Mit künstlicher Intelligenz alle Register ziehen
KI. Ohne intelligente Datenverarbeitung ist medizinische Forschung bereits heute nicht mehr vorstellbar, das Potenzial für die Zukunft noch kaum absehbar. Den Menschen ersetzen kann KI aber nicht.
Daten sind eine wertvolle Ressource. Je komplexer die Datenlage, desto intelligenter muss die Anwendung sein, die sie bearbeitet. Doch auch mit einfacher strukturierten Systemen lassen sich im Bereich der Medikamentenverordnung Verbesserungen erzielen. Walter-Emil Haefeli, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Heidelberg, zeichnet mit seinem Team für die zentralen Wissensdatenbanken von AiDKlinik, einem Arzneimittelinformationssystem mit elektronischer Verordnungsplattform, verantwortlich. „Mit der darin integrierten Wechselwirkungsdatenbank ist eine Interaktionsstudie gemacht worden, welche unerwünschte Arzneimittelwirkungen als Endpunkt hatte und diese tatsächlich auch reduzieren konnte“, erklärt Haefeli. Allein im Universitätsklinikum Heidelberg habe dieses System mehr als 1,1 Millionen Aufrufe im Jahr und sei in über 300 Krankenhäusern implementiert.
Die App enthält keine künstliche Intelligenz (KI), sondern ist ein regelbasiertes System. „Momentan denke ich, dass KI-basierte Systeme wegen der Validierungsschwierigkeiten einen schweren Stand als
Kernfunktionalität von Medizinprodukten haben“, lautet die Einschätzung des Experten.
Krebsdiagnose und Prognose
Dass es in der Forschung anders aussieht, weiß Claudia Plant, Professorin für Data Mining an der Fakultät für Informatik der Universität Wien: „In der Medizin werden immer mehr Daten gesammelt“, sagt Plant und nennt ein Beispiel aus der Krebsforschung: „Krebserkennung ist nun teilweise auch mittels Blutproben möglich.“Dies sei nicht nur für den Patienten deutlich weniger invasiv als eine Biopsie, durch Sequenzierungsverfahren ließen sich auch DNA und RNA ermitteln. „Das ergibt riesige Datenmengen, die aufbereitet werden müssen.“Aus diesen Datenmengen könne man später gezielt Informationen herauslesen, wie etwa Unterschiede von Krebspatienten zu gesunden Personen.
„Wenn Patienten einmal Krebs gehabt haben, lassen sich mithilfe solcher Datenbanken potenzielle Rückfälle vorhersagen.“Bei diesem Verfahren würden allerdings derart riesige Datenmengen vorliegen, dass sich diese nicht mehr händisch durchsuchen ließen. „Dafür gibt es Algorithmen aus der Informatik, die das tun“, sagt Plant und führt weiter aus: „In der Forschung gibt es Datenbanken, auf die man zurückgreifen kann, oder man kreiert eigene Register.“Insgesamt herrscht der Expertin zufolge derzeit noch ein ziemliches Datenwirrwarr in der Medizin: „Daten zu bereinigen ist zeitintensiv.“Die Prozesse seien noch nicht standardisiert, manches noch im Entstehen begriffen.
Grundsätzlich gehe in der Forschung nichts mehr ohne maschinelles Lernen und Data Mining, so Plant: „Ohne diese Technologien sind kaum mehr Forschungsergebnisse möglich.“
Ohne maschinelles Lernen und Data Mining ist kaum mehr Forschung möglich.
Claudia Plant, Universität Wien
Mensch weiter unverzichtbar
Auch Plant hält KI und Big Data in Zukunft für unverzichtbar: „Es wird spannend sein zu sehen, welche Techniken aus der Forschung in die Praxis kommen.“Dabei hebt sie hervor, dass der Mediziner durch keinerlei Technik jemals ersetzt werden könne. „Aber er wird Entscheidungen auf einer breiteren Basis treffen können, manche biologischen Prozesse besser verstehen
und dadurch eine gute Behandlung gewährleisten können.“
Algorithmen suchen Wirkstoffe
Michael Freissmuth, Vorstand des Instituts für Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, hält die Anwendung von KI in der Arzneistoffentwicklung für längst gängige Praxis. „Die Algorithmen werden immer besser, die Hit-Rate
beim virtuellen Screening liegt beinahe schon bei zehn Prozent.“Wiewohl diese Trefferquote nicht übermäßig hoch erscheint, birgt das KI-basierte Virtual Screening laut Freissmuth große Vorteile: „Nehmen wir an, dass Sie aufgrund Ihrer Forschung einen neuen Angriffspunkt definiert haben, dann wollen Sie einen Wirkstoff finden, der diesen hemmt oder aktiviert.“
Heutzutage würde man eine Substanzbibliothek, die bis zu mehr als einer Million verschiedene Substanzen enthält, nehmen und in einem automatisierten Ansatz prüfen, ob man dort Substanzen findet, die an den Angriffspunkt binden. Das könne trotz Automatisierung erstaunlich lange dauern. Und: „Man bekommt auch oft falsch positive Hits.“Diese Vorgehensweise
ist Freissmuth zufolge aufwendig und teuer: „Wenn man mit Virtual Screen 100 Kandidaten-Substanzen finden, kann das durchaus Zeit und Kosten sparen.“
Weiters könne man die „candidate drugs“mit verschiedenen Modellen dahingehend screenen, ob diese Enzyme und
Transporter hemmen, die für den Arzneimetabolismus wichtig sind und bei therapeutischer Anwendung Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln auslösen.
Technische Voraussetzung für diesen konkreten Fall wäre ein brauchbares Modell des Angriffspunkts: „Am besten eine Struktur mit atomarer Auflösung, diese bekommt man, wenn man das Protein kristallisiert und mit Röntgenstrahlen beschießt. Daraus kann die Position der Atome berechnet werden“, sagt Freissmuth und ergänzt: „Dafür braucht es eine ausreichende Rechenleistung.“
Registerdaten nutzbar machen
Auch Register, in denen Behandlung und Krankheitsverläufe erfasst sind, liefern der Forschung laut Freissmuth sehr viele nützliche Informationen: „Ein Beispiel ist die Behandlung von Patienten mit rheumatischer Arthritis mit Antikörpern gegen TNF-alpha.“Diese Betroffenen seien gefährdet, gravierende Infektionen zu bekommen. „Aus den Registerstudien weiß man, dass mehr als 90 Prozent dieser Infektionen in den ersten sechs Wochen nach Beginn der Therapie passieren.“Daher empfiehlt man jetzt, die Patienten vor allem am Anfang der Therapie engmaschig zu überwachen.
Aber längst nicht aus jedem Register lassen sich Freissmuth zufolge für die Forschung brauchbare Daten auslesen.
Elga (noch) mit Schwächen
„Elga ist als ein solches Register nicht wirklich brauchbar, weil die Daten derzeit nicht als lesbare durchsuchbare Dokumente vorliegen.“Anders seien da etwa die dänischen Gesundheitsregister, die seit vielen Jahren jede Information zum Patienten dokumentieren.
Allerdings warnt der Experte vor irreführenden Assoziationen. So hat man beim Durchsuchen der dänischen Datenbanken eine Korrelation zwischen einem bestimmten Medikament und dem gehäuften Auftreten von weißem Hautkrebs gefunden. „Dass die Dänen gern ins Solarium gehen, was weißen Hautkrebs begünstigt, weiß die Datenbank ja nicht“, sagt Freissmuth und fügt hinzu: „Diese falschen Assoziationen lassen sich auch mit Machine Learning nicht überwinden.“
Die Anwendung von KI in der Arzneistoffentwicklung ist längst gängige Praxis.
Michael Freissmuth, Med-Uni Wien