„Letzte Generation“unter Anfangsverdacht als kriminelle Gruppe
Deutschland. Ermittler führten Razzia bei Klimaaktivisten durch. Diese sehen einen „Einschüchterungsversuch“.
Am Dienstagvormittag machten die Klimaaktivisten es selbst öffentlich. „Heute ab 5 Uhr morgens gab es 11 Hausdurchsuchungen bei uns. Vorwurf ,Bildung einer kriminellen Vereinigung’. Elektronische Geräte, wie Laptops und Handys, wurden konfisziert“, stand auf dem offiziellen TwitterKanal jener Gruppe, die unter dem Namen „Letzte Generation“bekannt ist. Die Polizisten hätten auch ihre Kleiderkästen durchwühlt und Plakate mitgenommen.
Die Staatsanwaltschaft der brandenburgischen 30.000-Einwohner-Stadt Neuruppin nördlich von Berlin bestätigte kurz darauf: Das dortige Amtsgericht habe die elf Hausdurchsuchungen in verschiedenen Bundesländern angeordnet. Es werde gegen eine niedrige zweistellige Zahl an Personen wegen „des Anfangsverdachts auf Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, Störung öffentlicher Betriebe, Hausfriedensbruch und Nötigung“ermittelt, so ein Sprecher. Festgenommen wurde aber niemand.
Die Auslöser der Razzien sind dem Sprecher zufolge nicht die Klebeaktionen auf Straßen oder in Museen, mit denen die „Letzte Generation“auch in Österreich für Aufmerksamkeit sorgt. Den Ermittlern geht es um eine Reihe von Störaktionen rund um die brandenburgische Ölraffinerie in Schwedt an der Oder an der polnischen Grenze. Seit dem Frühjahr hatten sich regelmäßig Aktivisten eingefunden. Sie sollen dabei versucht haben, die Ölzufuhr zu unterbrechen. Dabei sollen sie unter anderem Notfallventile zugedreht haben. In manchen Fällen sei es beim Versuch geblieben – der allerdings auch strafbar sein kann.
Von Geldstrafen bis Präventivhaft
Es ist nicht das erste Mal, dass Wohnungen von Mitgliedern der Gruppe durchsucht werden. Wegen einer Klebeaktion im Sommer in einem Museum in Dresden hatte die dortige Staatsanwaltschaft im November mindestens eine Razzia durchführen lassen. In ganz Deutschland laufen mehrere Hundert Verfahren gegen die Aktivisten wegen ihrer Klebereien im Straßenverkehr. Zu welchen unterschiedlichen Folgen diese je nach
Bundesland führen können, zeigt der Fall eines Aktivisten. In Berlin wurde er im Herbst wegen „versuchter Nötigung“vor Gericht zu 200 Euro Geldstrafe verurteilt. In Bayern nahm ihn die Polizei wegen des gleichen Deliktes später in Präventivhaft, die für einen Monat verhängt und nochmal um einen Monat verlängert werden kann. Die Maßnahme ist auch in anderen Bundesländern möglich – aber nur für wenige Tage.
„Kriminalisierung von Klimaprotesten“
Auch die Frage, ob die „Letzte Generation“eine „kriminelle Vereinigung“sein könnte, wurde noch im November von der Berliner Staatsanwaltschaft auf Anfrage der Zeitung „Welt“hin mit Nein beantwortet. Dass die Kollegen in Neuruppin das nun anders sehen könnten, hängt auch mit der Schwere der in Brandenburg vermuteten Taten zusammen. Die „Störung öffentlicher Betriebe“kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden – in schweren Fällen sogar mit zehn Jahren. Schon bei der Blockade rund um den Flughafen Berlin-Brandenburg hatten die Ermittler den betreffenden Paragrafen ins Spiel gebracht. Der Ablauf der Aktion dürfte nach erster Einschätzung aber dafür nicht ausreichen.
Die „Letzte Generation“sieht in den Razzien von Dienstag jedenfalls einen „Einschüchterungsversuch“. „Die Ermittlungen zur kriminellen Vereinigung öffnen den Behörden jedes Tor, uns zu überwachen und gerade diese Möglichkeiten sind meist das Ziel“, so die Gruppe in einem Schreiben am Dienstag. Die als moderat geltende FridaysFor-Future-Bewegung warnte am Dienstag vor einer „Kriminalisierung von Klimaprotesten“.
Die „Letzte Generation“nimmt die Antworten des deutschen Rechtsstaates auf ihre Störaktionen jedenfalls in ihre Öffentlichkeitsarbeit auf. Auf ihrer Webseite findet sich etwa ein in Szene gesetzter Brief einer jungen Frau aus der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München. Sie sitzt in Präventivhaft, weil sie sich auf eine Straße geklebt hat. Einige Mitglieder gaben sich am Dienstag betont unbeeindruckt von den Razzien. „Setzen Sie mich mit auf die Anzeige. Durchsuchen Sie auch mein Haus“, sagte etwa Aimeé van Baalen, eine Sprecherin der „Letzten Generation“, in einem Video.
Setzen Sie mich mit auf die Anzeige. Durchsuchen Sie auch mein Haus.
Aimee´ van Baalen, „Letzte Generation“