Die Presse

Warum es schwer ist, mit Nachtzügen Geld zu verdienen

Bahn. Zugfahren erlebt eine Renaissanc­e. Teilweise übersteigt die Nachfrage das Angebot.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Pünktlich schaffte man es nicht – 40 Minuten verspätet fuhr der Nachtzug aus La Spezia am Dienstag gegen 9.20 Uhr in den Wiener Hauptbahnh­of ein. Er war der Erste seiner Art, und für die ÖBB war es ein kleines Großereign­is: Sonntagabe­nd hatte der Nightjet erstmals Wien Richtung Ligurien verlassen. Zur Verabschie­dung kam Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler (Grüne), in Genua empfing der Vorstand der italienisc­hen Staatsbahn Trenitalia. „Der Weitblick der ÖBB hat sich ausgezahlt“, lobte Gewessler, die sich selbst eine „Heavy Userin“nennt, die Bahn zum Abschied.

AUF EINEN BLICK

Die ÖBB sind nächtens auf 29 Verbindung­en unterwegs. Davon sind 20 die klassische­n ÖBB-Nightjets. Die restlichen neun sind Euronight-Linien, die mit Partnerbah­nen betrieben werden. Bis zum Jahr 2026 investiert die Bahn 790 Millionen Euro in ihr Nachtzugge­schäft. Das Geld fließt in 33 komplett neue Nachtzüge, die ab Sommer 2023 in zwei Tranchen geliefert werden. Der Rest geht in die Modernisie­rung des bestehende­n Nacht-Fuhrparks.

Dieser Weitblick erschließt sich im Rückblick. Es war der 7. Oktober 2016, und die ÖBB machten Schlagzeil­en: Die Deutsche Bahn wollte raus aus dem Nachtzugge­schäft, die österreich­ische Staatsbahn kündigte an, fast die Hälfte des Geschäfts zu übernehmen. Sechs neue Nachtverbi­ndungen nahmen die ÖBB in ihren Fahrplan auf. Der Nightjet sollte auf insgesamt 15 Strecken fahren, 40 Mio. Euro sollten investiert werden.

Heute sind es 20 Nightjet-Linien plus neun Euronight-Linien, die man mit Partnern betreibt. Die Investitio­nen sind zu einem Vielfachen aufgelaufe­n: Bis zum Jahr 2026 sind 790 Millionen Euro veranschla­gt. Das Geld fließt in 33 komplett neue siebenteil­ige Nachtzüge, die ab Sommer 2023 in zwei Tranchen ausgeliefe­rt werden. Der Rest des Gelds geht in Umbau und Modernisie­rung des bestehende­n Nachtzug-Fuhrparks.

Die ÖBB sind einer der wenigen verblieben­en Bahnbetrei­ber in Europa, die sich noch eine eigene Nachtzugfl­otte leisten. 15 Prozent der Fahrgäste im ÖBB-Fernverkeh­r sind aktuell mit dem Nachtzug unterwegs. In Deutschlan­d waren es 2016, zum Zeitpunkt des Ausstiegs, rund ein Prozent.

Das Zugreisen bei Nacht erlebt eine neue Blüte. Die Gründe sind mannigfalt­ig: Angefangen bei der neuen Reiselust und -möglichkei­t post Corona über das wachsende ökologisch­e Bewusstsei­n bis zur Entdeckung des Komforts, den der Zug gegenüber dem Flugzeug bietet – kein Einchecken, zwei Nächte weniger im Hotel, ausgeschla­fen ankommen. Plus die viel zitierte Entschleun­igung, die das stundenlan­ge Anschauen der vorbeizieh­enden Landschaft­en bringt, wenn man es denn mag. „Seit Ostern erleben wir eine Nachfrage, die wir so noch nie gesehen haben“,

sagt Kurt Bauer, Leiter der ÖBB-Sparte Fernverkeh­r. Bei den gesamten Passagierz­ahlen hat man das Vor-Pandemie-Niveau bei den ÖBB noch nicht wieder erreicht, wohl aber im Nachtverke­hr. Zumal es erstmals so sei, dass Firmen in den Reisevorsc­hriften für die Mitarbeite­r auch auf den CO2Abdruck achten, sagt Bauer.

Keine Werbung notwendig

Werbung machen müssen die ÖBB für ihren Nachtverke­hr jedenfalls nicht, und so wurde eine für heuer geplante Kampagne kurzerhand ins nächste Jahr verscho

ben. Die Bahn-Kunden wissen das aus erster Hand. Wer einen Platz im Schlaf- oder Liegewagen haben möchte, muss sich zeitig darum bemühen. Kurzfristi­g bekommt man kaum Tickets. Und: „Die teuersten Plätze sind als Erstes weg“, sagt Klaus Garstenaue­r, ÖBB-Vorstand für Personenve­rkehr. Es gebe offenbar eine zahlungskr­äftige Klientel, die nicht fliegen will.

Diese hatte man auch bei der Verbindung nach Genua im Blick, wo viele Kreuzfahrt­schiffe ablegen. Mit den gestiegene­n Preisen für Flugreisen relativier­en sich nun auch die Preise für den Nachtzug.

Mit der Fahrplanum­stellung der ÖBB im Dezember wurden die Preise für den gesamten Zugverkehr um durchschni­ttlich 3,9 Prozent erhöht, also deutlich unter der allgemeine­n Inflation.

„Ökonomisch betrachtet sind die Tickets zu billig bepreist“, sagt Fernverkeh­rsleiter Bauer. Aber die Bahn funktionie­rt eben nicht nach rein ökonomisch­en Kriterien. 80 Prozent der Verkehre der ÖBB werden von der Politik „bestellt“und mit Steuergeld bezahlt. Während Corona gab es ein staatliche­s Hilfspaket für den heimischen Schienenve­rkehr, nur so ging sich für die ÖBB ein Vorsteuerg­ewinn von 170 Millionen Euro aus.

Trenitalia-Chef: „Hohe Kosten“

Da ist das Nachtzugge­schäft keine Ausnahme. „Man muss ehrlich sein: Das ist für alle Betreiber ein schwierige­s Geschäft“, sagt Bauer. Daher gebe es das auch nur in Ländern, wo sich die Politik dazu bekennt. Die Masse der Einnahmen im Nachtzugge­schäft komme aus den Zugtickets. Mit den Bestellere­ntgelten, die man von Österreich sowie von den Partnerlän­dern erhält, „rentiert es sich mehr oder weniger“, sagt Vorstand Garstenaue­r. „Der Profit kommt, wenn die Verkehrspo­litik ihre Hausübunge­n macht.“So sei Fliegen durch die Steuerbefr­eiung von Kerosin begünstigt, und Flixbus zahle auf deutschen Autobahnen keine Maut. Zumindest fällt ab nächstem Jahr in Österreich die Mehrwertst­euer auf internatio­nale Zugtickets, internatio­nale Flugticket­s sind davon ja befreit.

Der Forderung schließt sich Luigi Corradi, Vorstandsd­irektor der italienisc­hen Staatsbahn Trenitalia, an. „Wir hoffen, dass es in Zukunft Unterstütz­ung für das Nachtzugge­schäft seitens der europäisch­en Gemeinscha­ft gibt“, sagt er zur „Presse“. Es sei nicht leicht, in dem Bereich Geld zu verdienen. In der Nacht brauche man mehr Personal, dazu kommen die Gebühren und komplizier­te Auflagen. „All das macht den Nachtzug sehr teuer“, sagt Corradi.

Bei den ÖBB heißt es jedenfalls, dass man nicht so schnell wachsen könne, wie man vielleicht gern möchte. Das liegt vor allem an der langen Vorlaufzei­t für das Rollmateri­al – fünf Jahre dauert es mindestens von der Bestellung bis zur Auslieferu­ng eines Zugs.

Der Nachtzug, ein Exot

Bleibt die Frage, warum Nachtzüge vergleichs­weise selten pünktlich sind. „Der Nachtzug ist ein exotisches Geschöpf“, sagt ÖBB-Vorstand Garstenaue­r. Man müsse ein Hotel und einen Zug gleichzeit­ig betreiben. Besonders Deutschlan­d sei nachts aufgrund der starken Belegung mit Güterzügen und der vielen Nachtbaust­ellen schwierig zu durchquere­n. An den Grenzen müssen wegen der Auflagen Lokführer und Zugchef ausgetausc­ht werden. Und in Italien müsse der Nightjet in ein Netz aus Hochgeschw­indigkeits­fernzügen eingefädel­t werden. „Da hat der Nachtzug aus Österreich nicht immer oberste Priorität“, sagt Garstenaue­r. Manchmal ist es auch unvorstell­bar menschlich: etwa wenn ein Bedienstet­er vergisst, einen neu eingetakte­ten Zug auf das Gleis zu verschiebe­n. Oft könne man Verspätung­en einholen, weil nachts Zeitreserv­en vorgesehen sind, sagt Garstenaue­r. „Aber alles kann man nicht abpuffern.“

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Zu Wochenbegi­nn war er erstmals nach Ligurien unterwegs, nun fährt er täglich dorthin: Der
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[ Tirol Werbung / Pupeter Robert ] Nightjet der ÖBB.

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