Der logische, aber ungeliebte Weg zur Energiewende
Energiemangel. Die Krise sei nur mit mehr Realismus beim Energie-Umbau zu bewältigen, sagen Wissenschaftler.
In Brüssel reden sie jetzt über einen Preisdeckel für den Gaseinkauf, nachdem bereits ein paar Wochen zuvor ein solcher auf russisches Erdöl gesetzt wurde. Und die Mitgliedstaaten selbst übertrumpfen einander mit Energiepreissubventionen und Unterstützungszahlungen für Konsumenten und Unternehmen. Ein erfolgreicher Weg zur Bewältigung der immer gravierender werdenden Energiekrise, deren Höhepunkt zumindest bei Gas wohl erst im Winter 2023 droht?
Eher nein, sagt eine neue Studie des Brüsseler Thinktanks Bruegel („Beating the European Energy Crisis“, Jeronim Zettelmeyer et al.): Solche Preisdeckel können das zugrunde liegende Problem eher verschärfen, indem sie den Verbrauch erhöhen und so durch die Hintertür erst wieder Preisdruck aufbauen. Die undifferenzierten und unkoordinierten Subventionen einzelner Mitgliedstaaten wiederum führen zu sogenannten SpilloverEffekten, die Konsumenten in anderen Ländern schaden und ebenfalls für Preisdruck sorgen.
Und teuer sind sie obendrein: Wenn die EU-Länder ihre Bürger und Industrien für die erwarteten Mehrkosten voll kompensieren, dann kostet das locker eine Billion Euro. Also rund sechs Prozent des EU-BIPs. Mit unabsehbaren Folgen für Finanzstabilität und Inflation.
Die Importregulierung per Preisdeckel wiederum birgt, so die Brüsseler Forscher, das Risiko in sich, von Lieferungen abgeschnitten zu werden. Klar: Wer zum VWHändler geht und seinen Golf nach eigenen Vorstellungen „preisgedeckelt“erwerben möchte, wird möglicherweise ohne Auto heimkommen.
Aber was tun? Energiemärkte offenhalten, nur noch vulnerable Verbraucher unterstützen, Energieverbrauch senken, Angebot erhöhen, empfehlen die Forscher. Nichts leichter als das! Nur völlig unrealistisch. Die angepeilten
Gasverbrauchseinsparungen sind durch den kalten Winter und den hohen Gaseinsatz zur Verstromung schon jetzt Geschichte.
Und an eine Verringerung des Stromverbrauchs glauben wohl nicht einmal Weihnachtsmänner: Selbst wenn es zu starken Effizienzsteigerungen kommt, wird sich der Stromverbrauch durch die geplante umfassende Elektrifizierung
BILANZ
von Verkehr, Wärmeerzeugung und Industrie in den nächsten Jahrzehnten vervielfachen. In Deutschland beispielsweise würde allein die Umstellung der Chemieindustrie auf Strom den Gesamtverbrauch des Landes verdoppeln.
Für Bruegel ist klar: Diese Krise lässt sich auf nationalstaatlicher Ebene allein nicht lösen. Wichtig wäre etwa, dass die EU ihre geballte wirtschaftliche Macht durch einen gemeinsamen Gaseinkauf zur Geltung bringt. Ein Vorhaben, von dem seit Monaten viel geredet wird, das aber nicht einmal in Ansätzen existiert.
Überdies sollten die EU-Länder kurzfristig versuchen, ihr Energieangebot deutlich zu erhöhen. Etwa durch eine starke Ausweitung der Gasförderung (Bruegel nennt dabei vor allem die Niederlande) und den Weiterbetrieb von vorhandenen, zur Schließung bestimmten Kraftwerken (Bruegel nennt hier vor allem deutsche Kernkraftwerke).
Das sei politisch zwar schwierig, aber die Energiekrise sei nun einmal ein Problem, das nur gemeinsam gelöst werden könne. Und zwar gezielt und nicht mit „Notfallinterventionen“wie riskanten Preisdeckeln.
In dieselbe Kerbe schlagen auch deutsche Experten: Roland Berger, Clemens Fuest, Hans-Werner Sinn, Christoph Theis und Peter Alexander Wacker haben in der jüngsten Ausgabe des „Ifo-Schnelldiensts“ein Papier veröffentlicht („Zwischen Notfallmaßnahmen und Strukturreformen: Wie den Energiemarkt zukunftsfähig gestalten?“), in dem sie eindringlich zu „mehr Realismus“aufrufen. Bloße Subventionen seien alles andere als nachhaltig. Genauso wenig nachhaltig sehen allerdings auch die Pläne für die künftige Energieversorgung aus.
Natürlich, so meinen die Wissenschaftler, müsse die Energiewende vorangetrieben werden. Allerdings so, dass dabei nicht das ganze Versorgungssystem den Bach hinuntergehe. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass man bei Wind- und Sonnenstrom praktisch Regelenergie im Ausmaß der vollen Kapazität benötige, solang nicht ausreichend Speicher vorhanden seien.
Dabei sei Kernkraft hilfreich, man benötige aber auch viel mehr schnell reagierende Kraftwerke, was man etwa durch den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken erreichen könne. Also Kraftwerken, die umgestellt werden, sobald ausreichend Wasserstoff vorhanden sei.
Das Problem sei ja, dass es in der Theorie schon mehr als genug „grüne“Alternativen für die Regelenergie gäbe – etwa Batteriespeicher oder eben Wasserstoff. Dass all diese Möglichkeiten aber noch nicht ausreichend für großtechnischen Einsatz zur Verfügung stünden beziehungsweise noch in frühen Stadien steckten. Bis zum Aufbau einer effizienten Wasserstoffwirtschaft werde es noch Jahrzehnte dauern.
Hans-Werner Sinn hat das in seiner „Weihnachtsvorlesung“vor ein paar Tagen als Wunschzettel an das Christkind formuliert: Wiedereinstieg in die Atomwirtschaft, Fracking, neue Erdgaspipelines, neue Erdgasspeicher. Ende des Unilateralismus bei international gehandelten Brennstoffen. Vor allem aber: sofortige Aufhebung vorauseilender Brennstoffverbote – erst grüne Technik aufbauen, dann erst konventionelle abschalten. Nicht umgekehrt, wie das jetzt geschieht.
Letzteres ist eigentlich für jeden mit ein bisschen Sachverstand logisch. Es wird auch an dieser Stelle seit Langem verlangt. Jetzt muss sich nur noch jemand finden, der das den ideologiegetriebenen Energiepolitikern buchstabiert, die gerade dabei sind, das europäische Energiesystem und mit ihm die gesamte Wirtschaft an die Wand zu fahren, indem sie konsequent den zweiten vor dem ersten Schritt setzen wollen.
Da drängt die Zeit. Denn wenn die Industrie durch die „dümmste Energiepolitik der Welt“(„Wall Street Journal“über Deutschland) einmal vertrieben ist, kommt sie nicht mehr zurück. Das hilft zwar dem Klima wenig (es wird ja anderswo produziert), aber, zugegeben, regional haben wir dann eine schöne „Klimabilanz“.