„Die Welt des Steuerrechts dreht sich rasant!“
Im Gespräch. Steuerrechtsexpertin Katharina Kubik, Partnerin im Wiener Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer, beobachtet die Trends der globalen Steuerentwicklungen und zeigt die Veränderungen auf, die damit einhergehen.
Frau Kubik, Sie sind seit 1. Mai 2022 Partnerin in der Wiener Kanzlei von Freshfields und decken alle Dienstleistungen im steuerrechtlichen Bereich ab. Welche Aufgaben umfasst das?
Katharina Kubik: Das umfasst vor allem drei Segmente. Erstens die transaktionsbegleitende Beratung, also alle steuerlichen Aspekte, die bei Transaktionen zu berücksichtigen sind. Zweitens den streitigen Block, dazu gehört zum Beispiel die Begleitung von Betriebsprüfungen und anschließende Verfahren. Wenn der Mandant im Verfahren eine weitere Hand benötigt, kommen wir zum Zug. Ein drittes Segment bildet die steuerliche Beratungsarbeit, bei der wir unterschiedliche Themen abdecken, wo der Mandant gerne eine zusätzliche Meinung zum Steuerberater einholt.
Wer sind Ihre klassischen Mandanten?
Es sind in erster Linie Unternehmen, die wir vertreten und hier vorwiegend internationale Unternehmen mit österreichischen Tochtergesellschaften oder Niederlassungen, aber auch heimische Unternehmen.
Was hat sich in letzter Zeit bei den globalen Steuerentwicklungen getan?
In den letzten fünf Jahren hat sich im Bereich Steuerrecht enorm viel getan. Zuvor war Steuerrecht in den meisten Köpfen ein sehr nationales Rechtsgebiet, was zu einem bestimmten Grad auch seine Berechtigung hat, aber aufgrund der Arbeit der OECD wurde vor allem im Bereich des Unternehmenssteuerrechts auf internationaler Ebene viel erreicht und es kam vor allem in die Themen Vermeidung von Steuerhinterziehung und Steuermissbrauch als auch Transparenz sehr viel Bewegung. Die damit einhergehende Harmonisierung bringt eine Vereinheitlichung und erleichtert international tätigen Anwälten die Arbeit, weil sich Regelungen in den verschiedenen Ländern einheitlich anwenden lassen. Für die Steuerpflichtigen sind die Veränderungen aber natürlich zumeist mit großem Compliance-Aufwand verbunden.
Wie kann eine Harmonisierung erzielt werden?
Die OECD hat mit dem sogenannten BEPS Project (Anti Base Erosion and Profit Shifting Project), einen großen Stein ins Rollen gebracht. Bei einem Punkt konnte damals keine Einigung erzielt werden, nämlich betreffend neuer steuerlicher Prinzipien zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Man hat festgestellt, dass unsere Steuerrechtsordnung, wie sie aktuell noch existiert, aus dem vordigitalen Zeitalter stammt, die noch eine physische Präsenz in einem Staat als Anknüpfungspunkt benötigt, aber die digitalen Geschäftsmodelle haben diesen Gedanken längst überholt. Deshalb braucht es neue Maßnahmen. Aus dem Grundprojekt gingen das Pillar-1- und 2-Projekt hervor. Pillar 1 strebt die Abkehr von der physischen Präsenz an, sodass darauf geachtet wird, auf welchen Märkten die Unternehmen tätig sind und wo sie die Endverbraucher haben und diesen Ländern dann das Steuersubstrat zuzuteilen. Pillar 2 zielt auf die globale Mindestbesteuerung ab. Die Umsetzung dieser Maßnahmen kann einen bedeutenden weiteren Schritt im Bereich der Vereinheitlichung des Steuerrechts bringen.
War da nicht mit Widerstand aus Ländern zu rechnen, die bisher einen Wettbewerbsvorteil genießen konnten?
Die Einigung fiel – nach einigen Diskussionen – auf 15 Prozent. Damit fallen zahlreiche Länder darunter und nicht nur die üblichen „Verdächtigen“. Natürlich gab es aus den Niedrigsteuerländern einen gewissen Widerstand, aber durch Vorfälle wie die „Pandora Papers“zeichnete sich bereits vor Pillar 2 eine Entwicklung zur Anhebung der Steuersätze ab – also geht der Trend weg von einem „race to the bottom“hin zu einem „race to the top“.
Mit welchen Entwicklungen beim Steuerrecht wird die Transparenz optimiert?
Da gibt es mehrere Entwicklungen. Ein Ziel der EU ist unter anderem, dass größere Unternehmen mit einem Mindestumsatz von 750 Millionen Euro pro Jahr ihre effektiven Steuersätze öffentlich machen. So sollen zum Beispiel über die Homepage des Unternehmens für die Öffentlichkeit die Steuersätze nachvollziehbar werden. 2024 soll daneben das sogenannte „Public Country-byCountry Reporting“(CbCR) in Kraft treten. Es sieht vor, dass multinationale Unternehmen ihre Wertschöpfungskette pro Land darstellen müssen. Bisher galt die Berichterstattung ausschließlich gegenüber der Finanzverwaltung. Nun soll diese Berichterstattung auch öffentlich stattfinden. Das stellt einen weiteren Schritt in Richtung Transparenz dar, weil jeder verfolgen kann, wie sich die Wertschöpfungskette des Unternehmens zusammensetzt. Zudem gibt es bereits Reportingmaßnahmen für digitale Plattformbetreiber und
die für Kryptobesteuerung angekündigten Maßnahmen werden ebenfalls zu mehr Transparenz beitragen.
Stichwort Krypto, wie kann hier Steuerhinterziehung vermieden werden?
Aus österreichischer Sicht gibt es eine sehr gute Lösung. Seit Anfang des Jahres gibt es gesetzliche Regelungen, wie Wertsteigerungen zu besteuern sind. Zuvor war das Auslegungssache. Mit der eindeutigen Regelung wird Krypto aus steuerlicher Sicht wie jedes andere Kapitalvermögen behandelt. Nach unserer Wahrnehmung reagieren die Marktteilnehmer sehr positiv auf diese Entwicklung, weil sowohl für Kunden als auch Anbieter Rechtssicherheit gegeben ist. Wenn nun auf EU-Ebene nachgezogen wird und Kryptoplattformbetreiber ihre Daten öffentlich machen müssen, ist sogar noch mehr Transparenz gegeben.
Warum nehmen gerade bei Verrechnungspreisen Steuerstreitigkeiten zu?
Durch die zunehmende Internationalisierung, sei es aufgrund digitaler Geschäftsmodelle oder Globalisierung, häufen sich die internationalen Steuersachverhalte und somit wird auch das Thema Verrechnungspreise wichtiger. Es ist eine Spielwiese für die Finanzverwaltungen und es dreht sich darum, wer am Ende den korrekten Preis bestimmt. Finanzverwaltung und Steuerpflichtige gehen oft unterschiedliche Wege und daraus resultieren Streitigkeiten. Da Verrechnungspreisen zwangsläufig immer ein grenzüberschreitender Sachverhalt zugrunde liegt, sieht sich der Steuerpflichtige bei Streitigkeiten
verschiedenen Finanzverwaltungen gegenüber, die teilweise unterschiedliche Zugänge haben. Der Steuerpflichtige muss Schritt für Schritt in jeder einzelnen Finanzverwaltung ein Verfahren führen. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges zum Positiven gewandelt und für Steuerpflichtige gibt es die Möglichkeit, bilaterale Verfahren zu initiieren und voranzutreiben und eine Streitbeilegung zu erzielen. Allerdings sind diese Mechanismen neu ausgearbeitet und erst die Praxis wird zeigen, ob die Streitbeilegung besser funktioniert.
Wäre es nicht noch besser, wenn Streitigkeiten erst gar nicht aufkommen?
Dafür gibt es die Steuerstreitvermeidung, die tatsächlich präventiv ansetzt. Hier hat Österreich bereits vor vier Jahren mit der begleitenden Kontrolle einen großen Schritt gemacht. Steuerpflichtige, die eine solche begleitende Kontrolle beantragen, stehen von Tag 1 an in engem Kontakt mit der Finanzverwaltung. Dadurch wird vermieden, dass Sachverhalte mehrere Jahre alt sind und leicht Streitigkeiten aufkommen können. Es zeigt sich, dass die begleitende Kontrolle in der Tat effektiv ist, allerdings steht das Thema Ressourcenknappheit auf Seiten der Finanzverwaltung auf der Kehrseite der Medaille. Zumal nun auch internationale Streitvermeidungsmechanismen auf dem Vormarsch sind.
Lassen Sie uns zum Abschluss zum Thema Nachhaltigkeit kommen – spielt es eine Rolle im Steuerrecht?
ESG und Nachhaltigkeit machen auch vor dem Steuerrecht nicht halt. Im
Steuerrecht spielt vor allem das „E“– also Environmental – eine große Rolle, weil es die Funktion des Steuerrechts ist, zu lenken und zu steuern. Durch Steuermaßnahmen wird das Konsumverhalten beeinflusst und es kann Verhalten, das zum Beispiel zu weniger Konsum von Plastik oder fossilen Brennstoffen führt, forciert werden. Aber auch die Bereiche Social und Governance finden im Steuerrecht Berücksichtigung, etwa durch Maßnahmen zu stärkerer Transparenz und Reportingverpflichtungen. All das zeigt: Steuerrecht verschließt die Augen vor Nachhaltigkeit nicht.