Einkehrschwung auf dem Drachenberg
Lesotho. Das kleine „Königreich im Himmel“im Süden Afrikas ist das höchstgelegene Land der Welt. Die Luft ist dünn und kalt. Und es gibt Skihütten auf den Bergen.
Kann man sich die österreichische Flagge mit einem Steirerhut in der Mitte vorstellen, wahlweise mit Gamsbart oder Auerhahnfeder? Heimatliebe kann weit gehen, und so kamen gar keine Modediskussionen auf, als Lesotho seine blau-weiß-grüne Trikolore mit dem Mokorotlo, einem kegelförmigen Strohhut, einführte. Dieser praktische Regenund Sonnenschutz ersetzt seit 2006 ein Ensemble aus Speer, Streitkeule und Schild auf der Flagge, die manchen ein wenig überholt schienen und in den Malls von Maseru, der Landeshauptstadt, selten geworden sind. 300 Sonnentage ohne viel Schatten, dazu 100 Gewittertage im Sommer – so ein Hut ist praktisch, auf einer subtropischen Breitenlage wie Rio oder Brisbane.
Das Königreich Lesotho, 1868 bis 1966 Basutoland genannt, ist eine parlamentarische Monarchie im südlichen Afrika. Es ist ein ethnisch homogenes Land mit einer gemeinsamen Kultur, Identität und Tradition, anders als in den meisten Regionen Afrikas: 99 Prozent der zwei Millionen Einwohner sind Basotho. König Letsie III. regiert eine gebirgige Enklave inmitten der Republik Südafrika, etwa so groß wie Belgien, doch deutlich höher. Als einziges unabhängiges Land der Erde liegt das Staatsgebiet über 1390 Metern, mit Gipfeln von fast 3500 m, wobei etwa 80 Prozent der Fläche über 1800 m liegen.
Karge Berge, satte Wiesen
Und so ist das westliche Tiefland eigentlich selbst schon ein Hochplateau, das sogenannte Highveld, voller fruchtbarer Flusstäler und karger Tafelberge aus Sandstein, die fast ein wenig an das Monument Valley in Utah erinnern. Der Qiloane-Berg bei Thaba Bosiu, 20 Kilometer außerhalb der Hauptstadt Maseru, etwa gilt als Vorbild für den Mokorotlo, den Strohhut. Die Besteigung des Plateaus
hinter dem Thaba Bosiu Cultural Village, das 2016 eröffnet wurde, dauert gerade einmal 20 Minuten, die Steintreppe hinauf ist nicht zu verfehlen. Doch ohne Führer geht gar nichts, denn dort oben finden sich die Überreste der Behausungen und Grabstätten von König Moshoeshoe I., der als Gründungsvater der BasothoNation gilt. Und unten tut sich wenig, die runden Bungalows der Hotelanlage des Schaudorfes sind menschenleer, und der Herr im Wintermantel an der Kasse wirkt gestört, spielt er doch gerade Fifa auf seinem Tablet. „Sorry, no change“, sagt er. Das Retourgeld haben wir im Souvenirshop gut, wo es – nicht ganz unerwartet – Aschenbecher in Rundhüttenform, Strohhüte und winzige Moshoeshoes zu erstehen gibt.
Das Gebiet ist Unesco-Weltkulturerbe, genauso wie seit 2013 der Sehlabathebe-Nationalpark an der Ostgrenze zu Südafrika, Lesothos einziger offizieller Nationalpark und Teil der Maloti Drakensberg Transboundary World Heritage Site: Sattgrüne Wiesen, umrahmt von den schroffen Gipfeln der Drakensberge. Allein hier finden sich 65 Fundorte mit Felsmalereien, die ältesten Zehntausende Jahre alt, die jüngsten ein Jahrhundert. Diese Felsmalereien finden sich im ganzen hochgebirgigen Osten des Landes, oft kaum
zugänglich in tief ausgespülten Flusstälern und Höhlensystemen.
35.000 Zeichnungen in über 600 Orten sind in den Drakensbergen bekannt. Die Höhlen von Liphofung, wo sich der junge Moshoeshoe der Legende nach jahrelang versteckt hat, sind heute leicht zugänglich, wenn einspurige Serpentinen und 20 Prozent Gefälle nicht stören. „Die San waren Buschmänner“, sagt der junge Führer in Ranger-Uniform, „sie haben sich mit Pflanzen berauscht, gerieten in Trance und fühlten, wie ihnen Hörner wuchsen. Und dann wollten sie nur mehr malen, meistens Elenantilopen.“
Antilopen findet man wenige heute, dafür viele Hirten mit noch mehr Weidevieh, dick eingewickelt in bunte Basotho-Decken, nicht wenige mit wollenen Bankräubermützen, Seeschlitze inklusive. Es ist kalt hier heroben auf fast 3000 Metern, ein paar steinerne Rundhütten, keine Geschäfte oder Restaurants auch in den paar Bergdörfern entlang des Masuti Highway. Dafür weisen Fahnen vor manchen Häusern auf Verköstigung hin: Fleischspeisen (rote Flagge), oder doch lieber vegetarisch (grüne Flagge)? Dazu vielleicht süßliches Ananas-Bier (gelbe Flagge) oder lieber die Lokalversion aus Mais und Hefe (weiße Flagge)? Vielleicht hätte man doch beim Spar in Butha-Butha, dem letzten größeren Ort nach der Grenze zu Südafrika, etwas mehr Proviant ausfassen sollen.
Skistock statt Speer
Berauscht auf den verschlungenen Bergstraßen durch das Land zu fahren, ist keine brillante Idee. Viele davon sind mittlerweile mit Südafrikas Hilfe gut asphaltiert, beruht doch die Wasserversorgung des gesamten Großraums Johannesburg-Soweto auf riesigen Speicherseen wie Katse und Co. Unendliche Weiten mit grandiosen Aussichten, menschenleer bis auf ein paar südafrikanische Motorradgangs auf Überlandpartie. Ab und zu ein Eselkarren und viele Reiter. Und etliche Rekorde: Die Sani-Pass-Straße, ein Steilabbruch von 2900 m hinunter Richtung Durban in Südafrika, soll die drittsteilste Passstraße der Welt sein und überwindet auf fünf Kilometern 1300 Höhenmeter. Das höchst gelegene Eiskletterrevier Afrikas, die Lepegoa-Kaskaden. Und der Maletsunyane-Wasserfall, an der Abbruchkante der Basaltfelsen der Drakensberge hinunter zum Highveld bei Semonkong, ist mit etwa 192 Metern der höchste ununterbrochene Wasserfall im südlichen Afrika.
Und dann ist da noch das AfriSki Resort hinter Oxbow, ein Wintersportgebiet mit zwei Pisten zu je 500 Metern, einem Schlepplift und einem Snowboard und Tubing Funpark. Ohne Schneekanonen geht im Juli, hierorts in der winterlichen Trockenzeit, auch auf 3030 Metern wenig, doch das tut der Hüttengaudi keinen Abbruch. „Ab 15 Uhr beginnt die Happy Hour mit Free Skiing“, sagt Mike aus Jo’burg, der mit dem Auto fünf Stunden her braucht und schon am Vormittag mehr mit Jägermeister
als mit Maisbier anfangen kann. Es gibt Kinderskikurse und Rennen, Bratwurst und Schnaps, Schlagermusik und andere Stimmungsmacher. Fette Geländewägen statt magerer Basotho-Pferde, Skistock statt Speer. Die Chalets namens Seefeld und St. Moritz sind für jene, die länger bleiben wollen, mit oder ohne Fahne. Spätestens jetzt bleibt die Luft weg. Schräger geht’s kaum noch, nicht nur wegen der Steilstufen der Drakensberge.
Ob bald ein Skihelm neues Symbol auf der Flagge sein wird, bleibt abzuwarten.