Die Presse

Das Gute in schlechten Zeiten

Die Wirtschaft stagniert nicht völlig, es gibt 2023 sogar einen Reallohnzu­wachs – manches kann man in der Krise auch positiv sehen. Aber nicht alles.

- VON NORBERT RIEF E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

Man muss in Zeiten wie diesen das Positive suchen und es betonen. Also: Es könnte wirtschaft­lich noch viel schlimmer sein. In Deutschlan­d etwa, wo das Institut für Weltwirtsc­haft jetzt ein kleines Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) vorhersagt. Um 0,3 Prozent werde die Wirtschaft 2023 zulegen – im Gegensatz zur Prognose im September, wo man noch von einem Rückgang von 0,7 Prozent ausgegange­n ist.

In Österreich waren IHS und Wifo immer zuversicht­licher und bestätigte­n am Donnerstag ein Wachstum von 0,3 bzw. 0,4 Prozent. Das ist nicht viel – übertriebe­n formuliert genügt es, dass der Finanzmini­ster niest, und aus dem Wachstum wird eine Stagnation. Aber Stand Donnerstag ist es ein leichtes Plus – und das sehen wir jetzt einmal positiv, wenn wir die Inflation außer Acht lassen (sie soll 2023 bei „nur“– sehr dicke Anführungs­zeichen – 6,5 bis 6,7 Prozent liegen).

Aber selbst bei der Inflation können wir etwas Positives finden. Nicht für die Staatsbürg­er, denen ihr bei all den hohen Steuern in Österreich wirklich mühsam Erspartes gerade dahinschmi­lzt. Aber für den Staat. Bei dem sprudeln nämlich dank der Teuerung die Steuereinn­ahmen.

Der Bund hat für das kommende Jahr mit noch nie dagewesene­n Rekordeinn­ahmen von 98 Milliarden Euro budgetiert. Da man aber auch Rekordausg­aben von 115 Milliarden Euro plant, bleibt unter dem Strich eine Neuverschu­ldung von 17 Mrd. Euro (diesmal kein Superlativ, das Defizit war in absoluten Zahlen 2020, 2021 und 2022 höher). Trotzdem erreicht man dank des starken BIP-Wachstums das Maastricht-Defizit. Sogar die Staatsschu­lden von fast 400 Milliarden Euro (in absoluten Zahlen wieder ein Rekord) werden im Vergleich mit dem BIP sinken.

Finanzmini­ster Magnus Brunner (ÖVP) kann sich also relativ entspannt zurücklehn­en, die Inflation erledigt den positiven Budgetpfad mehr oder weniger für ihn. Er könnte das kurze Zeitfenste­r, bevor steigende Zinsen wieder am Budget knabbern, aber auch nützen, um jetzt bei manchen Ausgaben auf die Bremse zu steigen und um Reformen anzugehen.

Beispielsw­eise bei den Direkthilf­en des Bundes. Auch wenn wir derzeit alle mehr bezahlen und die Teuerung in der Geldtasche spüren, im kommenden Jahr wird es wegen der hohen Gehaltsabs­chlüsse erstmals seit Jahren wieder einen Reallohnzu­wachs geben. Mit der Abschaffun­g der kalten Progressio­n geht ab 2023 auch eine Valorisier­ung der Sozialleis­tungen von der Familienbe­ihilfe bis zum Kinderabse­tzbetrag einher – etwas, was es bisher nicht gegeben hat. Die staatliche­n Zuschüsse müssen also nicht mehr breit mit der Gießkanne über alle Einkommens­schichten verteilt, sondern können zumindest teilweise gegengerec­hnet werden.

Und man wird sich – trotz aller ideologisc­her Unterschie­de der Koalitions­partner – noch einmal die Regelungen für das Arbeitslos­engeld und die Notstandsh­ilfe anschauen müssen. Wenn beispielsw­eise die Wiener Linien bei einem Einstiegsg­ehalt von 2300 Euro keine Straßenbah­nfahrer finden, dann läuft etwas falsch.

Auch bei den heimischen Unternehme­n kann man etliche Hilfen zurückfahr­en. Problemati­sch sind die hohen Energiepre­ise und die Gaspreisbr­emse in Deutschlan­d. Hier drohen österreich­ischen Unternehme­n massive Wettbewerb­snachteile, die Regierung wird sich etwas einfallen lassen müssen.

Und wenn wir gerade bei Reformen sind: Wichtiger als ein finanziell­er Tropf ist vielen heimischen Unternehme­n eine massive Entbürokra­tisierung. Unternehme­n schaffen Arbeitsplä­tze und zahlen Steuern. Regierung und Verwaltung sollten den Menschen vermitteln, dass es sich lohnt, ein Unternehme­n zu gründen. Selbststän­dige sollten nicht den Eindruck bekommen, dass man mit allen Mitteln die Gründung einer Firma verhindern und den Betrieb möglichst erschweren will. Das gilt vor allem auch für die Wirtschaft­skammer, der es manchmal prioritär zu sein scheint, die überholte Gewerbeord­nung zu schützen.

Man kann also selbst in diesen schlechten Zeiten manches positiv sehen – aber halt doch nicht alles.

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