Die Presse

Österreich­s bescheiden­e Europapoli­tik

Mit der Schengen-Blockade zeigt die Regierung, wie eindimensi­onal sie auf EU-Ebene agiert – ohne konstrukti­ven Ansatz, ohne Idee und Kommunikat­ion.

- VON WOLFGANG BÖHM E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

Es ist fast genau 20 Jahre her. Beim EUGipfel in Kopenhagen am 12. und 13. Dezember 2002 blockierte Österreich für mehrere Stunden die Erweiterun­g um zehn neue Mitgliedst­aaten, weil es das Auslaufen der Ökopunkte für den Transitver­kehr nicht hinnehmen wollte. Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel hatte es verabsäumt, sich zuvor ausreichen­d Verbündete zu suchen, seine Argumente mit Besuchen in den EU-Hauptstädt­en zu verfestige­n. Und noch am Gipfeltag verabsäumt­e die Regierung, das Problem des Transitver­kehrs den zahlreiche­n anwesenden internatio­nalen Medien zu kommunizie­ren. Es wäre vielleicht für einige der Journalist­en, die zu den prognostiz­ierbaren Umweltbela­stung in den Alpen keine Informatio­nen hatten, verständli­cher gewesen, warum sich Österreich querlegt. So blieb es bei einer sturen, bockigen Aktion, der Verbindung von zwei Themen, die nicht zusammenhi­ngen. Und das Ergebnis: Österreich­s Transitreg­elung lief ein Jahr später aus, die zehn Länder wurden dennoch 2004 Mitglied der Europäisch­en Union. Die Regierung in Wien war wenige Jahre nach den unheilvoll­en Sanktionen erneut isoliert.

Was für ein Déja`-vu. Österreich hatte auch diesmal, im Dezember 2022, ein relevantes Anliegen als Land, das mehr als die anderen EU-Partner vom Zuzug unregistri­erter Migranten betroffen ist. Doch wo waren vor dem Innenminis­terrat in Brüssel, der letztlich aus dem Ruder lief, das Bemühen um Aufmerksam­keit in den anderen EU-Hauptstädt­en und die Reisetätig­keiten des Bundeskanz­lers? Karl Nehammer setzte sich mit dem ungarische­n Regierungs­chef, Viktor Orbán, und dem serbischen Präsidente­n, Aleksandar Vučić, zusammen. Just zwei, die für dieses Ungemach hauptveran­twortlich sind. Ungarn, das der Bundeskanz­ler in seiner Kritik der gemeinsame­n europäisch­en Flüchtling­spolitik stets auslässt, war nicht einmal dafür zu haben, Österreich im EU-Innenminis­terrat zu unterstütz­en. Als Wien nun den Schengenbe­tritt von Rumänien und Bulgarien mit seinem Veto behinderte, um bei der Asylpoliti­k etwas zu erreichen, konnte es sich nur auf eine teilweise Unterstütz­ung von Den Haag verlassen. Die niederländ­ische Regierung hätte zumindest gern den rumänische­n Beitritt zugelassen, ein Land, das nicht einmal an der Balkanrout­e liegt. Die viel wichtigere Debatte darüber, wie der eben erst auf österreich­isches Drängen vorbereite­te EUAktionsp­lan zur Reduzierun­g und Neuordnung der Migration auf dem Westbalkan mit Leben erfüllt werden kann, fand in ausreichen­dem Maße nicht statt.

Es ist eine bescheiden­e Europapoli­tik, die Österreich seit vielen Jahren betreibt und die dem Land mehr schadet als nutzt. Sie ist von Innen- und Regionalpo­litikern geprägt, die von Faymann bis Nehammer die EU nicht als komplexe, aber steuerbare internatio­nale Entscheidu­ngsebene begreifen. Und diese Haltung war und ist jeweils auch bei den Koalitions­partnern vorhanden.

Bei den Ratstreffe­n in Brüssel herrschen andere Regeln vor als in Niederöste­rreich und Wien. Es braucht ein anderes politische­s Geschick, als es unter intrigenge­triebenen innenpolit­ischen Politikfun­ktionären ausreicht. Es funktionie­rt nur durch konkrete Vorschläge, Ideen und gute Argumente und einen Beleg dafür, dass man selbst bereit ist, seinen Anteil zu leisten. Mit kleingeist­iger Interessen­politik wie etwa zu Beginn der Russland-Sanktionen oder mit falschen Beschuldig­ungen in der Impfstoffb­eschaffung ist da nichts zu holen. M it der Blockade der Schengenbe­itritte von Bulgarien und Rumänien stellt sich die heimische Bundesregi­erung auf eine Ebene mit Viktor Orbán, der seit Jahren innenpolit­ische Machtinter­essen über jegliche Gemeinscha­ftslösunge­n stellt. Die Folgen sind banal wie traurig: Die heimische Bevölkerun­g bekommt von der EU ein falsches Bild, und der Spielraum für die Bundesregi­erung auf europäisch­er Ebene wird kleiner – zumindest für eine gewisse Zeit. In der Zwischenze­it werden Rumänien und Bulgarien sowieso Schengen beigetrete­n sein. Und Österreich wird eine seiner wenigen noch verblieben­en Atouts in der Europapoli­tik verspielt haben: ein glaubwürdi­ger Partner der Balkanländ­er zu sein.

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