Ukrainer vor Offensive auf Melitopol
Kriegspläne. Im südöstlichen Oblast Saporischschja bahnt sich ein Stoß von Norden über die Großstadt ans Asowsche Meer an. Die Russen dürften das freilich schon ahnen.
Kiew/Moskau/Melitopol. So viele Waffen sah das ostukrainische Städtchen Hulaj-Pole zuletzt vor 101 Jahren, als die Rote Armee die ukrainischen Bauern unter dem Anarchistenführer Nestor Machno bekriegte. Jetzt zieht seit Wochen das ukrainische Heer Einheiten in der Steppe zwischen Saporischschja und Donezk im Südosten zusammen – und wieder in HulajPole. Dort verläuft seit März eine recht ruhige Front zwischen den von Kiew gehaltenen Gebieten im Norden und dem russisch besetzten Gebiet am Asowschen Meer.
Damit wird es wohl bald vorbei sein: Die Ukrainer haben, wie auch in der „Presse“schon angedeutet wurde, die dünn besiedelte Steppe zum Aufmarschgebiet für einen Stoß auf die rund 60 Kilometer südlich gelegene Stadt Melitopol gemacht – ein Angriff aus der Region Cherson heraus von Westen müsste nämlich über den breiten Fluss Dnipro führen, wo die Russen seit ihrem Rückzug aus dem Brückenkopf westlich des Dnipro im November Abwehrlinien gebaut und das Hinterland mit festen Anlagen gesichert haben.
In sicherem Abstand zur Verwaltungshauptstadt Saporischschja und zum russisch besetzten AKW am Dnipro-Stausee bei Enerhodar gibt es seit rund einer Woche ein ukrainisches Vorfühlen nach Süden. Kürzlich wurde dabei mit Himars-Raketenangriffen eine für den russischen Nachschub auf die Krim wichtige Brücke bei Melitopol beschädigt. Auch Polohhy, der nördlichste Punkt des russisch besetzten Küstenlands in dieser Region, wird immer wieder von Ukrainern angegriffen. Noch sind das Nadelstiche, doch gehen westliche Geheimdienste von einer größeren Operation vermutlich sogar vor Jahresende aus.
„Wir haben wenig Munition, also werden wir wenige Waffen einsetzen, aber bald geht es los“, sagte der ukrainische Generalstabschef, Walerij Saluschnyj, am Donnerstag, ohne indes eine Angriffsrichtung zu nennen. „Es ist schon etwas Großes in Planung“, fügte er geheimnisvoll an. Ziel dürfte sein, über Melitopol einen Keil in den russisch besetzten Küstenstreifen zwischen der Krim und dem Donbass zu treiben. Behilflich dabei dürften auch Partisanen sein, die Melitopol bereits seit dem Frühjahr unsicher machen.
Russische Vorbereitungen
Dass allerdings auch die Russen mit einem Handeln der Ukrainer in dieser Gegend rechnen, zeigt nicht nur das Störfeuer von Artillerie in den ukrainischen Aufmarschzonen, sondern auch der Einsatz von Häftlingen beim Bau von Panzersperren und Schützengräben rund um Melitopol sowie die Verlegung von Reserven dorthin. Theoretisch ist freilich auch eine erneute Finte der Ukrainer denkbar.
Seit der Eroberung der Stadt Lyssytschansk im Donbass im Juli ist dem russischen Heer und seinen Verbündeten vor allem aus Tschetschenien fast nichts mehr gelungen. Angeblich wollen sich mehr als 4000 russische Soldaten an der Front ergeben, hat es zuletzt von ukrainischer Seite geheißen. (flue)