Fluchtmigration und Arbeitsmarkt sind nicht unbedingt Gegensätze
Hierzulande bemüht man sich viel zu wenig um jene irregulären Migranten, die willens und in der Lage sind, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Es ist in Zeiten, in denen die Staatsanwaltschaft einer Ex-Vizepräsidentin des Europaparlaments unter anderem „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption“vorwirft, vielleicht nicht das zündendste Europa bewegende Thema. Aber dafür eines, das uns noch länger verfolgen wird: das Versagen Europas in zwei wirtschaftlich sehr wichtigen Bereichen. In der Energiepolitik, wo der zweitmächtigste Wirtschaftsblock der Welt gegenüber wichtigen Energie- und Rohstofflieferanten sehr zersplittert und damit schwach auftritt. Und vor allem in der völlig entglittenen irregulären Migration über die Asylschiene, die die hiesigen Sozialsysteme immer stärker überdehnt, dem unter zunehmendem Fachkräftemangel leidenden Arbeitsmarkt aber nicht nützt.
Da stimmt etwas nicht. Die augenscheinliche Lösung – striktes Management der Außengrenze, klare Abweisung von Migranten ohne Asylgrund, dafür aktive Anwerbung von Arbeitskräften mit Qualifikation oder Qualifikationspotenzial – wird es noch lange nicht geben. So realistisch muss man sein.
Man wird also aus den unschönen Gegebenheiten – etwa dem Faktum, dass über die klassischen Migrationsrouten heuer extrem viele schwer integrierbare Analphabeten nach Österreich gekommen sind – das Beste machen müssen. Und sich stärker um jenen Teil der Migration bemühen, der sehr wohl Arbeitsmarktpotenzial hat. Der aber derzeit um die Sozialparadiese Österreich und Deutschland eher einen Bogen macht.
Ein Beispiel dafür, das allerdings immer noch weit unter dem Radar der hiesigen „händeringend“Arbeitskräfte Suchenden liegt, ist die Fluchtbewegung vor den wirtschaftlichen und politischen Zuständen in Lateinamerika, vor allem aus Venezuela. Dort tobt zwar kein Krieg, dafür aber der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der es unter seinem Konkursverwalter Nicolás Maduro geschafft hat, das BIP des erdölreichsten Landes der Welt in acht Jahren um 75 Prozent einbrechen zu lassen und 94 Prozent der Bevölkerung unter die Armutsschwelle zu drücken.
Die Folge ist die laut UNO aktuell zweitgrößte Füchtlingskatastrophe der
Welt. Sieben Millionen, ein Viertel der Bevölkerung, haben das Land seit 2015 verlassen. Nur Syrien hat einen noch größeren Aderlass erlebt.
Ein nicht unerheblicher Teil, nämlich deutlich mehr als eine halbe Million, ist in Europa gelandet. Überwiegend klarerweise in Spanien, aber auch in Italien, Portugal und Deutschland wächst die Anzahl.
Wieso man davon in der Öffentlichkeit so wenig merkt? Nun: Sie integrieren sich, wie „Der Spiegel“vor einiger Zeit verblüfft anmerkte, „geräuschlos“. Weil der Weg zum Asylantrag in der EU in diesem Fall nicht über Schlepper, sondern über eine Einreise als Tourist erfolgt (was Ausgaben für ein Retourflugticket zwingend erfordert), kommt eher die besser gebildete Mittelschicht. Und begibt sich in der Regel sehr schnell auf Arbeitssuche. Nur: In Spanien ist die Arbeitslosenrate relativ hoch.
Ja, auch diese Form der Migration ist irregulär. Und sie funktioniert wie überall in Europa: Nur wenige erhalten wirklich Asyl, aber fast keiner geht zurück. Doch hier liegt ungehobenes Potenzial für den Arbeitsmarkt und die gesellschaftliche Weiterentwicklung – wenn sie „nun einmal da sind“, wie das die verflossene deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal so unübertroffen fatalistisch erklärt hatte.
Und jetzt die Zwölferfrage: Wieso kümmern sich die „händeringend“Arbeitskräfte Suchenden in Mitteleuropa nicht stärker und aktiver um diese Gruppe, statt nur hilflos das immer schlechter werdende Bildungsniveau der nach Österreich und Deutschland Strömenden zu bejammern?
Man könnte damit ja immerhin den Beweis erbringen, dass Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft nicht diese Mammutaufgabe ist, wenn die Betroffenen auch wollen. Und man könnte daraus die Konsequenzen ziehen. Auch wenn diese unangenehm wären, weil sie so manches Narrativ auf beiden Seiten des politischen Spektrums zum Einsturz brächten.