Kŭsej: Keine schlechte Bilanz in dunklen Zeiten
Burgtheater. Martin Kŭsejs Tage als Direktor seien gezählt, heißt es im Vorfeld der Entscheidung, die Staatssekretärin Mayer nächste Woche verkünden will. Ist das gerecht? Was hat in seiner Ära gefehlt? Ein früher Rückblick.
Es ist heikel, zur Arbeit des amtierenden Direktors des Burgtheaters eine Zwischenbilanz zu ziehen. Aus mehreren Gründen. Martin Kusˇej erledigt diesen Job zwar seit September 2019, also seit drei Saisonen und gut drei Monaten der vierten Saison, aber der Kärntner Regisseur und Theatermacher agierte unter erschwerten Bedingungen. Anfang 2020, mitten in seiner ersten Spielzeit, begann sich die CoronaPandemie lähmend auszuwirken; Ausnahmezustand allenthalben, besonders aber im Theater, für mehr als zwei Jahre. Wie soll man das bewerten?
Zudem könnte es leicht sein, dass aus dieser Zwischenbilanz noch vor Weihnachten eine endgültige Bilanz wird. Die Politik in Gestalt der zuständigen, von den Grünen installierten Staatssekretärin hat die Entscheidung über die Zukunft der Leitung des Burgtheaters im Gegensatz zu jener der Staatsoper lang hinausgezögert, mit folgenden erkennbaren Optionen: Verlängerung des Fünfjahresvertrags für Kusˇej um handelsübliche weitere fünf Jahre? Ein radikaler Neubeginn? Oder das in Österreich häufige Dahinwursteln mit einer Zwischenlösung, unter dem Motto „Darf ’s ein bisserl weniger sein?“.
Falls es zu einer Neubesetzung ab Herbst 2024 kommt, erhält die oder der Betroffene minimalen Spielraum von Staatssekretärin Andrea Mayer. Wie soll die neue Leitung in eineinhalb Jahren ein volles Programm mit an die 30 Neuproduktionen schaffen? Das wäre ein ganz großer Bluff. Fahrlässig wenig Spielraum gäbe es, meinen die Umsichtigen unter jenen, die wissen, was es bedeutet, einen so großen Kulturtanker wie das Burgtheater durch schweres Wetter zu führen.
Karin Bergmanns große Leistung
Vorbildlich hat solch eine Krisenbewältigung Kusˇejs Vorgängerin, Karin Bergmann, geschafft, die erste Frau in diesem Hochamt heimischer Hochkultur. Sie übernahm 2014 ein finanziell enorm belastetes Haus, leistete wertvolle Seelenarbeit im Ensemble, stellte unter harten Bedingungen mehr als achtbare Programme vor. Bergmann übergab die Burg saniert, sogar mit einem Überschuss, quasi als Morgengabe für den Neuen.
Der ist inzwischen auch schon fast ein Alter und hat im Schwinden der CoronaEpidemien sowie noch immer mitten in der allgemeinen Theaterkrise zudem mit einer vergifteten Atmosphäre zu kämpfen. Seit Monaten kursieren in Wiens Gazetten Gerüchte, wie belastet das Betriebsklima im Burgtheater sei. Dem Direktor wird autoritärer
Stil unterstellt, ohne dies mit konkreten Namen und Aussagen zu belegen. Die übliche Wiener Melange. Was aber kann man konkret zur Situation sagen?
Nimmt man den Nestroy-Preis als Maßstab, kann sich Kusˇej durchaus mit Bergmann messen. 2020 erhielten Burg- und Akademietheater vier, 2021 drei und 2022 fünf dieser in Österreich begehrten Trophäen. Fast jeder vierte Nestroy ging also an dieses Nationaltheater mit seinen vier Bühnen. (Auch das seltener bespielte Kasino und das Vestibül als eine Art Probebühne gehören dazu.) Die – ebenso subjektiven – Bewertungen im Feuilleton der „Presse“scheinen ebenfalls die noch immer wirksame Vorrangstellung des Burgtheaters zu bestätigen.
Höhepunkt 2022: „Maria Stuart“
In den Bilanzen, die das Ressort dieser Zeitung stets am Jahresende zieht, hat es 2019 Gold für Wajdi Mouawads „Vögel“im Akademietheater gegeben, inszeniert von Itay Tiran. (Allerdings „gewann“die Burg auch die Negativkategorie Schrott, mit „Dies
Irae“, inszeniert von Kay Voges, der kurz danach die Leitung des Volkstheaters übernahm.) 2020 gewann wiederum eine Premiere im Akademietheater, Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“unter der Regie von Robert Borgmann. Und 2021 fand „Die Presse“, dass „Maria Stuart“mit den Powerfrauen Birgit Minichmayr und Bibiana Beglau das Beste war, was die heimischen Bühnen zu bieten hatten. Regie bei dieser Koproduktion des Burgtheaters mit den Salzburger Festspielen führte – Martin Kusˇej.
Auslastung bei 66 Prozent
Beim Schlechtreden des Theaters sollte man also auch die Erfolge nicht unterschlagen. Allein schon durch die Pandemie kann man fast jeder Bühne eine durchwachsene Bilanz konstatieren. Die letzten drei im Burgtheater sehen so aus: Trotz Corona gab es seit Herbst 2019 immerhin 69 Premieren und 1524 Vorstellungen mit folgender Gesamtauslastung: 2019/2020 80,5, 2020/2021 68, 2021/2022 61 Prozent. Der Trend zeigt seit Herbst 2022 bei den Besucherzahlen wieder stetig nach oben: Im September 53, im Oktober 61, im November 64 und in der ersten Dezemberhälfte 66 Prozent. Spitzenreiter im Burgtheater waren „Geschlossene Gesellschaft“(Regie: Kusˇej), „Faust“(Regie: Kusˇej), „Maria Stuart“(Regie: Kusˇej) und „Mephisto“(Regie: Bastian Kraft). Im halb so großen Akademietheater gab es sogar acht Inszenierungen mit einer Auslastung von mehr als 80 Prozent. Das ist keine schlechte Bilanz in finsteren Zeiten.
Zu wenig österreichische Klassiker
Was also spricht für Kusˇej, diesen Schwierigen? Er zählt immer noch zur ersten Liga der Theater- und Opernregisseure im deutschsprachigen Raum. Als Intendant versuchte er in Wien, so wie im Residenztheater in München zuvor, seinem Haus mehr Internationalität zu geben. Sein spezieller Fokus lag bisher auf Ost- und Südosteuropa. Das war naturgemäß riskant, denn Theater wirkt vor allem auch regional. Ergo müsste man wieder mehr Grillparzer, Nestroy, Raimund wagen, und dann und wann einen Canetti, einen Horváth oder eine Röggla. Diese Dialektik zwischen großer und kleiner Welt erzeugt aber auch Spannungen. Wer vieles bringt, wird zwar manchem etwas bringen. Damit ist aber noch längst nicht garantiert, dass jeder zufrieden aus dem Haus geht.
Das Burgtheater wird von selbst erklärten Hütern (wichtiger aber: von vielen Besuchern) noch immer als Traditionsbetrieb erachtet, der österreichische Klassiker pflegt und zudem das Neue entdecken soll, das dieses Land bewegt. Damit ist ihr Direktor seit 2019 tatsächlich recht indifferent umgegangen. Er hat sich kaum um Naheliegendes gekümmert. Fazit: Kusˇej hat es sich, seinem Theater und vor allem dem Publikum nicht leicht gemacht. Was nicht dagegen sprechen sollte, ihm noch eine Chance zu geben.