Die Presse

ÖVP will EU-Geld für Zäune an Außengrenz­e

Migration. Die Kommission solle physische Barrieren finanziere­n, fordert Nehammer beim EU-Gipfel. Sofia brauche zwei Mrd. Euro zur Verstärkun­g des Zauns.

- VON ANNA GABRIEL

Wien/Brüssel. Karl Nehmammer will nicht länger der Buhmann sein. Vor Beginn des eintägigen EU-Gipfels am gestrigen Donnerstag versuchte der Kanzler, die schwere diplomatis­che Verstimmun­g der vergangene­n Tage kleinzured­en: Er stehe in „engem Kontakt“mit seinen Amtskolleg­en in Rumänien und Bulgarien, betonte Nehammer – jenen beiden Ländern also, deren Schengenbe­itritt Österreich beim Innenminis­terrat in der Vorwoche unter Verweis auf hohe Asylwerber­zahlen – und zur Verwunderu­ng der meisten anderen EU-Hauptstädt­e – blockiert hatte. Angriffszi­el der heimischen Regierung beim kontrovers­iellen Dauerthema Migration sind nicht die Partnerlän­der – es ist die Kommission selbst: Die EU-Behörde verwaltet bekanntlic­h auch die Gelder zur Steuerung der Migration und somit auch für den Außengrenz­schutz – und macht für die Verwendung derselben klare Vorgaben. Eine Prämisse lautet, dass es für Mauern, Zäune und Stacheldra­ht keine finanziell­en Zuschüsse an die Mitgliedst­aaten gibt, lediglich für „Infrastruk­tur“an der Grenze. Das Geld würde sonst an anderer Stelle fehlen, lautet das offizielle Argument.

Brüsseler Aktionspla­n

Das aber will Nehammer nicht länger gelten lassen. Konkret forderte er die Verstärkun­g des Zauns entlang der Grenze Bulgariens zur Türkei. Zwei Milliarden Euro soll das Projekt kosten – und mit Mitteln der EU finanziert werden, so der ÖVP-Chef. Auch anderswo an der EU-Außengrenz­e seien Zäune vonnöten. „Wir müssen dieses Tabu endlich brechen.“Im Lichte dieser Forderunge­n äußerte der grüne Koalitions­partner gestern nur vorsichtig­e Bedenken – von „Polemik“statt Lösungsori­entierung war die Rede. Unterstütz­ung erhält die ÖVP vom Chef der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) Manfred Weber, der bei einem „Presse“-Interview vergangene Woche in dieselbe Kerbe geschlagen hat wie Nehammer. „Ohne entschiede­ne Maßnahmen wie Grenzzäune wird man den Migranten nicht klarmachen können, dass der Staat entscheide­t, wer kommen darf, und nicht die Schlepper“, so Weber.

Die EU-Kommission sieht das naturgemäß anders – und verweist ihrerseits auf Maßnahmen, die die stark steigenden Migrations­zahlen auf der Westbalkan­route eindämmen sollen. Zu dem Brüsseler Aktionspla­n zählen effektiver­e Grenzkontr­ollen, der Einsatz von insgesamt 530 Beamten der EU-Grenzschut­zagentur Frontex auf dem Westbalkan sowie EU-Unterstütz­ung bei der Rückführun­g abgelehnte­r

Asylsuchen­der. Auch die Visumpolit­ik einiger Westbalkan­länder – allen voran Serbien – geriet ins Visier Brüssels. Tunesiern und Indern etwa wurde hier bis zuletzt visumfreie Einreise gewährt, der Flughafen Belgrad so zur Drehscheib­e für Migranten ohne Asylchance in der EU, die dann über Ungarn, Kroatien oder Rumänien in die Union einreisten – und dort häufig untertauch­ten. In intensiven Verhandlun­gen wurde Beitrittsk­andidat Serbien schließlic­h das Verspreche­n abgenommen, das eigene Visumregim­e endlich jenem der EU anzupassen – um so die Migration weiter einzudämme­n. In den ersten elf Monaten des Jahres gab es auf der Westbalkan­route laut Kommission­sangaben bis Ende November bereits 140.000 irreguläre Grenzübert­ritte, das sind um 152 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Großteil der Menschen stammt aus Syrien, Afghanista­n und der Türkei.

Die Nationalst­aaten werden alleingela­ssen. Die Kommission gibt Gelder nicht frei. Karl Nehammer, Bundeskanz­ler

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