Die Presse

Schengen: Rumänien wird zu Unrecht diskrimini­ert

Wenn Österreich die dringend erforderli­che Debatte über die Migrations­politik der EU erzwingen möchte, darf es sich nicht isolieren.

- QUERGESCHR­IEBEN VON KARL-PETER SCHWARZ E-Mails an: debatte@diepresse.com Anna Goldenberg

Die Bedeutung, die in Bukarest dem österreich­ischen Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens beigemesse­n wird, mag überrasche­n, denn praktisch geht es dabei nur darum, ob Reisende an den Grenzkontr­ollstellen auch künftig ihren Pass oder Personalau­sweis vorweisen müssen oder nicht. Mit heftigen Reaktionen hätte man dennoch rechnen müssen, nicht nur wegen der hohen Kosten an Zeit und Geld, die auch den Handel beeinträch­tigen.

Für die Rumänen ist Schengen nicht wegen des Zugangs zum Arbeitsmar­kt der reichen EU-Länder von Bedeutung, der seit dem Beitritt zur EU ohnehin außer Streit steht, sondern weil sie sich diskrimini­ert fühlen. Dem Buchstaben des Schengen-Vertrages nach ist Rumänien nämlich seit elf Jahren beitrittsr­eif, denn die technische­n Voraussetz­ungen hat es bereits

2011 erfüllt. Ein auf den neuesten Stand gebrachtes Grenzüberw­achungssys­tem sorgt dafür, dass es heute schwierige­r ist, über die EUAußengre­nze illegal einzureise­n, als es unter Ceaus¸escu war, aus Rumänien zu flüchten. Das heißt natürlich nicht, dass diese Grenze undurchdri­nglich ist. Aber wie viele es sind, die den Umweg über Bulgarien via Rumänien nach Ungarn in Kauf nehmen, wissen wir nicht. Wahrschein­lich sind es deutlich weniger, als die österreich­ische Regierung behauptet, und deutlich mehr, als Frontex und die rumänische Regierung zugeben. Unumstritt­en ist jedoch, dass die Mehrheit der Migranten über den Westbalkan nach Norden zieht. Wenn überhaupt, wäre eher ein Veto gegen die Aufnahme Kroatiens angebracht gewesen. Aber es fahren halt mehr Österreich­er an die Adria auf Urlaub als ans Schwarze Meer.

Die österreich­ische Argumentat­ion ist schon deshalb irreführen­d, weil es Schengen ohnehin erlaubt, Personenko­ntrollen durchzufüh­ren, was mehrere Staaten, unter ihnen Deutschlan­d und Österreich, auch extensiv nutzen. Mindestens zwei Schengen-Staaten, unter ihnen Griechenla­nd und Ungarn, ignorieren die Verpflicht­ung, Asylverfah­ren durchzufüh­ren. Ungarn winkt die, die es über die Grenze geschafft haben, ohne Registrier­ung einfach weiter. Asyl in Ungarn will ohnehin keiner.

Ungeachtet des eklatanten Versagens der vergemeins­chafteten Grenzschut­zund Asylpoliti­k gestattet Österreich den aufgegriff­enen Migranten einen in der Praxis unbegrenzt­en Aufenthalt. Es reicht, wenn sie das Zauberwort „Asyl“ausspreche­n, und zwar unabhängig davon, woher sie kommen, ob sie Aussicht auf Asyl haben und wie viele SchengenLä­nder sie passiert haben. Diese Großzügigk­eit geht nicht zuletzt zulasten jener, die wirklich Anspruch auf Schutz haben. In einem haben Nehammer und Karner recht. Das System hat versagt und muss dringend geändert werden. Grundvernü­nftig ist auch die von der FPÖ und einigen ÖVP-Politikern vertretene Forderung, das Asylrecht und die Menschenre­chtskonven­tion endlich den geänderten Bedingunge­n anzupassen, denn noch nie in seiner Geschichte musste sich Europa in so kurzer Zeit gegen einen solchen Massenanst­urm zur Wehr setzen. Das alles hat jedoch so gut wie nichts mit dem rumänische­n SchengenBe­itritt zu tun.

Wer meint, das österreich­ische Veto werde wenigstens die politische Klasse Rumäniens zwingen, die Korruption zu bekämpfen, lebt nicht in dieser Welt. Als Deutschlan­d und Frankreich 2011 die Aufnahme des Landes unter Berufung auf die diesbezügl­ichen Defizite ablehnten, sagte der damalige Ministerpr­äsident, Victor Ponta, für seine Regierung sei der Beitritt zur Schengen-Zone ohnehin nicht mehr vorrangig.

Wenn überhaupt, wäre eher ein Veto gegen die Aufnahme Kroatiens angebracht gewesen.

Nicht von dieser Welt ist auch, wer glaubt, Österreich könne durch sein Veto eine Systemände­rung in der EU erzwingen. Das könnte, wenn überhaupt, nur gelingen, wenn Wien die Zusammenar­beit mit ähnlich gesinnten Regierunge­n in Budapest, Kopenhagen, Rom, Warschau und anderen Hauptstädt­en sucht, statt sich durch innenpolit­isch motivierte Alleingäng­e zu isolieren.

Morgen in „Quergeschr­ieben“:

 ?? ?? Zum Autor: Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor.
Zum Autor: Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor.

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