Hamlet? „Ja, aber genderfluide.“
„Wie also umgehen mit dem Bühnenerbe alter weißer Männer?“Da sei das Schauspielhaus Bochum vorbildlich, meint „Theater heute“.
Wieso verliert das Theater Publikum, und zwar mehr als die Oper? Diese Frage ist auch an „Theater heute“nicht vorübergegangen, der deutschen Zeitschrift, die sich als Instanz zeitgemäßen Theaters geriert. Dass „pandemische Gründe“zur Erklärung nicht ausreichen, sieht man auch dort ein. In einem Essay zum Thema findet Tobi Müller eine originelle Alternative: Algorithmen, die den Kunden vorschlagen, was sie konsumieren sollen, sind schuld! Sie fördern nämlich „die Konzentration von Aufmerksamkeit und Kapital auf wenige Produkte“, meint Müller. Hauptsache, die Theater selbst können nichts dafür.
Das steht auch für Vasco Boenisch fest, Chefdramaturg des Schauspielhauses in Bochum, das nur mehr eine Auslastung von 56 Prozent hat. Er konstatiert zwar einen „stetigen Relevanzverlust von Theater“, erklärt diesen aber dadurch, dass „die Gesellschaft diverser werde“. Dem stelle sich das Schauspielhaus Bochum mit einem „diversen, exzellenten Ensemble“, schreibt „Theater heute“, das dieses Haus zum Theater des Jahres 2022 gewählt hat.
Der Aufsatz, der die Wahl begründet, enthält eine Attacke auf den angeblichen Theaterkanon: „Er hat von Misogynie über Rassismus, Homophobie und Antisemitismus bis Klassismus alles zu bieten, was Menschen spaltet.“Was zur Frage führt: „Wie also umgehen mit dem Bühnenerbe alter weißer Männer?“Darf man etwa „Hamlet“spielen? Ja, antwortet die Autorin selbst: „Ja, aber genderfluide.“Was ist mit „Peer Gynt“? „Ja, aber entlarvt als Produkt eines kolonialen, patriarchalen, unternehmerischkapitalistischen Zeitgeists.“J. M. Coetzes Roman „Schande“? „Ja, aber mehr als offene Wunde denn als konsumfertige Bühnenadaption.“
Zitat aus einem weiteren „Theater heute“-Artikel derselben Ausgabe: „Wenn man aus der Pandemie eines gelernt hat: Auch ein angeblich halbleerer Saal mit 400 Zuschauer:innen funktioniert.“Na, dann ist ja alles in Ordnung.