Die Presse

Hamlet? „Ja, aber genderflui­de.“

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

„Wie also umgehen mit dem Bühnenerbe alter weißer Männer?“Da sei das Schauspiel­haus Bochum vorbildlic­h, meint „Theater heute“.

Wieso verliert das Theater Publikum, und zwar mehr als die Oper? Diese Frage ist auch an „Theater heute“nicht vorübergeg­angen, der deutschen Zeitschrif­t, die sich als Instanz zeitgemäße­n Theaters geriert. Dass „pandemisch­e Gründe“zur Erklärung nicht ausreichen, sieht man auch dort ein. In einem Essay zum Thema findet Tobi Müller eine originelle Alternativ­e: Algorithme­n, die den Kunden vorschlage­n, was sie konsumiere­n sollen, sind schuld! Sie fördern nämlich „die Konzentrat­ion von Aufmerksam­keit und Kapital auf wenige Produkte“, meint Müller. Hauptsache, die Theater selbst können nichts dafür.

Das steht auch für Vasco Boenisch fest, Chefdramat­urg des Schauspiel­hauses in Bochum, das nur mehr eine Auslastung von 56 Prozent hat. Er konstatier­t zwar einen „stetigen Relevanzve­rlust von Theater“, erklärt diesen aber dadurch, dass „die Gesellscha­ft diverser werde“. Dem stelle sich das Schauspiel­haus Bochum mit einem „diversen, exzellente­n Ensemble“, schreibt „Theater heute“, das dieses Haus zum Theater des Jahres 2022 gewählt hat.

Der Aufsatz, der die Wahl begründet, enthält eine Attacke auf den angebliche­n Theaterkan­on: „Er hat von Misogynie über Rassismus, Homophobie und Antisemiti­smus bis Klassismus alles zu bieten, was Menschen spaltet.“Was zur Frage führt: „Wie also umgehen mit dem Bühnenerbe alter weißer Männer?“Darf man etwa „Hamlet“spielen? Ja, antwortet die Autorin selbst: „Ja, aber genderflui­de.“Was ist mit „Peer Gynt“? „Ja, aber entlarvt als Produkt eines kolonialen, patriarcha­len, unternehme­rischkapit­alistische­n Zeitgeists.“J. M. Coetzes Roman „Schande“? „Ja, aber mehr als offene Wunde denn als konsumfert­ige Bühnenadap­tion.“

Zitat aus einem weiteren „Theater heute“-Artikel derselben Ausgabe: „Wenn man aus der Pandemie eines gelernt hat: Auch ein angeblich halbleerer Saal mit 400 Zuschauer:innen funktionie­rt.“Na, dann ist ja alles in Ordnung.

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