Die CO2-Steuer an Europas Grenze
Die EU bringt den umstrittenen Klimazoll auf Schiene. Das soll die eigene Industrie vor „schmutzigen“Billig-Importen schützen und dem Klima helfen. Ob das gelingt, ist aber fraglich.
Wien. Wenn Politiker und Medien das Wort „historisch“gebrauchen, ist mitunter Vorsicht angebracht. Zu oft wird damit nur schöngeredet, dass gerade etwas passiert ist, das noch niemand so richtig einordnen kann. Am Dienstag war es wieder so weit: Die EU feierte ihre „historische“Einigung auf den weltweit ersten CO2-Preis auf Warenund Rohstoffimporte.
Aber haben es die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament damit wirklich erstmals geschafft, strengen Klimaschutz und gute Industriepolitik unter einen Hut zu bringen? Oder verteuern sie doch nur das Leben der Bürger, zetteln Handelskonflikte an und helfen dem Klima letztlich nicht? „Die Presse“liefert eine erste Einschätzung über erwünschte und unerwünschte Wirkungen des Pakts.
1 Was genau hat die EU beschlossen, und was ist die Idee dahinter?
Europa will seine Emissionen bis 2030 um 55 Prozent verringern.
Um das zu schaffen, müssen Industriebetriebe in der EU schon heute für jede ausgestoßene Tonne CO2 bezahlen. Diese Pflicht soll künftig auch für Produzenten aus Drittstaaten gelten, die ihre Waren in der EU verkaufen wollen. Damit sollen die europäischen Betriebe auf ihrem Weg zu klimafreundlicheren Produktionsweisen vor Billigkonkurrenz aus Ländern ohne ähnlich hohe CO2-Standards geschützt werden. Gleichzeitig will die EU den Druck auf andere Staaten erhöhen, ihrerseits schärfere Klimaziele anzustreben.
2 Für welche Produkte gilt das, und wann geht es los?
Der CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism oder kurz CBAM) soll für Importe von Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel, Strom und Wasserstoff sowie für einzelne Produkte wie Schrauben und Kabel gelten. Das schützt EU-Unternehmen, die in Summe für 55 bis 60 Prozent der Industrie-Emissionen Europas stehen. Im Oktober 2023 soll eine
Testphase starten, in der es darum geht, Daten über die CO2-Emissionen einzelner Produkte zu erhalten. Wann die Testphase endet und die Betriebe auch CO2-Zertifikate kaufen müssen, ist offen. Angepeilt wird 2026/27. Bevor CBAM in Kraft treten kann, muss auch geklärt werden, wie lang EU-Industriebetriebe noch Gratis-CO2-Zertifikate beziehen dürfen.
3 Wird die Maßnahme den Betrieben und dem Klima wirklich helfen?
„Die Nachricht an unsere Industrie ist klar: Es gibt keinen Grund mehr abzuwandern“, sagt der EU-Abgeordnete Pascal Canfin. Das stimmt freilich nur dann, wenn es der EU gelingt, den CO2-Zoll auch durchzusetzen. Zudem fordern Europas Exporteure zusätzliche Hilfen, wenn sie in Länder liefern, die niedrigere Umweltstandards haben. Da dieses Thema aber nur schwer mit den Regeln der WTO vereinbar ist, wurde es vorerst ausgeklammert. Die Auswirkungen auf das Klima dürften gering sein, schätzen die Vereinten Nationen.
Ein CO2-Zoll von 88 Dollar je Tonne (etwa der aktuelle Preis) würde die globalen Emissionen demnach nur um 45 Millionen Tonnen senken. Das sind 0,2 Prozent der globalen Emissionen. Damit der CO2Zoll wirklich wirkt, müssten die anderen Länder der EU folgen.
4 Wie haben die Handelspartner der EU auf die Ankündigung reagiert?
Große Begeisterung hat die EU mit dem Vorstoß nicht geerntet. Die Gefahr, damit handelspolitische Konflikte zu entfachen, ist groß. Besonders stark betroffene Länder wie China, Indien, Türkei oder Russland könnten vor die WTO gehen und gegen die Maßnahme klagen. Auch die USA sind alles andere als glücklich mit dem Beschluss. Die Einigung der G7-Staaten, sich zu einem „internationalen Klimaklub“zusammenzuschließen, um den Klimaschutz schneller voranzutreiben, schützt sie nicht vor dem Klimazoll. Die EU will nur jene Staaten ausnehmen, die einen ähnlich hohen CO2-Preis einheben.