Die Presse

Interview.

Wiens Bildungs- und Integratio­nsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) über die Missbrauch­sfälle in einer Wiener Schule, die „ideologisc­hen“Deutschför­derklassen und sein „intaktes“Vertrauen zu Michael Ludwig (SPÖ).

- VON JULIA WENZEL

Rund um die Missbrauch­sfälle gibt es neue Vorwürfe gegen die Bildungsdi­rektion. Eine Pädagogin sagt, die Schulpsych­ologie habe Lehrer verpflicht­et, den Fall den Eltern zu verschweig­en. Ziehen Sie personelle Konsequenz­en?

Die Presse:

Christoph Wiederkehr: Jetzt ist eine rasche und gründliche Aufklärung des Sachverhal­ts notwendig. Daraus leiten sich dann etwaige Konsequenz­en ab. Der ganze Fall ist dramatisch. Da müssen ganz viele Institutio­nen profession­eller werden, um solche Übergriffe im Vorhinein zu verhindern. Wenn sie passie ren, muss offener und schneller kommunizie­rt werden.

Sie vom Bund, bei den Deutschför­derklassen „die Reißleine zu ziehen“, sie abzuschaff­en. Die anlassgebe­nde Studie empfiehlt lediglich Adaptionen.

fordern

Die Studie zeigt auf, was die Experten von Beginn an gesagt haben: Diese Art von Deutschkla­ssen ist nicht zielführen­d, weder für den Spracherwe­rb noch für die Integratio­n. Das war eine ideologisc­he Entscheidu­ng von Türkis-Blau. An manchen Standorten in Wien ist sie sinnvoll. Es kann aber nicht für alle verpflicht­end sein. Das ist destruktiv. Es braucht hier mehr Autonomie. Vom Ministeriu­m aber gibt es zu wenig Mittel dafür.

Das Ministeriu­m investiert 4,5 Mio. Euro, um die Förderung zu verlängern. Es stellt weitere vier Förderstun­den in Aussicht – im Ausmaß von zehn Mio. Euro.

Die Mittel, die jetzt aufgestock­t wurden, sind alles Dinge, die wir zuvor in Wien schon freiwillig gemacht haben. Auch jetzt müssen wir eigenes Geld in die Hand nehmen. Die Planstelle­n für den Deutschför­derunterri­cht sind zu wenig. Die Schulen sollen selbst entscheide­n dürfen, wie sie mit den Ressourcen umgehen wollen. Dafür braucht es mehr Geld.

Stichwort Ressourcen: Ihre Umstruktur­ierung der Lehrerzute­ilung stieß auf heftigen Widerstand. Jetzt sorgt die Versetzung von 25 Pädagogen für Unmut. Haben Sie den Lehrermang­el nicht im Griff?

Der Lehrermang­el ist ein riesiges Problem. Ich bin da echt angefresse­n, dass das Ministeriu­m über Jahre geschlafen hat. In Wiener Volksschul­en gibt es zu wenige klassenfüh­rende Pädagogen. Ich verstehe den Unmut über die Versetzung­en. Aber die Bildungsdi­rektion hatte keine andere Möglichkei­t. Die Ausbildung von Lehrperson­al ist die Aufgabe des Ministeriu­ms. Es wurden über Jahre zu wenige ausgebilde­t.

Den Krieg konnte das Ministeriu­m aber nicht vorhersehe­n.

Es ist eine gemeinsame Aufgabe. Die Zahl der ukrainisch­en Kinder in Wien entspricht fast 200 Klassen. Das sind tatsächlic­h unerwartet­e Ereignisse. Hier ist es uns zum Glück sehr gut gelungen, mit dem Ministeriu­m Lösungen zu finden. Wir haben mehr als 100 neue Lehrer, zum Teil geflüchtet­e, angestellt.

Es irritiert, dass sich niemand in der Stadtregie­rung zu den gehäuften Vergewalti­gungen in Wien geäußert hat. Weshalb?

Der Schutz von Mädchen hat oberste Priorität. Die Vergewalti­gungsfälle sind dramatisch. Die Elfjährige hat mich besonders betroffen gemacht. Ich fordere da auch ein konsequent­es Vorgehen. Im Fall Leonie begrüße ich die Entscheidu­ng als Signalwirk­ung, den Strafrahme­n auszunütze­n. So etwas hat in Wien keinen Platz. Die jungen Männer, die zu uns kommen, haben sich an die Regeln zu halten. Wenn sie das nicht tun, müssen sie bestraft und, wenn möglich, abgeschobe­n werden.

Das ist bei straffälli­gen Afghanen und Syrern of tn icht möglich. Was tut man mit ihnen?

Wir müssen sie begleiten und resozialis­ieren. Wir müssen früh ansetzen und mit ihnen arbeiten. Ich bin für eine Erhöhung der Stun

denzahl der Wertekurse. Sie feiern zwei Jahre rot-pinke Koalition. Ist sie ein Argument für die Ampel im Bund?

In Wien funktionie­rt die Koalition sehr gut. Es gibt eine große Vertrauens­ebene. Das Wiener Modell kann aus meiner Sicht auch auf anderen Ebenen ein Vorbild sein. Im Bund ist es interessan­t, wenn es eine Mehrheit jenseits der ÖVP geben kann.

In einer Ampelkoali­tion?

Wir haben uns hier als Neos nicht festgelegt. Wir wollen eine Koalition mit möglichst viel Fortschrit­t.

Ich sehe in Wien eine Koalition, die gut funktionie­rt.

Dass sie „gut funktionie­rt“, überrascht angesichts der Causa Wien Energie. Das muss Ihr Vertrauen doch erschütter­t haben?

Das Gute an der Koalition in Wien ist, dass wir auch heikle Themen besprechen. Wir sind zwei unterschie­dliche Parteien, darum werden wir in manchen Bereichen auch unterschie­dliche Meinungen haben.

Sie wurden um Ihre Meinung ja gar nicht erst gefragt.

Ich habe offen gesagt, dass ich mit dem Krisenmana­gement und der -kommunikat­ion nicht zufrieden war. Das ist schlecht gelaufen. Wir haben eingeforde­rt, dass es Verbesseru­ngen geben muss, und die sehen wir jetzt.

Ich bin echt angefresse­n, dass das Ministeriu­m über Jahre geschlafen hat.

Wodenn?

Die U-Kommission kann lückenlos aufklären. Es gibt erstmals einen Compliance-Officer im Landtag, die Minderheit­en werden gestärkt, indem erstmals auch der Gemeindera­t ausgeglied­erte Unternehme­n überprüfen kann. Es gibt einen öffentlich­en Regierungs­monitor, eine Whistleblo­wing-Plattform, ein Fördertran­sparenzges­etz. Die Wien Energie wird vom Stadtrechn­ungshof überprüft.

Christoph Wiederkehr, Wiener Vizebürger­meister

Ihr Vertrauen ist intakt?

Ja. Es gibt Konflikte, die ausgetrage­n werden, und danach bemüht man sich um Verbesseru­ngen. Das ist unsere Rolle in der Koalition.

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[APA /Hochmuth] Wiederkehr hat in seinen Ressorts mit großen Baustellen zu kämpfen.

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