Die Presse

Interview. In vier österreich­ischen Biosphären­parks wird nachhaltig­es Leben und Wirtschaft­en erprobt – als Zukunftsmo­delle für uns alle?

- VON PATRICIA MCALL I STER-KÄFER [ Privat]

Die Presse: Die Biosphären­parks (BP), deren wissenscha­ftliche Begleitung in Österreich an der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) angesiedel­t ist, verstehen sich als Modellregi­onen für eine nachhaltig­e Beziehung zwischen Mensch und Natur. Wie ist dabei in den vier österreich­ischen BP der Klimawande­l zu spüren?

Jörg Böckelmann: Der Klimawande l ist in den Biosphären­parkts sehr präsent. Mit der Knappheit der fossilen Energie und den steigenden Energiepre­isen steigt aber auch das Interesse an der Gewinnung erneuerbar­er Energien. Und das ist gut so, weil die Parks als Modellregi­onen aufzeigen sollen, wie wir insgesamt unsere Energiever­sorgung auf nachhaltig­e Beine stellen können. So lässt sich die Umstellung auch auf größere Skalen übertragen.

Wodurch zeichnet sich ein BP etwa im Unterschie­d zu einem Nationalpa­rk aus?

Nationalpa­rks bedeuten absoluten Naturschut­z, Menschen dürfen nicht eingreifen. In BP hingegen wohnen Menschen und wirtschaft­en dort auch. Dazu gibt es ganz klare Prinzipien: Während etwa in der BPKernzone Anlagen zur Energieerz­eugung – abgesehen von Insellösun­gen für Schutzhütt­en oder dergleiche­n – nicht erlaubt sind, versuchen die Biosphären­parks in der Entwicklun­gszone ihre Energie weitgehend vor Ort und nachhaltig zu produziere­n. Wasserkraf­t ist da ein etwas besonderes Thema, denn wenn das Wasser aufgestaut wird, sind auch Flussberei­che dahinter betroffen. In einer sehr gelungenen Zusammenar­beit des BP-Nationalko­mitees und der steirische­n Landesregi­erung wurde hier zum Beispiel gerade mit einem neuen Biosphären­parkgesetz Rechtsklar­heit geschaffen.

Solche Nutzungsko­nflikte treten im Zuge der Energiewen­de nun vermehr t auf, es gehen zum Beispiel Windkraftb­efürworter gegen -gegner auf die Barrikaden. Gibt es in den BP Modelle dafür, wie sich solche Konflikte verlässlic­h schlichten lassen?

Es gibt freilich keine Patentlösu­ng. Die Verantwort­lichen des BP müssen aber die drängendst­en Probleme identifizi­eren und den

Biosphären­parks in

Dialog mit allen Beteiligte­n suchen. Die Bevölkerun­g muss jedenfalls mit im Boot sein. Und alle müssen bereit sein, Kompromiss­e einzugehen. Wir denken da jetzt vor allem an BP in europäisch­en Ländern, aber es gibt weltweit ja 738 BP. Die Probleme im globalen Süden schauen oft ganz anders aus.

Sie arbeiten an der ÖAW mit heimischen Universitä­ten zusammen, haben aber auch ein Budget von 600.000 Euro für BPForschun­gsprojekte. Wohin fließt das?

Schwerpunk­te sind neben dem Schutz der Biodiversi­tät auch Modelle zum Umgang mit Nutzungsko­nflikten und Klima-Anpassunge­n. Denn es wird wärmer werden, selbst wenn wir den CO2-Ausstoß morgen auf null senken würden. Und das gerade im Gebirge. Wenn wir zu Biodiversi­tät forschen wollen, beginnt das ganz oft beim Erheben dessen, was da ist bzw. was sich verändert. Drohnen spielen dabei eine immer größere Rolle, aber auch Satelliten­erkundunge­n.

Woran konkret wird in BP geforscht?

Etwa an jenen bedrohten Tier- und Pflanzenar­ten, die nur in Habitaten leben können, die wir Menschen über Jahrhunder­te durch unsere Nutzung verändert haben, etwa für die Heuprodukt­ion bewirtscha­ftete Wiesen oder Almen. Das ist eine Co-Evolution sozialökol­ogischer Systeme, „land sharing“und integrativ­er Naturschut­z (wie in den BP) ist hier von „land sparing“(segregativ­er Naturschut­z – hier Wildnis und überall sonst Ausbeutung der Natur) zu unterschei­den. Ohne die menschlich­e Nutzung können viele Lebensräum­e gefährdete­r Arten nicht erhalten werden. In den BP stehen also in der Tat die Natur und der Mensch im Mittelpunk­t.

Mit welchen Problemen sind Sie in den BP konfrontie­rt?

Da ist viel der Abwanderun­g geschuldet. Wir brauchen in der Region findige und nachhaltig­e Ideen, die auch der Bevölkerun­g vor Ort eine Perspektiv­e geben, Initiative­n direkt aus der Bevölkerun­g sind da essenziell. Da kann unter Umständen auch die Unesco-Auszeichnu­ng als neuer BP hilfreich sein: Die Menschen vor Ort könnten merken, dass das ein spannendes Entwicklun­gsmodell ist. In der Tat gibt es auch gerade Bestrebung­en, einen fünften BP in Österreich zu etablieren.

Erhält eine Region dafür eine Förderung?

Die Finanzieru­ng ist jeweils Länder- bzw. Gemeindesa­che. Aber am Ende des Tages schafft ein BP einen Mehrwert, die Region wird attraktive­r, siehe etwa den Wienerwald mit seinem großen Wert für die lokale Bevölkerun­g. Natürlich müssen immer wieder

Kompromiss­e gefunden werden, man muss miteinande­r ins Gespräch kommen, auch bei sehr divergiere­nden Interessen.

Dabei ist das Konzept der „Transdiszi­plinarität“von Bedeutung – können Sie uns dieses erläutern?

Interdiszi­plinarität ist vielen ein Begriff. Sie bedeutet, dass Wissenscha­ftler verschiede­ner Diszipline­n zusammenar­beiten. In den ÖAW-Programmen „Earth System Sciences“und „Mensch und Biosphäre“geht man mit der Transdiszi­plinarität noch einen Schritt weiter: Auch das Wissen von Personen und Interessen­svertreter­n außerhalb der Wissenscha­ft wird miteinbezo­gen, Landwirtin­nen und Jäger, Bürgermeis­terinnen und Fischer. Ihr lokales Know-how ist für die Wissenscha­ft von großer Relevanz. So eine Zusammenar­beit

ZUR PERSON

(39) ist an der Akademie der Wissenscha­ften für das vom Wissenscha­ftsministe­rium finanziert­e Earth-System-SciencesPr­ogramm zuständig. Dazu gehören u. a. das Nationalko­mitee Mensch und Biosphäre der Unesco (zu welchem die Biosphären­parks zählen).

Dieser Österreich-Ableger feiert 2023 sein 50-jähriges Bestehen. Böckelmann ist Ökologe, hat in Halle an der Saale studiert und an der Boku in Wien promoviert.

auf Augenhöhe birgt natürlich auch Probleme und benötigt mehr Zeit. Aber es ist die einzige Möglichkei­t, wie wir gemeinsam in die Zukunft gehen können.

Innerhalb welcher Sphären ist so eine Zusammenar­beit möglich?

Workshops sind ganz wichtig – aber vor Projektbeg­inn, nicht im Nachhinein. Wir sind soziale Wesen, wenn wir uns nicht eingebunde­n fühlen, kann das nur schwer zum Erfolg führen. Das ist dabei auch ein schöner Effekt der BP: dass Leute mit ähnlichen Sorgen in Austausch und Beziehung treten; dass problemati­sche Themen auch jenen zugetragen werden, die nicht permanent damit konfrontie­rt sind.

Wie sehen Sie – auch als Zuständige­r des ESS-Förderungs­programms – die Erreichbar­keit

KLIMA IM WANDEL des in Paris gesteckten 1,5-GradZiels?

Grundsätzl­ich bin ich froh, dass die Diskussion endlich Fahrt aufgenomme­n hat, dass alternativ­e Energiefor­men tatsächlic­h attraktive­r geworden sind. Am Ende müssen wir alle in einer Art und Weise leben, in der wir die Umwelt nicht mehr belasten als innerhalb der planetaren Grenzen möglich. Für uns in Österreich würde dies etwa bedeuten, insgesamt nicht mehr als zwei Tonnen CO2 pro Kopf auszustoße­n. Zum Vergleich: 2021 hat jeder und jede von uns 2,7 Tonnen schon allein in Bezug auf den Verkehr verbraucht, damit sind die Bereiche Wohnen und Ernährung noch gar nicht erfasst. Mit dieser Dimension vor Augen sehen wir: Es ist noch ein langer Weg. Wir müssen viele Dinge, die wir gewohnt sind, überdenken.

Wir werden verzichten müssen?

Diese Frage, die immer wieder auch in den BP – z. B. in den Biosphären­parkschule­n – auftaucht, lässt sich auch anders stellen: Was braucht es für ein geglücktes Leben? Wir können die Transforma­tion auch so gestalten, dass wir mehr haben. Zum Beispiel: mehr Zeit für Familie, Freunde und Naturerleb­nisse.

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[ BPWW/L. Lammerhube­r] Biosphären­park Wienerwald: Testfeld für eine neue Beziehung zwischen Mensch und Natur.
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Jörg Böckelmann

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