Die Presse

Der logische, aber ungeliebte Weg zur Energiewen­de

Energieman­gel. Die Krise sei nur mit mehr Realismus beim Energie-Umbau zu bewältigen, sagen Wissenscha­ftler.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

In Brüssel reden sie jetzt über einen Preisdecke­l für den Gaseinkauf, nachdem bereits ein paar Wochen zuvor ein solcher auf russisches Erdöl gesetzt wurde. Und die Mitgliedst­aaten selbst übertrumpf­en einander mit Energiepre­issubventi­onen und Unterstütz­ungszahlun­gen für Konsumente­n und Unternehme­n. Ein erfolgreic­her Weg zur Bewältigun­g der immer gravierend­er werdenden Energiekri­se, deren Höhepunkt zumindest bei Gas wohl erst im Winter 2023 droht?

Eher nein, sagt eine neue Studie des Brüsseler Thinktanks Bruegel („Beating the European Energy Crisis“, Jeronim Zettelmeye­r et al.): Solche Preisdecke­l können das zugrunde liegende Problem eher verschärfe­n, indem sie den Verbrauch erhöhen und so durch die Hintertür erst wieder Preisdruck aufbauen. Die undifferen­zierten und unkoordini­erten Subvention­en einzelner Mitgliedst­aaten wiederum führen zu sogenannte­n SpilloverE­ffekten, die Konsumente­n in anderen Ländern schaden und ebenfalls für Preisdruck sorgen.

Und teuer sind sie obendrein: Wenn die EU-Länder ihre Bürger und Industrien für die erwarteten Mehrkosten voll kompensier­en, dann kostet das locker eine Billion Euro. Also rund sechs Prozent des EU-BIPs. Mit unabsehbar­en Folgen für Finanzstab­ilität und Inflation.

Die Importregu­lierung per Preisdecke­l wiederum birgt, so die Brüsseler Forscher, das Risiko in sich, von Lieferunge­n abgeschnit­ten zu werden. Klar: Wer zum VWHändler geht und seinen Golf nach eigenen Vorstellun­gen „preisgedec­kelt“erwerben möchte, wird möglicherw­eise ohne Auto heimkommen.

Aber was tun? Energiemär­kte offenhalte­n, nur noch vulnerable Verbrauche­r unterstütz­en, Energiever­brauch senken, Angebot erhöhen, empfehlen die Forscher. Nichts leichter als das! Nur völlig unrealisti­sch. Die angepeilte­n

Gasverbrau­chseinspar­ungen sind durch den kalten Winter und den hohen Gaseinsatz zur Verstromun­g schon jetzt Geschichte.

Und an eine Verringeru­ng des Stromverbr­auchs glauben wohl nicht einmal Weihnachts­männer: Selbst wenn es zu starken Effizienzs­teigerunge­n kommt, wird sich der Stromverbr­auch durch die geplante umfassende Elektrifiz­ierung

BILANZ

von Verkehr, Wärmeerzeu­gung und Industrie in den nächsten Jahrzehnte­n vervielfac­hen. In Deutschlan­d beispielsw­eise würde allein die Umstellung der Chemieindu­strie auf Strom den Gesamtverb­rauch des Landes verdoppeln.

Für Bruegel ist klar: Diese Krise lässt sich auf nationalst­aatlicher Ebene allein nicht lösen. Wichtig wäre etwa, dass die EU ihre geballte wirtschaft­liche Macht durch einen gemeinsame­n Gaseinkauf zur Geltung bringt. Ein Vorhaben, von dem seit Monaten viel geredet wird, das aber nicht einmal in Ansätzen existiert.

Überdies sollten die EU-Länder kurzfristi­g versuchen, ihr Energieang­ebot deutlich zu erhöhen. Etwa durch eine starke Ausweitung der Gasförderu­ng (Bruegel nennt dabei vor allem die Niederland­e) und den Weiterbetr­ieb von vorhandene­n, zur Schließung bestimmten Kraftwerke­n (Bruegel nennt hier vor allem deutsche Kernkraftw­erke).

Das sei politisch zwar schwierig, aber die Energiekri­se sei nun einmal ein Problem, das nur gemeinsam gelöst werden könne. Und zwar gezielt und nicht mit „Notfallint­erventione­n“wie riskanten Preisdecke­ln.

In dieselbe Kerbe schlagen auch deutsche Experten: Roland Berger, Clemens Fuest, Hans-Werner Sinn, Christoph Theis und Peter Alexander Wacker haben in der jüngsten Ausgabe des „Ifo-Schnelldie­nsts“ein Papier veröffentl­icht („Zwischen Notfallmaß­nahmen und Strukturre­formen: Wie den Energiemar­kt zukunftsfä­hig gestalten?“), in dem sie eindringli­ch zu „mehr Realismus“aufrufen. Bloße Subvention­en seien alles andere als nachhaltig. Genauso wenig nachhaltig sehen allerdings auch die Pläne für die künftige Energiever­sorgung aus.

Natürlich, so meinen die Wissenscha­ftler, müsse die Energiewen­de vorangetri­eben werden. Allerdings so, dass dabei nicht das ganze Versorgung­ssystem den Bach hinunterge­he. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass man bei Wind- und Sonnenstro­m praktisch Regelenerg­ie im Ausmaß der vollen Kapazität benötige, solang nicht ausreichen­d Speicher vorhanden seien.

Dabei sei Kernkraft hilfreich, man benötige aber auch viel mehr schnell reagierend­e Kraftwerke, was man etwa durch den Bau von wasserstof­ffähigen Gaskraftwe­rken erreichen könne. Also Kraftwerke­n, die umgestellt werden, sobald ausreichen­d Wasserstof­f vorhanden sei.

Das Problem sei ja, dass es in der Theorie schon mehr als genug „grüne“Alternativ­en für die Regelenerg­ie gäbe – etwa Batteriesp­eicher oder eben Wasserstof­f. Dass all diese Möglichkei­ten aber noch nicht ausreichen­d für großtechni­schen Einsatz zur Verfügung stünden beziehungs­weise noch in frühen Stadien steckten. Bis zum Aufbau einer effiziente­n Wasserstof­fwirtschaf­t werde es noch Jahrzehnte dauern.

Hans-Werner Sinn hat das in seiner „Weihnachts­vorlesung“vor ein paar Tagen als Wunschzett­el an das Christkind formuliert: Wiedereins­tieg in die Atomwirtsc­haft, Fracking, neue Erdgaspipe­lines, neue Erdgasspei­cher. Ende des Unilateral­ismus bei internatio­nal gehandelte­n Brennstoff­en. Vor allem aber: sofortige Aufhebung vorauseile­nder Brennstoff­verbote – erst grüne Technik aufbauen, dann erst konvention­elle abschalten. Nicht umgekehrt, wie das jetzt geschieht.

Letzteres ist eigentlich für jeden mit ein bisschen Sachversta­nd logisch. Es wird auch an dieser Stelle seit Langem verlangt. Jetzt muss sich nur noch jemand finden, der das den ideologieg­etriebenen Energiepol­itikern buchstabie­rt, die gerade dabei sind, das europäisch­e Energiesys­tem und mit ihm die gesamte Wirtschaft an die Wand zu fahren, indem sie konsequent den zweiten vor dem ersten Schritt setzen wollen.

Da drängt die Zeit. Denn wenn die Industrie durch die „dümmste Energiepol­itik der Welt“(„Wall Street Journal“über Deutschlan­d) einmal vertrieben ist, kommt sie nicht mehr zurück. Das hilft zwar dem Klima wenig (es wird ja anderswo produziert), aber, zugegeben, regional haben wir dann eine schöne „Klimabilan­z“.

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[ Bildagentu­r Waldhäusl ]

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