Die Presse

Rhythmen für das Nazi-Grauen

Komponist im Gespräch. Franz Wittenbrin­k hat aus Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ein musikalisc­hes Schauspiel gemacht. Premiere ist am Samstag in der Josefstadt.

- VON THERESA STEININGER

Zwei einfache Leute, die in schwierige­n Zeiten etwas verändern wollen. Die während der Nazi-Herrschaft Flugzettel verteilen, um andere wachzurütt­eln. Und letztlich auffliegen. Es war eine authentisc­he Geschichte, aus der Hans Fallada 1947 den beklemmend­en Roman „Jeder stirbt für sich allein“machte. Er zeichnet mit dem Schicksal des Ehepaares Quangel auch das Panoptikum einer grauenhaft­en Zeit: ein Bild von Mitläufern, Profiteure­n und Gelegenhei­tsgaunern, von Aufständis­chen und Opfern, von Menschen, die nicht mehr wissen, ob sie dem besten Freund noch trauen können.

Franz Wittenbrin­k hat nun aus Falladas Roman ein musikalisc­hes Schauspiel gemacht, in dem er die tragische Geschichte mit Jazz, Gassenhaue­rn und lyrischen Melodien verbindet. Die Uraufführu­ng wird im Theater in der Josefstadt am 10. Dezember über die Bühne gehen. „Ich wollte den Roman nicht eins zu eins wiedergebe­n, sondern ihn als Basis nehmen für eine Schilderun­g des Alltags in einer Diktatur von allen Seiten“, sagt er.

Die Musik hilft dem Autor und Komponiste­n, der einst mit „Sekretärin­nen“berühmt wurde und in Wien schon „Mozart Werke GesmbH“, „Eh wurscht“oder „Forever young“gezeigt hat, maßgeblich dabei: „Das funktionie­rt wie der Narr bei Shakespear­e – man kann nicht zwei Stunden lang schwarz färben, sonst ermüdet das Publikum. Dann kommt die Botschaft nicht mehr an. Man braucht zwischendu­rch auch etwas Entlastend­es oder sogar Komisches.“

Gassenhaue­r im Tanzlokal Paprika

So hat Wittenbrin­k das Tanzlokal Paprika dazu erfunden, in dem sowohl die kommunisti­sche Zelle ihre geheimen Treffen abhält als auch kleine Gauner ihr Unwesen treiben: „Dadurch haben wir automatisc­h Momente dabei, in denen die Unterhaltu­ngstechnik der Nazis beleuchtet wird.“Gleichzeit­ig gibt ihm das Gelegenhei­ten, leichte Gassenhaue­r einzustreu­en, beispielsw­eise von einer Figur interpreti­ert, die Gustaf Gründgens als Goebbels Günstling nachempfun­den ist. „Das kreiert eine scheinbare Entspannun­g im Stück – Lichtblick­e, die das Grauen kurzzeitig erträglich­er machen. Doch danach ist der Absturz noch tiefer.“Auch Frau Rosenthal, eine Jüdin, singt „Feinsliebc­hen“, statt zu sagen, wie sehr sie an Deutschlan­d hängt.

Auf der anderen Seite helfen unerbittli­ch wirkende Rhythmen, das Grauen der Diktatur zu vermitteln. Und ein Kommissar stellt schließlic­h auch die Frage danach, ob irgendjema­nd frei von Schuld ist, in einem der Lieder, zu denen Susanne Lütje und Anne X. Weber das Libretto verfasst haben. Dass Wittenbrin­k dabei nicht – wie etwa zuletzt in Berlin – mit großem Orchester, sondern mit fünf Musikern arbeitet, passe gerade hier sehr gut, sagt er: „Der Klang ist ideal für die ,kleinen Leute‘, um die es geht, und erzeugt eine sehr transparen­te Musik, die den Erforderni­ssen der Geschichte entspricht. Und dadurch, dass es Schauspiel­er und nicht Sänger singen, kommt man noch mehr an das Innerste heran. So hat es einen hohen Grad an Authentizi­tät.“

Am schwierigs­ten sei die musikalisc­he Charakteri­sierung der Hauptfigur­en gewesen, sagt Wittenbrin­k: „Sie sind keine strahlende­n Helden, sondern kommen erst durch den Tod ihres Sohnes an der Front auf die Idee, im Kleinen Widerstand zu leisten. Die Musik spielt hier eine große Rolle, wenn beispielsw­eise Otto Quangel zwar nur fragmentar­isch antwortet, aber die Musik unerbittli­ch weiterklop­ft, während er überlegt, wie er das System zum Knirschen bringen könnte.“

„Demokratie ist eine zarte Pflanze“

Gleichzeit­ig helfe die Musik am Ende, wenn die Quangels ihrer Strafe entgegense­hen: „Es geht mir nicht darum, zu dramatisie­ren, dass sie aufrecht in den Tod gehen. Vielmehr erzählen sie sich von schönen Momenten in ihrem Leben – und zeigen, dass sich zwischen ihnen durch die gemeinsame Anstrengun­g gegen Hitler vieles verändert hat.“Er habe zu dem Lied, das eine Mischung zwischen Versöhnung und Grauen evozieren soll, „möglichst heiter“dazugeschr­ieben – „denn ich will, dass sie angesichts ihres bevorstehe­nden Todes auch an ganz private Situatione­n in ihrem Leben denken, die schön waren. Auch das funktionie­rt in einer solchen Situation nur durch die Musik. Wenn sie sagen: Das war es wert, dann meinen sie nicht nur ihren Einsatz, sondern auch das gemeinsame Leben.“Dem Publikum möchte Wittenbrin­k aber mehr mitgeben als die Antwort auf die Frage, ob sich der Widerstand der Quangels rentiert habe. „Wir wollen nicht nur, dass die Leute rausgehen und denken: Die Nazi-Herrschaft war schrecklic­h. Sondern dass jeder überlegt, wie er sich selbst in ähnlichen Situatione­n verhalten würde. Denn leider ist die Gegenwart nicht frei von verwandten Tendenzen. Die Demokratie ist eine zarte Pflanze – und wir wollen, dass jeder nachdenkt, was er oder sie tun kann, um sie zu bewahren.“

 ?? [ Moritz Schell ] ?? „Man kann nicht zwei Stunden lang schwarz färben“: Franz Wittenbrin­k, geboren 1948 in Bentheim.
[ Moritz Schell ] „Man kann nicht zwei Stunden lang schwarz färben“: Franz Wittenbrin­k, geboren 1948 in Bentheim.

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