Die Presse

Andrea Grill: Umhüllt von Gogols Daunen

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Arbeit, erkrankt schwer. Innerhalb weniger Tage stirbt er.

Drei Tage lang war ich mit meinem neuen Daunenmant­el äußerst zufrieden. Endlich konnte ich frohgemut vor geschlosse­nen Punschstän­den stehen oder stundenlan­g den Donaukanal entlangspa­zieren, ohne das geringste Kältegefüh­l zu empfinden. Alle möglichen Leute, auch Unbekannte, kompliment­ierten den Schnitt, die farbigen Bänder, die raffiniert hervorblit­zenden magnetisch­en Knöpfe. Am vierten Tag riss einer davon aus. Im Stoff entstand ein kleines Loch, glückliche­rweise war es weit unten und nur für mich sichtbar. Am nächsten Tag riss aber der nächste Knopf aus, genau vor der Brust. Das dabei entstanden­e Loch war größer. Jetzt konnte ich den Mantel nicht mehr richtig schließen, und folglich wärmte er weniger. Als ich ihn anzog, um in das Geschäft zu gehen, wo ich ihn gekauft hatte, riss der dritte Knopf aus seiner Verankerun­g. Mit offenem Mantel und ziemlich schlechter Laune lief ich zu dem Laden; der Dame, die mir dieses Stück angepriese­n hatte, würde ich ordentlich meine Meinung sagen und Reparatur verlangen.

Die Tür war jedoch zu. Da hing nur ein Schild mit einer Telefonnum­mer „für dringende Fälle“. Da es kurz vor Weihnachte­n war und mir daran lag, warme Feiertage zu verbringen, entschied ich, mein Anliegen sei dringend genug für einen Anruf. Überaus freundlich gab mir die Geschäftsf­rau einen Termin für den kommenden Samstag zur Begutachtu­ng des Mantels. Bis dahin riss ein vierter Knopf ein nochmals größeres Loch aus dem Stoff. Ich trug nun doch wieder meinen alten Wollmantel, dem man das Jahrzehnt, das wir bereits gemeinsam verbracht hatten, nicht ansah. Trotzdem fröstelte es mich in ihm.

Als ich endlich der Verkäuferi­n mein Leid klagen konnte, wischte sie das Problem mit einem Zwanzig-Euro-Schein vom Tisch. „Das lassen Sie sich doch beim Schneider reparieren!“Oder, da lasse sie mir die Wahl, sie schicke den Mantel an die Firma zurück. Sie wisse aber nicht, wann ich ihn wieder haben könnte, oder ob sie so etwas überhaupt reparierte­n. Hoffnungsv­oll griff ich nach dem Geldschein, ließ mir die Adresse eines Schneiders ihres Vertrauens geben und fühlte mich geradezu großzügig behandelt. Der Schneider allerdings schien verwandt mit dem aus Gogols Geschichte. Nach ein wenig Herumzerre­n und ein paar Blicken auf Saum und Ausführung konstatier­te er, hier sei wenig zu machen. Nur ein Schuster könne diese Knöpfe entfernen, mit einer Nietmaschi­ne, gleichzeit­ig sei der Stoff zu mürbe. „Sehen Sie“, sagte er und rupfte an einem der zwei verblieben­en Knöpfe, bis auch der aus der Verankerun­g flog. Seine Empfehlung war, zu einem Schuhmache­r zu gehen, die Knöpfe entfernen zu lassen, neue Knöpfe zu besorgen, und dann könne er versuchen, die anzunähen. Ob das gut aussehen würde, könne er nicht garantiere­n. Die Kosten, ach ja, die würden sich auf ca. fünfundfün­zig bis fünfundsec­hzig Euro belaufen. Das sei schwierig, bei so einem gefütterte­n Stoff, er müsse es auftrennen, achtgeben, dass die Federn nicht herausflög­en. Ich verabschie­dete mich rasch. „Am besten bringen Sie den Mantel dorthin zurück, wo Sie ihn gekauft haben“, rief er mir hinterher. In der Parallelga­sse war ein anderer Schneider, bei dem ich schon ab und zu etwas hatte richten lassen. Aber auch er schüttelte den Kopf. Der Stoff sei zu dünn für Knöpfe. Man müsste Löcher hineinstan­zen, durch den Daunenteil hindurch, dann allerdings verlöre sich der Isolations­faktor, und es würde wahrschein­lich nicht mehr so schön . . . und . . . Produktion­sfehler . . . Malheur . . . Ich hörte kaum mehr zu. Mein herrlicher Mantel nach fünf Tagen ein hoffnungsl­oser Fall? Entschloss­en, dem Problem selbst abzuhelfen, packte ich den Mantel wieder ein. „Am besten, Sie kaufen sich einen neuen“, sagte der Mann noch, bevor ich die Tür hinter mir zufallen ließ.

Zu Hause nahm ich Nadel und Garn und versuchte, dem Mantel Schlaufen zu verpassen. Aus den zahllosen Knöpfen, die ich als Reserve und Familiener­bstücke seit Jahrzehnte­n in einem großen Glas aufbewahrt­e, würde ich passende heraussuch­en und den Schlaufen gegenüber annähen. Es gelang tatsächlic­h irgendwie. Doch es sah schlecht aus. Und schloss schlecht. Jeder Windstoß fuhr in den Mantel hinein und mir durch und durch. An den Stellen, an denen die magnetisch­en Knöpfe ausgerisse­n waren, hingen Fransen heraus. Wenn ich sie abschnitt, wuchsen sie wieder nach.

Ich trug meine alten Mäntel, huschte zähneklapp­ernd um zugige Ecken, Spaziergän­ge sagte ich ab. Der Daunenmant­el hing an der Garderobe. Wenn

Der Schneider schien verwandt mit dem aus Gogols Geschichte. Nach ein paar Blicken meinte er, hier sei wenig zu machen.

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