Tatortkoffer und Kafkas „Strafen“
Janko Ferk interpretiert Texte von Franz Kafka aus juristischer und forensischer Perspektive.
In seiner Eigenschaft als Richter, Universitätslehrer und Autor hat Janko Ferk eine beeindruckende Sammlung von Texten über Kafka verfasst. Diesmal sind es drei bekannte Erzählungen, die er virtuos neu auslegt. Seine interpretatorische Leistung folgt einer originären Methode: So gelingt die Aufhellung der sphingenhaften Texte aus einer juristischen und forensischen Perspektive. Ferk ergänzt die straf- und insolvenzrechtlichen Ausführungen mit biografischen Hinweisen und bietet eine Übersicht über das wichtigste Schrifttum zum Thema „Kafka und das Recht“.
Das Spannende an der neuen Anthologie ist, dass man die Texte zu kennen glaubt, aber im Licht von Ferks Ausführungen neu darüber zu denken beginnt. Welche von ihm geschaffene (daher „originäre“) Methode Ferk zur „Auslegung berühmter Geschichten“anwendet, erklärt er in einer „Notiz zum Buch“, einer Art Gebrauchsanleitung, die auch als Einführung in die Materie dient. Dann folgen die Erzählungen mit des Autors Interpretationsansätzen und juristisch fundierten, aber verständlich verfassten Erläuterungen.
Den weit gespannten Bogen schließt ein prägnanter literarischer Text zum Thema „Einheit von Schaffen und Tod“(S. 165–178) ab, ehe ein gut ausgewähltes Literaturverzeichnis und eine abschließende Würdigung das neue Kafka-Buch abrunden. Dem Leser wird ein ganzes Kompendium an Einsichten, Schlüsseln und essayistischen Texten über den kryptischen Prager geboten, nicht zu vergessen das Kafka-Porträt, ein Gemälde des Richters und Autors Ferk (am Einband) sowie eine Zeichnung der Tötungsmaschine, die an Kafkas eigene Skizzen seiner Selbst am Schreibtisch in bewusster perspektivischer Schieflage erinnert. Der Betrachter spürt förmlich, wie die spitzen Folternadeln der vom Offizier in der Strafkolonie hochgelobten Maschine in den Delinquenten stechen. Sogar über die Frage, wie Kafkas Pragerdeutsch geklungen haben mag, macht sich Janko Ferk Gedanken.
Entrechtete Figuren
In weiterer Folge gibt Ferk Aufschlüsse über die Erzählungen „Das Urteil“, „Die Verwandlung“sowie „In der Strafkolonie“, die auch alle vollständig im Band abgedruckt sind. Eingehend erklärt der Autor die damalige Rechtslage und vergleicht die bereits zu Kafkas Zeiten geltenden Verfahrensgrundsätze mit den entrechteten Figuren seiner unerbittlichen, wenn auch fiktiven Welt des Strafens. Auch das Vater-Sohn-Verhältnis kommt ausgiebig zur Sprache. Eine besondere Spezialität Ferks stellen seine scharfsichtigen Analysen der Prägung dar, die Kafka beim Studium durch den Grazer Strafrechtsprofessor Hans Gross erhalten hat. Dieser gilt als der Erfinder der Kriminalistik als Wissenschaft, einer Vorstufe der modernen Kriminologie. Auch der „Tatortkoffer“und die Evidenztafeln auf Tatorten hat Gross initiiert, die man alle im Grazer Kriminalmuseum besichtigen kann. Ab 1902 lehrte er in Prag – gerade richtig, um Max Brod und Franz Kafka in das Fach einzuführen.
Kafkas Erzählungen gehören zum Allgemeingut verstörender Prosaliteratur, die für alle in der Welt der Rechtswissenschaft Tätigen eine Pflichtlektüre darstellen.