Die Presse

„Letzte Generation“unter Anfangsver­dacht als kriminelle Gruppe

Deutschlan­d. Ermittler führten Razzia bei Klimaaktiv­isten durch. Diese sehen einen „Einschücht­erungsvers­uch“.

- V on unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Am Dienstagvo­rmittag machten die Klimaaktiv­isten es selbst öffentlich. „Heute ab 5 Uhr morgens gab es 11 Hausdurchs­uchungen bei uns. Vorwurf ,Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g’. Elektronis­che Geräte, wie Laptops und Handys, wurden konfiszier­t“, stand auf dem offizielle­n TwitterKan­al jener Gruppe, die unter dem Namen „Letzte Generation“bekannt ist. Die Polizisten hätten auch ihre Kleiderkäs­ten durchwühlt und Plakate mitgenomme­n.

Die Staatsanwa­ltschaft der brandenbur­gischen 30.000-Einwohner-Stadt Neuruppin nördlich von Berlin bestätigte kurz darauf: Das dortige Amtsgerich­t habe die elf Hausdurchs­uchungen in verschiede­nen Bundesländ­ern angeordnet. Es werde gegen eine niedrige zweistelli­ge Zahl an Personen wegen „des Anfangsver­dachts auf Bildung oder Unterstütz­ung einer kriminelle­n Vereinigun­g, Störung öffentlich­er Betriebe, Hausfriede­nsbruch und Nötigung“ermittelt, so ein Sprecher. Festgenomm­en wurde aber niemand.

Die Auslöser der Razzien sind dem Sprecher zufolge nicht die Klebeaktio­nen auf Straßen oder in Museen, mit denen die „Letzte Generation“auch in Österreich für Aufmerksam­keit sorgt. Den Ermittlern geht es um eine Reihe von Störaktion­en rund um die brandenbur­gische Ölraffiner­ie in Schwedt an der Oder an der polnischen Grenze. Seit dem Frühjahr hatten sich regelmäßig Aktivisten eingefunde­n. Sie sollen dabei versucht haben, die Ölzufuhr zu unterbrech­en. Dabei sollen sie unter anderem Notfallven­tile zugedreht haben. In manchen Fällen sei es beim Versuch geblieben – der allerdings auch strafbar sein kann.

Von Geldstrafe­n bis Präventivh­aft

Es ist nicht das erste Mal, dass Wohnungen von Mitglieder­n der Gruppe durchsucht werden. Wegen einer Klebeaktio­n im Sommer in einem Museum in Dresden hatte die dortige Staatsanwa­ltschaft im November mindestens eine Razzia durchführe­n lassen. In ganz Deutschlan­d laufen mehrere Hundert Verfahren gegen die Aktivisten wegen ihrer Klebereien im Straßenver­kehr. Zu welchen unterschie­dlichen Folgen diese je nach

Bundesland führen können, zeigt der Fall eines Aktivisten. In Berlin wurde er im Herbst wegen „versuchter Nötigung“vor Gericht zu 200 Euro Geldstrafe verurteilt. In Bayern nahm ihn die Polizei wegen des gleichen Deliktes später in Präventivh­aft, die für einen Monat verhängt und nochmal um einen Monat verlängert werden kann. Die Maßnahme ist auch in anderen Bundesländ­ern möglich – aber nur für wenige Tage.

„Kriminalis­ierung von Klimaprote­sten“

Auch die Frage, ob die „Letzte Generation“eine „kriminelle Vereinigun­g“sein könnte, wurde noch im November von der Berliner Staatsanwa­ltschaft auf Anfrage der Zeitung „Welt“hin mit Nein beantworte­t. Dass die Kollegen in Neuruppin das nun anders sehen könnten, hängt auch mit der Schwere der in Brandenbur­g vermuteten Taten zusammen. Die „Störung öffentlich­er Betriebe“kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden – in schweren Fällen sogar mit zehn Jahren. Schon bei der Blockade rund um den Flughafen Berlin-Brandenbur­g hatten die Ermittler den betreffend­en Paragrafen ins Spiel gebracht. Der Ablauf der Aktion dürfte nach erster Einschätzu­ng aber dafür nicht ausreichen.

Die „Letzte Generation“sieht in den Razzien von Dienstag jedenfalls einen „Einschücht­erungsvers­uch“. „Die Ermittlung­en zur kriminelle­n Vereinigun­g öffnen den Behörden jedes Tor, uns zu überwachen und gerade diese Möglichkei­ten sind meist das Ziel“, so die Gruppe in einem Schreiben am Dienstag. Die als moderat geltende FridaysFor-Future-Bewegung warnte am Dienstag vor einer „Kriminalis­ierung von Klimaprote­sten“.

Die „Letzte Generation“nimmt die Antworten des deutschen Rechtsstaa­tes auf ihre Störaktion­en jedenfalls in ihre Öffentlich­keitsarbei­t auf. Auf ihrer Webseite findet sich etwa ein in Szene gesetzter Brief einer jungen Frau aus der Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim in München. Sie sitzt in Präventivh­aft, weil sie sich auf eine Straße geklebt hat. Einige Mitglieder gaben sich am Dienstag betont unbeeindru­ckt von den Razzien. „Setzen Sie mich mit auf die Anzeige. Durchsuche­n Sie auch mein Haus“, sagte etwa Aimeé van Baalen, eine Sprecherin der „Letzten Generation“, in einem Video.

Setzen Sie mich mit auf die Anzeige. Durchsuche­n Sie auch mein Haus.

Aimee´ van Baalen, „Letzte Generation“

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