Wien und Den Haag bremsen Bulgarien aus
Innenminister. Österreich und die Niederlande blockieren Bulgariens Schengenbeitritt und ziehen Rumänien mit.
Brüssel. Gegen 14.30 Uhr fielen am Donnerstag in Brüssel die Würfel: Kroatien darf am 1. Jänner dem Schengenraum beitreten, was grundsätzlich zur Abschaffung der Kontrollen an seiner Grenze zu den Schengenländern Slowenien und Ungarn führen wird. Doch Bulgarien und Rumänien erhielten beim Ratstreffen der EU-Innenminister eine Abfuhr, denn Österreich und die Niederlande legten gegen die Aufnahme Bulgariens ihr Veto ein. Die Niederlande wären zwar für einen rumänischen Beitritt zum Schengenraum offen, doch Bulgariens Regierung lehnt es ab, sein Beitrittsgesuch von jenem Rumäniens abgetrennt zu sehen.
„Wir sind sehr schwach“
„Meine Botschaft an die Bürger von Bulgarien und Rumänien: Sie verdienen es, volle Mitglieder von Schengen zu sein. Sie hatten starke Unterstützung von fast allen Mitgliedstaaten. Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich nicht enttäuscht bin“, sagte Ylva Johansson, die EU-Innenkommissarin, nach Ende des Treffens. „Es ist die Aufgabe der Kommission, optimistisch zu sein, und unser Ziel ist es, den Schengenbeitritt noch während dieses Mandats zu schaffen.“Dieses Mandat der Kommission läuft bis Mitte 2024, viel Zeit bleibt also nicht.
„Wenn wir nicht geeint sind, sind wir schwach. Und das macht mich traurig. Das ist ein Tag der Enttäuschung“, fügte sie hinzu. Rein rechtlich haben beide Staaten alle Bedingungen erfüllt, um dem Schengenraum beizutreten. Doch für die Entscheidung bedarf es die Einstimmigkeit der Vertreter der Mitgliedstaaten. Die Niederlande und Österreich waren bis zuletzt nicht davon zu überzeugen, dass Bulgarien dem Schengenraum beitreten sollte.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: In beiden Ländern steigt der innenpolitische Druck angesichts der enorm wachsenden Zahl von Asylwerbern, die seit Monaten vor allem über die Balkanroute kommen und eigentlich schon in den Schengenstaaten Griechenland oder Ungarn beziehungsweise den Schengenbewerbern Bulgarien und Rumänien registriert werden müssten, was jedoch nicht geschieht. Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betont seit Tagen, dass er in diesem Phänomen ein Zeichen für das grundsätzliche Versagen des Schengensystems sehe. „Es ist falsch, dass ein System, das an vielen Stellen nicht funktioniert, auch noch vergrößert wird“, erklärte er vor Beginn
des Ratstreffens, das entgegen der ursprünglichen Planung nicht um 13 Uhr endete, sondern sich bis in den frühen Abend zog: ein Zeichen für die angespannte Stimmung unter den Ministern, und für die letztlich fürs Erste vergeblichen Versuche, den negativen Ausgang des Ratstreffens in eine präsentable Zwischenlösung zu packen.
Karner erklärte, er habe vorgeschlagen, die Entscheidung über Bulgariens und Rumäniens Beitritte auf das nächste Jahr zu verschieben, also entweder die ab 1. Jänner zuständige schwedische Ratspräsidentschaft oder die ein halbes Jahr später das Staffelholz übernehmenden Spanier mit der Organisation eines neuen Versuchs zu beauftragen. Dafür gab es keine Unterstützung bei den anderen Staaten.
Karner brachte am Donnerstag erneut jene Zahlen vor, die seine
Ablehnung der Schengen-Erweiterung untermauern. Rund 100.000 Aufgriffe illegal nach Österreich Eingereister habe es 2022 bereits gegeben – und zirka 75.000 von ihnen seien nicht von den anderen EU-Staaten behördlich erfasst worden, indem beispielsweise ihre Fingerabdrücke digital gespeichert wurden oder ein Asylgesuch registriert wurde. Nach Darstellung des Innenministeriums ist Bulgarien hier in der Verantwortung, weil 78 Prozent der in Österreich aufgegriffenen Afghanen angäben, über Bulgarien in die EU gelangt zu sein. Afghanen stellen zudem die größte Gruppe von Asylwerbern in Österreich: 23 Prozent aller Anträge gehen auf sie zurück, dahinter folgen mit 18 Prozent Syrer.
Pauschal Asylanträge ablehnen
Was genau verlangt die Bundesregierung von Bulgarien, um doch noch Schengenmitglied zu werden? Karner verweist auf einen vor Wochen deponierten Forderungskatalog, der unter anderem zwei Neuerungen vorsähe: erstens möchte Karner, dass Asylverfahren direkt an der EU-Außengrenze (und das möglichst rasch) abgewickelt werden. Würde sich Bulgarien dazu bereit erklären, könnte das die Haltung Wiens deutlich positiver stimmen. Allerdings will kaum ein Migrant in Bulgarien Asyl erhalten, sondern nach Nordund Westeuropa weiterziehen.
Zweitens pocht Karner auf eine Zurückweisungs-Richtlinie, mit der Bürger von Staaten, die als sicher gelten, pauschal kein Asylrecht erhalten sollen. Dies illustriert er mit dem Beispiel jener rund 15.000 Asylanträge von Indern im heurigen Jahr, von denen keiner positiv entschieden worden sei. Allerdings kamen diese Inder nicht über Bulgarien in die EU – sondern per Flugzeug via Belgrad.
Es ist falsch, dass ein System, das an vielen Stellen nicht funktioniert, auch noch vergrößert wird.
Gerhard Karner, Innenminister (ÖVP)