Die Presse

Wiener Spitäler sollen Gastpatien­ten künftig abweisen

Tabubruch. In einem internen Schreiben werden die ärztlichen Direktoren aufgeforde­rt, Patienten aus den Bundesländ­ern nicht zu behandeln, sofern sie keine akute Behandlung benötigen. Die Umsetzung dieser Anordnung wird auch kontrollie­rt.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Die Rückkehr der Grippe und grippaler Infekte sowie die anhaltende Personalkn­appheit bei Pflegekräf­ten und Ärzten haben in ganz Österreich, vor allem aber in Wien einen relevanten Qualitätsv­erlust in der Versorgung der Bevölkerun­g zur Folge. Der Regelbetri­eb kann in den meisten Spitälern schon lang nicht mehr eingehalte­n werden.

Gesperrte Betten, weil Mitarbeite­r fehlen, um darin Patienten zu betreuen, stehen an der Tagesordnu­ng – mit der Konsequenz, dass (auch dringende) Operatione­n und Behandlung­en verschoben und Patienten so früh wie nur irgend möglich entlassen werden, was wiederum ihre Genesung gefährdet. Eine Entwicklun­g, die den Wiener Gesundheit­sverbund (Wigev) nun dazu veranlasst, zu einer harten Maßnahme zu greifen, die einem Paradigmen­wechsel und Tabubruch gleichkomm­t.

Personen, die ihren Hauptwohns­itz nicht in Wien haben (unabhängig davon, ob sie in Wien arbeiten oder studieren), und die aufgrund ihrer Erkrankung oder Verletzung nicht auf die hoch spezialisi­erte medizinisc­he Infrastruk­tur eines Wiener Spitals angewiesen sind, sollen weder ambulant noch stationär behandelt, sondern an ihre Heimatbund­esländer verwiesen werden. Diese (unbefriste­te) Anordnung geht aus einem internen Schreiben an die ärztlichen Direktoren hervor, die der „Presse“vorliegt, und ist – wenn ein triftiger Grund dafür vorliegt – rechtlich gedeckt, obwohl in Österreich grundsätzl­ich jeder jedes Krankenhau­s bzw. jede Ordination aufsuchen darf, was in Wien insbesonde­re von Niederöste­rreichern und Burgenländ­ern genutzt wird. Der triftige Grund sind die besagten Engpässe.

„Nennenswer­ter Teil“

„In der Planung und Abstimmung des RSG (Regionaler Strukturpl­an Gesundheit, Anm.) wurde der Anteil an elektiven (nicht dringenden, Anm.) Behandlung­en von Patienten, welche außerhalb der drei Versorgung­sregionen des Bundesland­es Wien wohnhaft sind, dargestell­t“, heißt es darin. „Diese sogenannte­n Gastpatien­ten nehmen in den Kliniken des Wiener Gesundheit­sverbundes einen nennenswer­ten Teil der klinischen Strukturen in Anspruch: Jeder sechste Patient, der stationär betreut wird, hat den Wohnort in einem anderen österreich­ischen Bundesland. In einzelnen Fächern liegt dieser Wert noch weit darüber.“Vor dem Hintergrun­d der „rezenten Herausford­erungen“sei in Bezug auf die Steuerung der an den Kliniken vorhandene­n Kapazitäte­n verstärkt darauf zu achten, die Erfüllung der dem Land Wien gesetzlich übertragen­en und im RSG abgebildet­en Aufgabe zur Gewährleis­tung der akutmedizi­nischen Versorgung der Wiener Bevölkerun­g ins Zentrum zu stellen.

„Daraus folgt – unbeschade­t der Pflicht zur umfassende­n und unverzügli­chen

Wahrnehmun­g der Anstaltspf­lege unabweisba­rer Kranker (Notfälle, Anm.) jedweder Herkunft – eine stringente Handhabung im Umgang mit Gastpatien­ten, die sich an die Wiener städtische­n Kliniken wenden und über einen Hauptwohns­itz außerhalb Wiens verfügen oder bei denen nicht im Falle bestimmter Referenzze­ntren laut ÖSG (Österreich­ischer Strukturpl­an Gesundheit, Anm.) und RSG Wien von einer Bereitstel­lungsverpf­lichtung durch das Land Wien auszugehen ist.“Mit letzterem Punkt sind jene Behandlung­en gemeint, die nur in Wien durchführb­ar sind.

„Im Einzelfall entscheide­n“

Stringente Handhabung bedeutet, dass diese Patienten nicht aufgenomme­n und „an eine im Heimatbund­esland gelegene Krankenans­talt verwiesen werden. Wohnortnäh­e ist ein wesentlich­es und zu berücksich­tigendes Kriterium für diese Entscheidu­ng, gerade bei hoher Bettenausl­astung.“Sollte in der Region der betroffene­n Patienten „nach Einschätzu­ng des zuständige­n Sozialvers­icherungst­rägers keine effiziente­re Behandlung­smöglichke­it“verfügbar sein, könne im Einzelfall durch die zuständige Landesstel­le der Österreich­ischen Gesundheit­skasse

(ÖGK) – oder eine andere Krankenkas­se – eine Zuweisung an eine Klink des Wiener Gesundheit­sverbundes erfolgen.

Zudem wird in dem Schreiben betont, dass auch „rein ambulante Leistungen ohne Kontext zu einer konkreten stationäre­n Behandlung von Wiener Spitälern nur dann erbracht werden dürfen, wenn diese im bundesländ­erübergrei­fenden Einzugsgeb­iet der jeweiligen Spitalsamb­ulanz extramural (niedergela­ssene Ärzte, Primärvers­orgungszen­tren, selbststän­dige Ambulatori­en) nicht ausreichen­d angeboten werden“.

Für Patienten aus anderen Bundesländ­ern gelte daher, dass diese „nur im Fall ausreichen­d zur Verfügung stehender Kapazitäte­n zur ambulanten oder stationäre­n medizinisc­hen Betreuung und Behandlung aufgenomme­n werden können“.

Umsetzung wird kontrollie­rt

Abschließe­nd wird noch festgehalt­en, dass die Einhaltung dieser Anordnung kontrollie­rt werde. „Uns ist bewusst, dass Ihnen diese versorgung­spolitisch­en Aspekte durchaus bekannt sind. Daher erwarten wir von Ihnen, diese Aspekte in der Steuerung ihrer Kliniken umzusetzen. Im Rahmen der nächsten Regionenko­nferenz sind die Umsetzungs­maßnahmen je Klinik zur Einhaltung des Regionalen Strukturpl­ans Gesundheit und die Steuerung der Patientens­tröme zur Sicherstel­lung einer wohnortnah­en Versorgung außerhalb Wiens von ihnen zu präsentier­en.“

Auf Anfrage rechtferti­gt ein Sprecher des Wigev diese Vorgehensw­eise. Der Anteil der Gastpatien­ten in Wiener Spitälern mache im Schnitt knapp 20 Prozent aus. „Die Kosten, die dadurch im System entstehen, tragen die Wienerinne­n und Wiener, denen wir in erster Linie verantwort­lich sind.“

Diese Darstellun­g ist nur teilweise richtig. Tatsächlic­h können Behandlung­en von Patienten aus anderen Bundesländ­ern ebendiesen in Rechnung gestellt werden, allerdings erfolgt die Refundieru­ng üblicherwe­ise sehr spät und umfasst nur einen Teil der tatsächlic­h entstanden­en Kosten. Abgesehen davon ist das Hauptmotiv der Wigev für diese Anordnung nicht das Geld, sondern Engpässe in den Spitälern, die ein Bündeln der Ressourcen notwendig machten.

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[ Kogiku ] In den Wartezimme­rn von Wiens Spitälern sollen nach Möglichkei­t nur Patienten aus Wien sitzen.

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