Die Presse

Der zufällig historisch­e Ort hat ausgedient

Parlament. Nach fünf turbulente­n Jahren tagte der Nationalra­t zum letzten Mal in der Hofburg. Auf Abschiedst­our im Ausweichqu­artier.

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER

Wien. Es endete, wie es begonnen hatte: mit Selfies. Als im September 2017 – der Kanzler hieß damals noch Christian Kern, es regierte die Große Koalition, und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass eine Zeit der Megakrisen nur noch kurz bevorsteht – Abgeordnet­e und Regierende erstmals seit 99 Jahren nicht im Hohen Haus am Ring zur Parlaments­sitzung zusammenge­kommen waren, veranlasst­e das einen beträchtli­chen Teil der Mandatare dazu, die ersten Momente am neuen Arbeitspla­tz bildlich festzuhalt­en. Fünf Jahre später bot sich nun dasselbe Bild; nur war der Anlass für die Fotos diesmal nicht der Ein-, sondern der Auszug aus dem Großen Redoutensa­al der Hofburg.

Die Übergangsz­eit sollte unspektaku­lär enden: Die Sitzung begann mit einer Fragestund­e an die Familienmi­nisterin, der Tag sollte auch danach arm an Neuigkeite­n bleiben. Einzig der Beschluss der türkis-grünen Maßnahmenv­ollzugsref­orm stach heraus, einmal mehr wurde dabei das Wegsperren potenziell­er Terroriste­n nach abgesessen­er Haftstrafe debattiert. „Sonst“, sagte eine Klubmitarb­eiterin, „ist es eigentlich recht fad heute“.

Welch ein unpassende­s Ende: Denn ausgerechn­et jene fünf Jahre,

die Österreich­s gewählte Volksvertr­etung fern der eigentlich­en Heimat verbracht hat, gehören zu den turbulente­sten der Nachkriegs­geschichte. Ein Auszug: Erstmals wurde vom Parlament eine Regierung abgewählt, es gab eine Regierung ohne Mehrheit im Parlament, die erste Bundeskanz­lerin trat ihr Amt an, in den Sitzungsma­rathons der Coronakris­e fielen geschichts­trächtige Beschlüsse – und es gab nicht weniger als sechs Regierungs­chefs in diesen fünf Jahren.

Die von der Parlaments­direktion ausgewiese­ne Bilanz belegt den wilden Ritt: In knapp 300 Sitzungen wurden an die 800 Gesetze beschlosse­n, deutlich mehr als in den fünf Jahren zuvor. Allein 2021 gab es elf Sondersitz­ungen. Zum Vergleich: 2016 waren es drei.

„Es sind viele historisch­e Dinge passiert“, sagt Neos-Verfassung­ssprecher Nikolaus Scherak, „das hat aber auch damit zu tun, dass die Regierung Kurz sie nötig gemacht hat“. Jetzt aber sei es „gut, dass wir endlich in den Hort der Demokratie heimkehren“.

Für den Neos-Mandatar ist es eine Rückkehr – im Gegensatz zu gut einem Drittel der 183 Abgeordnet­en, im ÖVP-Klub kennen sogar zwei Drittel das alte Haus nur aus Erzählunge­n oder von der Galerie. Rudolf Taschner, türkiser Bildungssp­recher seit 2017, ist einer von ihnen, und den Redoutensa­al wird er in guter Erinnerung behalten. Insbesonde­re das 400 Quadratmet­er große Deckengemä­lde: „Die Bilder von Josef Mikl haben mir oft geholfen, wenn ich bei irrational­en Reden oder irgendwelc­hen Verrückthe­iten nach oben geblickt habe“, sagt Taschner. Jörg Leichtfrie­d, roter Vizeklubch­ef, blickt indes mit Stolz auf seinen historisch­en Misstrauen­santrag zurück: „Das war ein Moment österreich­ischer Geschichte, ich war dabei der erste Redner“, sagt er. „Das ist schon bemerkensw­ert.“

Mit zeithistor­ischen Ereignisse­n war es das nun vorerst im Redoutensa­al, in den kommenden Wochen wird er wieder rückgebaut und dient dann wieder als Lokal für Bälle und dergleiche­n mehr. Ganz zu Ende ist die parlamenta­rische Übergangsz­eit im Redoutensa­al übrigens noch nicht: Kommende Woche tagt dort ein letztes Mal der Bundesrat. Selfies sind dabei garantiert.

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[ APA/Robert Jäger ] Wegen Renovierun­gsarbeiten musste der Parlaments­betrieb in den vergangene­n fünf Jahren im Großen Redoutensa­al der Hofburg stattfinde­n.

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