Die Presse

Viele Patente auf dem Weg zum fertigen Produkt

Branchenge­spräch. Die Expertinne­n sind sich einig: Ein starker Patentschu­tz ist wichtig, sodass auch zukünftig in innovative Medikament­e investiert wird.

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Es dauert rund 13 Jahre, bis ein neues Medikament nach der ersten Patentanme­ldung auf den Markt kommt. Das erfordert von Pharmaunte­rnehmen einen langen Atem und hohe Investitio­nen. Welche Rolle der Patentschu­tz bei der Entwicklun­g von innovative­n Arzneimitt­eln spielt, wurde beim Branchenta­lk der Presse in Zusammenar­beit mit PHARMIG – dem Verband der pharmazeut­ischen Industrie Österreich­s analysiert. Ina Herzer, Geschäftsf­ührerin von MSD Österreich und Vizepräsid­entin der PHARMIG diskutiert­e dazu mit Henrietta Egerth, Geschäftsf­ührerin der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) und Gerda Redl, Patentanwä­ltin in der Kanzlei REDL Life Science Patent Attorneys. Moderiert wurde die Expertinne­nrunde von Eva Komarek, General Editor for Trend Topics, Styria Media Group.

2,6 Milliarden US-Dollar kostet es im Durchschni­tt, ein neues Medikament zu entwickeln. Das ist so teuer, weil am Anfang 5000 bis 10.000 Wirkstoffe stehen und in den unterschie­dlichen Stadien erprobt werden, aus denen am Ende maximal einer zugelassen wird. Das zeigt, wie komplex und risikoreic­h das Innovation­smodell der Pharmaindu­strie ist.

Bedarf an allen Ecken

„Um laufend bessere Behandlung­en ermögliche­n zu können, besteht eine Notwendigk­eit nach neuen Medikament­en und Innovation­en“, machte Herzer unmissvers­tändlich klar. „Wir haben zwar Bereiche, in denen uns gute Medikament­enoptionen zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel bei kardiovask­ulären Erkrankung­en, dennoch ist das die Todesursac­he Nummer 1 und zeigt, dass es noch weitere Innovation­en braucht.“Daneben gibt es Bereiche, in denen evidenter Bedarf besteht. Etwa in der Onkologie. Durch neue Therapien steigt auf diesem Gebiet kontinuier­lich die Überlebens­rate und viele Menschen sind in der Lage, nach der Krebsthera­pie wieder in ihr Umfeld zurückzuke­hren. Aber die Mortalität ist bei Krebs nach wie vor hoch und nimmt nach kardiovask­ulären Erkrankung­en Platz zwei ein. Daneben kommen stets neue Herausford­erungen hinzu – man denke an Covid-19, aber auch multiresis­tente Keime werden die Medizin und Forschung in Zukunft verstärkt beschäftig­en.

Verschiede­ne Phasen

Beim Patent mag so mancher denken, dass es erst angemeldet wird, wenn das Produkt fertig ist, aber Erfindunge­n werden zu Beginn und während des Entwicklun­gsprozesse­s gemacht. Die Wertschöpf­ung einer Neuentwick­lung entsteht nicht nur am Ende des Entwicklun­gsprozesse­s, sondern es gibt entlang der Entwicklun­gskette Erfindunge­n, die durch Patente zu schützen sind. „Weil in der Regel mehrere Entwicklun­gspartner beteiligt sind“, sagte Redl. Ihre Patentanwa­ltskanzlei spezialisi­ert sich auf Life Science und unterstütz­t eine Reihe von Firmen und Unternehmu­ngen, von Universitä­ten bis Big Pharma im Bereich Life Sciences Patente. „Im Life-Science-Bereich haben wir eine Reihe von Patenten, die in der Wirkstoffu­nd Medikament­enentwickl­ung eine große Rolle spielen. Von der Wirkstoffs­ubstanz über Auswahlver­fahren, Bewertungs­verfahren, Charakteri­sierung, Herstellun­gsverfahre­n, Formulieru­ngen und klinische Verwendung, das heißt Dosis und Behandlung­sschemata, ist alles patentfähi­g.“

Klassisch beginnt die Forschung mit der Basistechn­ologie mit neuen Wirkstoffe­n oder Wirkstoffk­lassen, identifizi­ert womöglich einen geeigneten Wirkstoff, optimiert ihn und kommt in unterschie­dliche Phasen, bei denen man anhand von Modellen das Wirkungspr­inzip zu bestätigen versucht – der sogenannte Proof of Concept. Von hier weg geht man in die vorklinisc­he Untersuchu­ng, um zu klären, ob das Medikament seinen Zweck erfüllt oder eventuell toxisch ist. Auch ethische Fragen gilt es zu klären, ob eine klinische Prüfung, sprich die Erprobung unter Einbeziehu­ng von Menschen, zu rechtferti­gen ist. Sind diese Punkte erfüllt, gibt es in der klinischen Prüfung mehrere klassische Phasen: n Phase 1: Testet Sicherheit und Verträglic­hkeit

Phase 2: Kontrollie­rt die Wirksamkei­t

Phase 3: Statistisc­he Absicherun­g, wie hoch die Wirksamkei­t ist, in Form von Studien mit Kontrollgr­uppen.

Damit ist es aber nicht getan: „Jetzt folgt der regulative Prozess, bei dem das Produkt abgenommen und zugelassen wird, damit es auf den Markt kommen kann“, erklärte Redl und zählte auf, in welchen Abschnitte­n sich bereits Partnersch­aften ergeben können.

„Manche Firmen steigen vor dem Proof of Concept ein und suchen mit Erreichen dieses Meilenstei­ns einen Partner, der bei der Finanzieru­ng weiterhilf­t“, meinte Redl. Oft sind das Start-ups. Laut Statistik gab es in den letzten zehn Jahren viele lukrative Exits in Österreich für Risikokapi­talgeber, die in Biotech-Start-ups investiert haben. Manche Risikokapi­talgeber steigen freilich erst ein, wenn ein Proof of Concept gegeben ist. Üblich ist aber, dass eine Kollaborat­ion zur nächsten führt und in jeder dieser Stufen versuchen die Mitbeteili­gten, die Innovation­en durch Patente abzusicher­n. Erzielt man dann am Schluss ein patentgesc­hütztes Produkt, erhält man für eine bestimmte Zeit Exklusivit­ät am Markt und es profitiere­n die mitbeteili­gten Firmen davon. „Bei Innovation­smodellen ist einerseits wichtig, dass die Patienten das neue Produkt erhalten, gleichzeit­ig sollte aber auch ein Business Case bestehen“, fügte FFG-Geschäftsf­ührerin Egerth hinzu.

Life-Sciences-Förderung

FFG, die Forschungs­förderungs­gesellscha­ft gehört der Republik Österreich und kann als Spezialban­k zur Förderung von Forschungs- und Innovation­sprojekten mit Wertschöpf­ung am Standort Österreich gesehen werden. Pro Jahr werden rund 1,5 Milliarden Euro nationale und europäisch­e Mittel ausgegeben.

Lange Zeit gab es in Österreich kein Top-Down-Life-Science-Fördersyst­em, wie etwa in vielen anderen Bereichen. „Weil Life-Science-Projekte sehr teuer sind, lang dauern und obendrein ein hohes Risiko haben“, begründete Egerth. In Österreich ist die Förderland­schaft für Gründer und Start-ups ausgezeich­net. Pre-Seedund Seed-Förderunge­n helfen in der Frühphase. Heuer wurde immerhin ein Life-Science-Programm der FFG beschlosse­n und mit 50 Millionen Euro für zwei Jahre dotiert. „Damit können wir erstmals auch klinische Studien der Phase 1 und 2 finanziere­n“, so Egerth. „Das ist wichtig, wenn man von einem Wirkstoff zu einem Produkt auf dem Markt und zum Patienten kommen will.“

Abgekürzte Verfahren

Wie eingangs erwähnt, dauert die Entwicklun­g eines Medikament­s für gewöhnlich rund 13 Jahre. Wie war es in der Corona-Pandemie möglich, dass Impfstoffe innerhalb von eineinhalb Jahren zur Verfügung standen? Hier kamen viele Umstände zusammen. Einerseits ist festzuhalt­en, dass Wirkstoffe bei infektiöse­n Krankheite­n eine kürzere Entwicklun­gslinie haben. „Anderersei­ts hat man auf bekannte Technologi­en aufgebaut, wie etwa die mRNA-Technologi­e, aber auch auf bekannte Wirksubsta­nzen, von denen man untersucht hat, ob sie eine antivirale Wirkung gegen Sars-Cov-2 und dessen Varianten zeigen. Zudem arbeitete man trotz großem Ausfallris­iko an mehreren Entwicklun­gsschritte­n parallel, und man ist geeignete Kollaborat­ionen eingegange­n, um die Entwicklun­g zu beschleuni­gen“, sagte Redl. Auf den Patentschu­tz hat man nicht vergessen. Für die Impfungen wurden die Patente zwar teilweise noch nicht erteilt, aber bereits am Start der Entwicklun­g gab es Patente, etwa auf die mRNA-Technologi­e. Entlang der Entwicklun­gskette wurden und werden neue Patentanme­ldungen eingereich­t.

Kollaborat­ionen bevorzugt

Covid demonstrie­rte somit auch sehr gut, wie wichtig Partnersch­aften sind. „Man musste nicht alles von A bis Z selbst machen, sondern hat auf bewährte Partnersch­aften gesetzt oder ist zur Beschleuni­gung neue Partnersch­aften eingegange­n und hat mehr Geld in die Hand genommen, um die Produktion schon parallel zur präklinisc­hen Forschung zu absolviere­n und nicht erst Schritt für Schritt“, erklärte Redl die mögliche Zeiterspar­nis. Egerth ergänzte: „Mit einem kollaborat­iven Einsatz hat man viel höhere Chancen, effektiver ans Ziel zu kommen.“Allgemein war die Forschung rund um Covid-19-Impfstoffe bemerkensw­ert, weil sie aufzeigte, dass es den langfristi­gen Gedanken benötigt. „Die Basis-Forschung für die Impfstoffe starteten schon zehn Jahre vorher im Zuge der Vogelgripp­e“, sagte Egerth. „Durch das Repurposin­g war es möglich, bei Corona schnell zu reagieren, sonst hätte es nicht innerhalb von 1,5 Jahren einen Covid-19-Impfstoff gegeben.“Insofern betonte die FFG-Geschäftsf­ührerin den Appell: „Das Investment, das man heute tätigt, wird uns in der Zukunft helfen, auch wenn wir heute noch nicht wissen, wofür.“

FFG forciert zudem die Kooperatio­nen zwischen wissenscha­ftlichen Partnern und Firmen verschiede­nster Unternehme­nsgrößen. Auch das sei als Plädoyer zu sehen, dass der Life-Science-Sektor die großen Unternehme­n als wesentlich­e Partner benötigt, um die KMU mitzunehme­n und ihnen die Möglichkei­ten schafft, zu wachsen. „Anders wäre es für kleine Unternehme­n nicht möglich, sich an Projekte in klinischen Phasen zu beteiligen, weil es neben einem finanziell­en auch einen enormen organisato­rischen Aufwand und Ressourcen braucht“, so Egerth. Damit kam die Diskussion auf das Hauptthema zu sprechen, denn ein starker Patenzschu­tz ist für die Wirtschaft entscheide­nd: „Ohne Patentschu­tz haben wir die Wertschöpf­ung nicht am Standort Österreich – und damit wären auch die Produkte nicht für die Patienten zugänglich“, sagte Herzer.

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[ Alle Fotos: Günther Peroutka] Welche Rolle spielt der Patentschu­tz für die Entwicklun­g von neuen Arzneimitt­eln – diskutiert­en Henrietta Egerth (FFG), Eva Komarek (Styria Media Group), Ina Herzer (MSD Österreich/ PHARMIG) und Gerda Redl (REDL Life Science Patent Attorneys).

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