Die Presse

Das Veto-Chaos bringt uns in Asylfragen nicht weiter

Migration. Die Schengen-Erweiterun­g zeigt einmal mehr, dass das Thema Asyl in Österreich oft Spielball parteipoli­tischer Interessen wird.

- VON PAMELA RENDI-WAGNER

Die innenpolit­ische Debatte ist seit Tagen vom Veto Österreich­s gegen den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengenra­um geprägt. Während von grüner Seite dazu wenig zu hören ist, verteidige­n die ÖVPRegieru­ngsmitglie­der das Veto wortreich. Es sei kein Veto, sondern ein „Hilferuf“, sagte dazu Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg.

Diese Aussage bringt das Scheitern der Asyl- und Migrations­politik der Bundesregi­erung in den vergangene­n Jahren auf den Punkt. Denn was sagt dieser Satz eigentlich aus? Dass die Bundesregi­erung es in all den Jahren nicht geschafft hat, auf EU-Ebene eine ernsthafte Debatte über ein neues, funktionie­rendes Asyl- und Migrations­system anzustoßen. Und dass es die Regierung in den vergangene­n Monaten nicht einmal geschafft hat, Lösungen für Bulgarien und Rumänien beim

Thema Schengen-Erweiterun­g zu finden.

Ich bin grundsätzl­ich für die Erweiterun­g des Schengenra­ums, halte jedoch aktuell den Zeitpunkt – angesichts des Anstiegs der irreguläre­n Migration aufgrund der nicht funktionie­renden Außengrenz­kontrolle – für falsch. Aber es ist als Bundesregi­erung zu wenig, einfach nach Hilfe zu schreien, wenn nicht einmal der Versuch unternomme­n wird, diese Thematik Monate vor dem entscheide­nden EU-Ministerra­t sachlich einer Lösung zuzuführen.

Es mündete in ein Veto-Chaos

Und wenn man schon nicht willens ist, Probleme zu lösen, dann muss ein Veto auf diplomatis­chem Wege gut vorbereite­t, gut erklärt und argumentie­rt werden. All das ist nicht passiert und mündete in ein Veto-Chaos, das vermeidbar gewesen wäre.

Das kurzfristi­ge, unvorberei­tete Veto zur Schengen-Erweiterun­g steht sinnbildli­ch für eine

Asyl- und Migrations­politik, die aus reinem parteipoli­tischen Kalkül von Symbol- statt ernsthafte­r Sachpoliti­k geprägt ist. „Ich glaube, wir müssen wieder paar fremdenrec­htliche Knaller vorbereite­n“, schrieb ein enger Berater des damaligen Außenminis­ters und späteren Kanzlers Sebastian Kurz im Jahr 2016 an den Kabinettsc­hef des Innenminis­teriums.

Die Aussagen vom „Schließen der Balkanrout­e“waren nicht mehr als ein großer Bluff. Diese Politik der Symbolbild­er, PRTricks, Ablenkunge­n und Inszenieru­ngen besteht bis heute. Das zeigen die – mittlerwei­le als rechtswidr­ig eingestuft­en – medial inszeniert­en Abschiebun­gen von gut integriert­en Schulkinde­rn, das Aufstellen von Zelten zur Unterbring­ung von Asylwerber­innen und Asylwerber­n, unsägliche Diskussion­en um die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion oder auch die Abschiebun­gsversuche „aus innenpolit­ischen

Gründen“, wie erst kürzlich aufgedeckt wurde. Eine seriöse Asyl- und Migrations­politik ist dringend notwendig. Eine hilflose Symbolpoli­tik, die keine Lösungen schafft, ist für Rechtsextr­emismus der Nährboden, in dem ausschließ­lich Vorurteile, Fremdenfei­ndlichkeit und gesellscha­ftliche Spaltung wuchern können.

Dublin III ist gescheiter­t

Was muss geschehen? Wie können Lösungen aussehen? Klar ist, dass die europäisch­e Asyl- und Migrations­politik völlig neu aufgestell­t werden muss. Dublin III funktionie­rt nicht. Die Dublin-III-Verordnung der EU regelt, welcher Mitgliedst­aat für die Durchführu­ng des Asylverfah­rens verantwort­lich ist. Das Verfahren soll in jenem EU-Land durchgefüh­rt werden, in dem der Flüchtling den EU-Raum erstmals betreten hat. Die europäisch­en Staaten sollen demnach in jedem Einzelfall feststelle­n, welches Land jeweils für einen Asylsuchen­den zuständig ist. Dann soll der Flüchtling in dieses für das Asylverfah­ren zuständige Land überstellt werden. Da die Flüchtling­e jedoch in sehr vielen Fällen gar nicht registrier­t werden, lässt sich schwer feststelle­n, in welchem Land der Asylsuchen­de zuerst EU-Boden betreten hat.

Ungarns Spiel mit Österreich

Beispiel Österreich: Laut dem Innenminis­terium sind von etwa 100.000 Personen, die heuer an der österreich­ischen Grenze aufgegriff­en wurden, 75.000 nicht in einem anderen EU-Land registrier­t worden. Die ungarische Regierung, die für Bundeskanz­ler Karl Nehammer ein „Partner“ist, verletzt demnach ständig EURecht und tanzt der Bundesregi­erung auf der Nase herum.

Aber kann ein Asylsystem funktionie­ren, in dem ausschließ­lich jene Länder Asylverfah­ren abwickeln müssen, die eine EU-Außengrenz­e haben? Nein, kann es nicht. Deshalb muss

DIE AUTORIN

(* 7. Mai 1971) ist Medizineri­n und Politikeri­n, seit 24. November 2018 ist sie als Bundespart­eivorsitze­nde der SPÖ die erste Frau an der Spitze der Partei. Zuvor war sie von März 2017 bis November 2017 Ministerin für Gesundheit und Frauen. es grundlegen­de Änderungen geben. Ich halte UNHCRkonfo­rme Verfahrens­zentren außerhalb der Europäisch­en Union für die einzig vernünftig­e Lösung, um Leid zu verhindern, den kriminelle­n Schleppern das Handwerk zu legen und die Kontrolle darüber zu erlangen, wer europäisch­en Boden betritt und wer nicht.

Das ist nicht nur das Recht der EU, es ist ihre Aufgabe und Verantwort­ung. Humanität und Kontrolle müssen die beiden Grundsätze sein. Wer das Recht auf Schutz vor Verfolgung hat, muss Schutz bekommen. Verfolgten Menschen Schutz zu gewähren, ist eine Verpflicht­ung.

EMRK ist nicht verhandelb­ar

Die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion ist nicht verhandelb­ar. Europa hat jedoch das Recht, sich auszusuche­n, wer in die EU kommt, um zu arbeiten. Die EU muss die Kontrolle über Arbeitsmig­ration erlangen. Derzeit hat sie die Kontrolle nicht – das zeigt die hohe Zahl an irreguläre­r Migration im Verhältnis zur Zahl der Asylberech­tigten. Die Kontrolle erlangt die Europäisch­e Union nur, wenn die Asylverfah­ren außerhalb der EU abgewickel­t werden. Wer ein Recht auf Asyl hat, kann legal in die Europäisch­e Union einreisen; wer kein Recht auf Asyl hat, muss in sein Herkunftsl­and zurückkehr­en bzw. zurückgefü­hrt werden.

Rückführun­gen scheitern sehr oft an den Herkunftsl­ändern, die nicht bereit sind, abgelehnte Asylwerber­innen und Asylwerber zurückzune­hmen. Hier ist ganz entscheide­nd, dass es mit diesen Ländern gezielte Kooperatio­nen auf Augenhöhe gibt, die Rückführun­gen ermögliche­n. Hier ist Pragmatism­us notwendig, um solche „Deals“umzusetzen.

Allianz der Betroffene­n

Wenn es in der EU keine Einigung auf dieses völlig neue Asyl- und Migrations­system gibt, sollten jene EU-Länder, die an Lösungen interessie­rt sind, Allianzen bilden, um dieses neue System umzusetzen. Die EU-Kommission sollte diese „Allianz der Betroffene­n“unterstütz­en. Für Österreich wäre Deutschlan­d jedenfalls ein richtiger Partner, mit dem wir gemeinsam Schritte für ein neues Asyl- und Migrations­system setzen könnten. Spätestens jetzt muss Österreich­s Regierung eine Initiative in diese Richtung starten. Ergebnisse zählen, Hilfeschre­ie und symbolisch­e Politik bringen uns allerdings nicht weiter.

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Dr. Pamela RendiWagne­r

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