Interview. In vier österreichischen Biosphärenparks wird nachhaltiges Leben und Wirtschaften erprobt – als Zukunftsmodelle für uns alle?
Die Presse: Die Biosphärenparks (BP), deren wissenschaftliche Begleitung in Österreich an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) angesiedelt ist, verstehen sich als Modellregionen für eine nachhaltige Beziehung zwischen Mensch und Natur. Wie ist dabei in den vier österreichischen BP der Klimawandel zu spüren?
Jörg Böckelmann: Der Klimawande l ist in den Biosphärenparkts sehr präsent. Mit der Knappheit der fossilen Energie und den steigenden Energiepreisen steigt aber auch das Interesse an der Gewinnung erneuerbarer Energien. Und das ist gut so, weil die Parks als Modellregionen aufzeigen sollen, wie wir insgesamt unsere Energieversorgung auf nachhaltige Beine stellen können. So lässt sich die Umstellung auch auf größere Skalen übertragen.
Wodurch zeichnet sich ein BP etwa im Unterschied zu einem Nationalpark aus?
Nationalparks bedeuten absoluten Naturschutz, Menschen dürfen nicht eingreifen. In BP hingegen wohnen Menschen und wirtschaften dort auch. Dazu gibt es ganz klare Prinzipien: Während etwa in der BPKernzone Anlagen zur Energieerzeugung – abgesehen von Insellösungen für Schutzhütten oder dergleichen – nicht erlaubt sind, versuchen die Biosphärenparks in der Entwicklungszone ihre Energie weitgehend vor Ort und nachhaltig zu produzieren. Wasserkraft ist da ein etwas besonderes Thema, denn wenn das Wasser aufgestaut wird, sind auch Flussbereiche dahinter betroffen. In einer sehr gelungenen Zusammenarbeit des BP-Nationalkomitees und der steirischen Landesregierung wurde hier zum Beispiel gerade mit einem neuen Biosphärenparkgesetz Rechtsklarheit geschaffen.
Solche Nutzungskonflikte treten im Zuge der Energiewende nun vermehr t auf, es gehen zum Beispiel Windkraftbefürworter gegen -gegner auf die Barrikaden. Gibt es in den BP Modelle dafür, wie sich solche Konflikte verlässlich schlichten lassen?
Es gibt freilich keine Patentlösung. Die Verantwortlichen des BP müssen aber die drängendsten Probleme identifizieren und den
Biosphärenparks in
Dialog mit allen Beteiligten suchen. Die Bevölkerung muss jedenfalls mit im Boot sein. Und alle müssen bereit sein, Kompromisse einzugehen. Wir denken da jetzt vor allem an BP in europäischen Ländern, aber es gibt weltweit ja 738 BP. Die Probleme im globalen Süden schauen oft ganz anders aus.
Sie arbeiten an der ÖAW mit heimischen Universitäten zusammen, haben aber auch ein Budget von 600.000 Euro für BPForschungsprojekte. Wohin fließt das?
Schwerpunkte sind neben dem Schutz der Biodiversität auch Modelle zum Umgang mit Nutzungskonflikten und Klima-Anpassungen. Denn es wird wärmer werden, selbst wenn wir den CO2-Ausstoß morgen auf null senken würden. Und das gerade im Gebirge. Wenn wir zu Biodiversität forschen wollen, beginnt das ganz oft beim Erheben dessen, was da ist bzw. was sich verändert. Drohnen spielen dabei eine immer größere Rolle, aber auch Satellitenerkundungen.
Woran konkret wird in BP geforscht?
Etwa an jenen bedrohten Tier- und Pflanzenarten, die nur in Habitaten leben können, die wir Menschen über Jahrhunderte durch unsere Nutzung verändert haben, etwa für die Heuproduktion bewirtschaftete Wiesen oder Almen. Das ist eine Co-Evolution sozialökologischer Systeme, „land sharing“und integrativer Naturschutz (wie in den BP) ist hier von „land sparing“(segregativer Naturschutz – hier Wildnis und überall sonst Ausbeutung der Natur) zu unterscheiden. Ohne die menschliche Nutzung können viele Lebensräume gefährdeter Arten nicht erhalten werden. In den BP stehen also in der Tat die Natur und der Mensch im Mittelpunkt.
Mit welchen Problemen sind Sie in den BP konfrontiert?
Da ist viel der Abwanderung geschuldet. Wir brauchen in der Region findige und nachhaltige Ideen, die auch der Bevölkerung vor Ort eine Perspektive geben, Initiativen direkt aus der Bevölkerung sind da essenziell. Da kann unter Umständen auch die Unesco-Auszeichnung als neuer BP hilfreich sein: Die Menschen vor Ort könnten merken, dass das ein spannendes Entwicklungsmodell ist. In der Tat gibt es auch gerade Bestrebungen, einen fünften BP in Österreich zu etablieren.
Erhält eine Region dafür eine Förderung?
Die Finanzierung ist jeweils Länder- bzw. Gemeindesache. Aber am Ende des Tages schafft ein BP einen Mehrwert, die Region wird attraktiver, siehe etwa den Wienerwald mit seinem großen Wert für die lokale Bevölkerung. Natürlich müssen immer wieder
Kompromisse gefunden werden, man muss miteinander ins Gespräch kommen, auch bei sehr divergierenden Interessen.
Dabei ist das Konzept der „Transdisziplinarität“von Bedeutung – können Sie uns dieses erläutern?
Interdisziplinarität ist vielen ein Begriff. Sie bedeutet, dass Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zusammenarbeiten. In den ÖAW-Programmen „Earth System Sciences“und „Mensch und Biosphäre“geht man mit der Transdisziplinarität noch einen Schritt weiter: Auch das Wissen von Personen und Interessensvertretern außerhalb der Wissenschaft wird miteinbezogen, Landwirtinnen und Jäger, Bürgermeisterinnen und Fischer. Ihr lokales Know-how ist für die Wissenschaft von großer Relevanz. So eine Zusammenarbeit
ZUR PERSON
(39) ist an der Akademie der Wissenschaften für das vom Wissenschaftsministerium finanzierte Earth-System-SciencesProgramm zuständig. Dazu gehören u. a. das Nationalkomitee Mensch und Biosphäre der Unesco (zu welchem die Biosphärenparks zählen).
Dieser Österreich-Ableger feiert 2023 sein 50-jähriges Bestehen. Böckelmann ist Ökologe, hat in Halle an der Saale studiert und an der Boku in Wien promoviert.
auf Augenhöhe birgt natürlich auch Probleme und benötigt mehr Zeit. Aber es ist die einzige Möglichkeit, wie wir gemeinsam in die Zukunft gehen können.
Innerhalb welcher Sphären ist so eine Zusammenarbeit möglich?
Workshops sind ganz wichtig – aber vor Projektbeginn, nicht im Nachhinein. Wir sind soziale Wesen, wenn wir uns nicht eingebunden fühlen, kann das nur schwer zum Erfolg führen. Das ist dabei auch ein schöner Effekt der BP: dass Leute mit ähnlichen Sorgen in Austausch und Beziehung treten; dass problematische Themen auch jenen zugetragen werden, die nicht permanent damit konfrontiert sind.
Wie sehen Sie – auch als Zuständiger des ESS-Förderungsprogramms – die Erreichbarkeit
KLIMA IM WANDEL des in Paris gesteckten 1,5-GradZiels?
Grundsätzlich bin ich froh, dass die Diskussion endlich Fahrt aufgenommen hat, dass alternative Energieformen tatsächlich attraktiver geworden sind. Am Ende müssen wir alle in einer Art und Weise leben, in der wir die Umwelt nicht mehr belasten als innerhalb der planetaren Grenzen möglich. Für uns in Österreich würde dies etwa bedeuten, insgesamt nicht mehr als zwei Tonnen CO2 pro Kopf auszustoßen. Zum Vergleich: 2021 hat jeder und jede von uns 2,7 Tonnen schon allein in Bezug auf den Verkehr verbraucht, damit sind die Bereiche Wohnen und Ernährung noch gar nicht erfasst. Mit dieser Dimension vor Augen sehen wir: Es ist noch ein langer Weg. Wir müssen viele Dinge, die wir gewohnt sind, überdenken.
Wir werden verzichten müssen?
Diese Frage, die immer wieder auch in den BP – z. B. in den Biosphärenparkschulen – auftaucht, lässt sich auch anders stellen: Was braucht es für ein geglücktes Leben? Wir können die Transformation auch so gestalten, dass wir mehr haben. Zum Beispiel: mehr Zeit für Familie, Freunde und Naturerlebnisse.