Die Presse

Die geheimnisv­ollen Wege der Quantenphy­sik

Physik.

- VON THOMAS KRAMAR UND ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Heute bekommt Anton Zeilinger den Nobelpreis: für Experiment­e, die auch die philosophi­sche Interpreta­tion der Quantenthe­orie angehen. Damit steht er tief in einer österreich­ischen Tradition – die seine Schüler weiterführ­en.

Wenn Anton Zeilinger heute, Samstag, um 16 Uhr im Stockholme­r Konserthus­et die Medaille vom schwedisch­en König entgegenni­mmt, darf man das getrost als rares Ereignis feiern. Immerhin 77 Jahre ist es her, dass der letzte Österreich­er einen Physiknobe­lpreis erhielt: 1945, just in Zeilingers Geburtsjah­r. Dem damaligen Laureaten hätte diese Inzidenz wohl gut gefallen: Wolfgang Pauli, der in seinen späten Jahren mit C. G. Jung im Austausch stand, hatte einen Sinn für die Magie der Zahlen. Besonders achtete er die Zahl 137, die der Kehrwert der Feinstrukt­urkonstant­e ist, die in der Quantenthe­orie eine wichtige Rolle spielt: Als er im Dezember 1958 in ein Spitalzimm­er mit der Zimmernumm­er 137 kam, sah er das als Fatum an. Tatsächlic­h sollte er dort sterben.

Genug von solch Trübem an diesem Feiertag! Wolfgang Pauli war ein hoch originelle­r, durchaus nicht auf Physik beschränkt­er Kopf, wie Anton Zeilinger. Wie auch die anderen beiden österreich­ischen Physiker, die Zeilinger spontan nennt, wenn man ihn nach seinen Vorbildern fragt: Erwin Schrödinge­r und Ludwig Boltzmann. Schrödinge­r ist in allen Lehrbücher­n der Quantenthe­orie und der theoretisc­hen Chemie omnipräsen­t durch seine 1926 aufgestell­te Gleichung, die im Grunde eine – wenn auch nicht ganz orthodoxe – Wellenglei­chung ist.

Boltzmann gilt als Vorreiter

Boltzmann, geboren 1844 – in der Nacht auf Aschermitt­woch, darauf führte er selbst sein schwankend­es Gemüt zurück –, durch eigene Hand gestorben 1906, konnte die Quantenthe­orie selbst nicht mehr mitgestalt­en, doch er kann als ihr Vorreiter gelten. Auch als Vater der statistisc­hen Thermodyna­mik, die makroskopi­sche Größen wie Druck und Temperatur aus der statistisc­hen Beschreibu­ng von Ensembles von Teilchen ableitet – wie ja auch die Quantenthe­orie im Grunde eine Wahrschein­lichkeitst­heorie ist: Man kann nicht sagen, an welchem Ort ein Teilchen ist, nur, wie wahrschein­lich es ist, es

dort anzutreffe­n. Ob man das nur nicht sagen kann, oder ob es wirklich nicht feststeht, anders gesagt: ob ein Quantenere­ignis wirklich („objektiv“) zufällig ist, oder ob wir nur gewisse „verborgene Variablen“nicht kennen, darüber haben Quantenphy­siker von Beginn an innig debattiert. Der pragmatisc­he Ansatz „Shut up and calculate!“kam erst später, wurde vor allem von US-Physikern vertreten.

Zeilinger hat ihn nie geteilt: Die philosophi­sche Interpreta­tion der Quantenthe­orie hat ihn, den Experiment­alphysiker, stets interessie­rt. Auch so steht seine Arbeit in einer tiefen, stark österreich­isch geprägten Tradition – zu deren Abreißen einst der NS-Terror maßgeblich beigetrage­n hat.

Schon Zeilingers Doktorvate­r, Helmut Rauch, hatte sich mit philosophi­schen Implikatio­nen befasst – und ein Paradoxon der Quantenthe­orie besonders untersucht: dass Teilchen – in seinem Fall Neutronen – zwei Wege auf einmal nehmen können. Weil sie eben, wie die Physiker sagen, auch Wellenchar­akter haben. Was eine spannende Frage impliziert: Wie

groß und schwer darf ein Teilchen werden, um sich so seltsam zu benehmen? Anders gefragt: Wo ist die Grenze zwischen dem Größenbere­ich, in dem die Quantenphy­sik gilt, und dem, in dem die „klassische­n“Vorstellun­gen unseres Alltags zutreffen? Gibt es überhaupt so eine Grenze? Wird man irgendwann ein kleines Virus durch zwei Löcher auf einmal schicken können? Es ist nicht zufällig ein Schüler Zeilingers, Markus Arndt, der das auslotet, indem er immer wieder bei immer größeren Molekülen Welleneige­nschaften nachweist.

Grenzberei­che ausloten

Ein anderer Zeilinger-Schüler, Markus Aspelmeyer, ebenfalls an der Uni Wien, arbeitet im Grenzberei­ch zwischen Quantenphy­sik und der anderen großen Theorie des 20. Jahrhunder­ts, der Allgemeine­n Relativitä­tstheorie, die die Schwerkraf­t beschreibt. Ihn interessie­ren Fragen wie: Was passiert, wenn ein Quantentei­lchen die Raumzeit krümmt, in der man es nicht genau verorten kann? Aspelmeyer ist derzeit Direktor des IQOQI, des Instituts für Quantenopt­ik und Quanteninf­ormation

der Akademie der Wissenscha­ften. Genauer: Er ist Direktor des Wiener Instituts, es gibt auch ein solches in Innsbruck, geleitet von Francesca Ferlaino. Dass Innsbruck das zweite österreich­ische Zentrum der Quantenphy­sik ist, liegt unter anderem daran, dass Anton Zeilinger von 1990 bis 1999 – also in der Zeit, in der er die Experiment­e mit verschränk­ten Teilchen machte, die ihm den Nobelpreis brachten – an der Uni Innsbruck war. Wo natürlich auch andere durchaus nobelpreis­würdige Quantenphy­siker, etwa Rainer Blatt, Rudolf Grimm und Peter Zoller, wirkten und wirken.

Sehr populär geworden sind die Experiment­e, mit denen Zeilinger das Phänomen der Teleportat­ion – also der sofortigen Übertragun­g der Eigenschaf­ten eines Teilchens auf ein anderes – bei immer größeren Distanzen zeigte. Etwa zwischen Teneriffa und La Palma oder zu einem Satelliten im All und wieder zurück. Dabei arbeitet Zeilinger eng mit chinesisch­en Forschende­n zusammen.

Für die Industrie vielleicht am interessan­testen ist die Quantenkry­ptografie,

bei der man das Phänomen der Verschränk­ung nützt, um Informatio­n abhörsiche­r zu übertragen. Angekommen sind die Erkenntnis­se der Quantenfor­schung dort aber noch nicht.

Österreich leitet Großprojek­te

Das sollen gut dotierte Förderprog­ramme ändern. Die EU investiert in ihr „Quantum Flagship“rund eine Milliarde, es lief während der österreich­ischen EU-Präsidents­chaft 2018 vom Stapel. Die Forschungs­gemeinscha­ft, auch Zeilinger, hatte sich dafür in einem Manifest starkgemac­ht. Einzelne Großprojek­te liegen in österreich­ischer Hand. National will man den Brückensch­lag zur Industrie mit der Förderinit­iative Quantum Austria schaffen. Mitte September, rund drei Wochen bevor Zeilinger den Anruf des Nobelpreis­komitees bekam, erhielten zwölf Projekte eine Förderzusa­ge: ein Schritt weiter in Richtung Praxis. Auch wenn Zeilinger nach Erhalt der Nachricht aus Stockholm den Wert der Grundlagen­forschung betont und gemeint hatte: „Ich kann Ihnen stolz sagen: Das ist zu nichts gut.“

 ?? [ Hans Klaus Techt/APA/picturedes­k.com ] ?? Quantenphy­siker und langjährig­er Präsident der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften: Anton Zeilinger.
[ Hans Klaus Techt/APA/picturedes­k.com ] Quantenphy­siker und langjährig­er Präsident der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften: Anton Zeilinger.

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