinger, die sich in den letzten Tagen mehrfach getestet haben, haben ihre Resultate nicht erhalten.