„Verhaberung ausgeschlossen“
Porträt. Mathias Rüegg, Gründer des Vienna Art Orchestra, feiert seinen 70er im Porgy & Bess. Dort präsentiert er „The Blue Piano“, sein vielleicht letztes Album.
Betritt man das private Reich des Künstlers, dann sticht zunächst die imposante Sammlung an exzentrisch gestylten Halbschuhen ins Auge. Davon abgesehen steht das Ambiente ganz im Zeichen eines langen, intensiven Musikerlebens.
Zentral hängt ein gerahmtes Foto mit Friedrich Gulda, aufgenommen Mitte der Siebzigerjahre bei einem Jazzworkshop in Salzburg. Ein Nebenzimmer wird von einem Flügel dominiert, der umrahmt ist von zwei Kästen voller Notenschriften. Konzertfotos zieren die Wände, Magazine mit Rüegg-Coverstories sind wie zufällig auf Sideboards drapiert.
Und irgendwo hängt auch das ÖBB-Schild, das einst den Intercity 848 geziert hat: „Vienna Art Orchestra“hieß der damals. 33 Jahre lang hat der in Zürich geborene Pianist dieses Orchester geleitet, das VAO Vienna, geleitet. Am 8. Dezember wurde der Begründer dieses für den heimischen Jazz so wesentlichen Klangkörpers, 70 Jahre alt.
Just an diesem Abend präsentierte er „The Blue Piano“, was sein letztes Opus sein soll. Frühschluss? „Ich will nicht mehr betteln. Es ist einfach genug. 60 Alben und davon sind einige wirklich nicht schlecht. Wenn ich Aufträge bekomme, führe ich die aus. Aber von mir wird aktiv nichts mehr kommen.“
Kreativ immer noch sprudelnd
Es ist die unglückliche Lage, in die die Musik geraten ist, die den kreativ immer noch sprudelnden Rüegg bremst. Die Bedingungen des Musikmachens haben sich so krass verändert, dass es ihm das Animo geraubt hat. „Die 1980er-Jahre waren der Wahnsinn. Im positiven Sinn. Unsere 1980er-Jahre waren geprägt von Helmut Zilk, vom Maison de la Culture in Frankreich und vom Entstehen vieler Festivals. Es war das Goldene Jahrzehnt. Nach dem Kampf in den Siebzigern haben wir in den Achtzigern geerntet.“
Rüegg hat ein Konzeptalbum nach dem anderen geschrieben und ging auf ausgedehnte Tourneen. Viele heimische Musiker konnten sich mithilfe des VAO erstmals einem ausländischen Publikum präsentieren. Besonderer Dank oder Freundschaften wurden Rüegg nicht zuteil.
„Nachdem das Vienna Art Orchestra immer sehr international zusammengestellt war, war eine Verhaberung für mich ausgeschlossen. Ich war immer irgendwo distanziert. Das war auch richtig so. Ich musste auf niemanden Rücksicht nehmen, habe immer
die Musiker ausgesucht, von denen ich dachte, dass sie am besten wären für das VAO.“Dessen jähes Ende kam 2010. Für Rüegg war es eine logische Entscheidung.
„Wenn man zurückblickt, dann ist dieses Ende genau mit der Finanzkrise und der Erfindung von Spotify zusammengefallen. Und seither ist nichts mehr in der Welt der Musik, wie es einmal war“, sagt er. „Ich habe 1998 für BMG New York das Gershwin-Album gemacht. Dafür habe ich umgerechnet 147.000 Euro bekommen. Jetzt ist die Situation so, dass der Vertrieb mir 100 Stück meines neuen Albums abnimmt und wenn diese verkauft sind, bekomme ich 500 Euro. Das Ende nach 33 Jahren war nicht direkt schmerzhaft. Eher, dass ich danach für einige Zeit nicht mehr existierte. Als
ZUR PERSON
Geburtstag. Mathias Rüegg wurde 1952 in Zürich geboren, er ist Pianist und Arrangeur. Er spielte Rockmusik mit Candlelight, erforschte den Free Jazz in Graz und Zürich und gründete das Vienna Art Orchestra, welches er 33 Jahre leitete. Am Donnerstag, den 8. Dezember, gab Rüegg mit „Mathias Rüegg Goes 70!“ein Konzert im Porgy & Bess in Wien – unter anderem mit Lia Pale, Soley Blümel, Sabina Hasanova, Benjamin Harasko und Harry Sokal. Dort präsentiert er mit „The Blue Piano“(Lotus) sein vielleicht letztes Album.
Einzelgänger hatte ich keine Seilschaften.“Er hat dennoch weitergearbeitet. Zehn Jahre lang mit der Sängerin Lia Pale ein klassisches Kunstliedprojekt realisiert. Sie ist nun auch auf „The Blue Piano“dabei, wo Rüegg romantische Gedichte zum Thema Musik vertont hat. Große Teile davon singt der Bariton Benjamin Harasko zum Klavierspiel der bei den Aufnahmen erst 13-jährigen Pianistin Soley Blümel.
„Hochklassische Familie“
Während sich ein Gulda von der Klassik zum Jazz bewegte, zog es Rüegg in die umgekehrte Richtung. Für Rüegg ist es eine logische Entwicklung. „Ich entstamme einer hochklassischen Familie. Wenn es mir als Kind schlecht ging, hatte ich immer besondere Stücke, die ich mir anhörte. Etwa das E-Dur-Violinkonzert von Bach.“
Und doch erinnert man sich gern des Aufbruchs. Etwa an die Single „Jessas Na!“von 1977, wo Arbeiterdichter Otto Kobalek eine Art DadaText zu einer köstlichen Mischung aus sentimentaler Geige und Free-JazzBläsern krakeelte. Sätze wie „Und dass kana auf eich steht, wäús ǵscheit sad´s, dann warats lieaba bled“machen heute noch nachdenklich. Rüegg kann sich neben seinen musikalischen Verdiensten eines auf die Brust heften: Auf vordergründige Beliebtheit hat er nie gesetzt. Dafür war ihm seine Kunst zu wichtig. Und ist es immer noch.