Schengen: Rumänien wird zu Unrecht diskriminiert
Wenn Österreich die dringend erforderliche Debatte über die Migrationspolitik der EU erzwingen möchte, darf es sich nicht isolieren.
Die Bedeutung, die in Bukarest dem österreichischen Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens beigemessen wird, mag überraschen, denn praktisch geht es dabei nur darum, ob Reisende an den Grenzkontrollstellen auch künftig ihren Pass oder Personalausweis vorweisen müssen oder nicht. Mit heftigen Reaktionen hätte man dennoch rechnen müssen, nicht nur wegen der hohen Kosten an Zeit und Geld, die auch den Handel beeinträchtigen.
Für die Rumänen ist Schengen nicht wegen des Zugangs zum Arbeitsmarkt der reichen EU-Länder von Bedeutung, der seit dem Beitritt zur EU ohnehin außer Streit steht, sondern weil sie sich diskriminiert fühlen. Dem Buchstaben des Schengen-Vertrages nach ist Rumänien nämlich seit elf Jahren beitrittsreif, denn die technischen Voraussetzungen hat es bereits
2011 erfüllt. Ein auf den neuesten Stand gebrachtes Grenzüberwachungssystem sorgt dafür, dass es heute schwieriger ist, über die EUAußengrenze illegal einzureisen, als es unter Ceaus¸escu war, aus Rumänien zu flüchten. Das heißt natürlich nicht, dass diese Grenze undurchdringlich ist. Aber wie viele es sind, die den Umweg über Bulgarien via Rumänien nach Ungarn in Kauf nehmen, wissen wir nicht. Wahrscheinlich sind es deutlich weniger, als die österreichische Regierung behauptet, und deutlich mehr, als Frontex und die rumänische Regierung zugeben. Unumstritten ist jedoch, dass die Mehrheit der Migranten über den Westbalkan nach Norden zieht. Wenn überhaupt, wäre eher ein Veto gegen die Aufnahme Kroatiens angebracht gewesen. Aber es fahren halt mehr Österreicher an die Adria auf Urlaub als ans Schwarze Meer.
Die österreichische Argumentation ist schon deshalb irreführend, weil es Schengen ohnehin erlaubt, Personenkontrollen durchzuführen, was mehrere Staaten, unter ihnen Deutschland und Österreich, auch extensiv nutzen. Mindestens zwei Schengen-Staaten, unter ihnen Griechenland und Ungarn, ignorieren die Verpflichtung, Asylverfahren durchzuführen. Ungarn winkt die, die es über die Grenze geschafft haben, ohne Registrierung einfach weiter. Asyl in Ungarn will ohnehin keiner.
Ungeachtet des eklatanten Versagens der vergemeinschafteten Grenzschutzund Asylpolitik gestattet Österreich den aufgegriffenen Migranten einen in der Praxis unbegrenzten Aufenthalt. Es reicht, wenn sie das Zauberwort „Asyl“aussprechen, und zwar unabhängig davon, woher sie kommen, ob sie Aussicht auf Asyl haben und wie viele SchengenLänder sie passiert haben. Diese Großzügigkeit geht nicht zuletzt zulasten jener, die wirklich Anspruch auf Schutz haben. In einem haben Nehammer und Karner recht. Das System hat versagt und muss dringend geändert werden. Grundvernünftig ist auch die von der FPÖ und einigen ÖVP-Politikern vertretene Forderung, das Asylrecht und die Menschenrechtskonvention endlich den geänderten Bedingungen anzupassen, denn noch nie in seiner Geschichte musste sich Europa in so kurzer Zeit gegen einen solchen Massenansturm zur Wehr setzen. Das alles hat jedoch so gut wie nichts mit dem rumänischen SchengenBeitritt zu tun.
Wer meint, das österreichische Veto werde wenigstens die politische Klasse Rumäniens zwingen, die Korruption zu bekämpfen, lebt nicht in dieser Welt. Als Deutschland und Frankreich 2011 die Aufnahme des Landes unter Berufung auf die diesbezüglichen Defizite ablehnten, sagte der damalige Ministerpräsident, Victor Ponta, für seine Regierung sei der Beitritt zur Schengen-Zone ohnehin nicht mehr vorrangig.
Wenn überhaupt, wäre eher ein Veto gegen die Aufnahme Kroatiens angebracht gewesen.
Nicht von dieser Welt ist auch, wer glaubt, Österreich könne durch sein Veto eine Systemänderung in der EU erzwingen. Das könnte, wenn überhaupt, nur gelingen, wenn Wien die Zusammenarbeit mit ähnlich gesinnten Regierungen in Budapest, Kopenhagen, Rom, Warschau und anderen Hauptstädten sucht, statt sich durch innenpolitisch motivierte Alleingänge zu isolieren.
Morgen in „Quergeschrieben“: