Willkommen im Öko-Gottesstaat Österreich
Die Alpenrepublik wird mit ihrer fundamentalistischen Ablehnung moderner Atomkraftwerke zunehmend zum spinnerten Sonderling in Europa.
Wenn Historiker künftiger Zeiten auf das Jahr 2022 und den Krieg in der Ukraine zurückblicken, werden sie wohl einen ähnlich gravierenden Einschnitt wie im Fall von 9/11 beschreiben: ein Ereignis, nach dem vieles sich irreversibel verändert hat. Kluge Politik adaptiert sich entsprechend, und sei es um den Preis der Aufopferung wichtiger Glaubensgrundsätze; dumme Politik steckt den Sand in den Kopf und macht weiter wie bisher. Besonders gilt das derzeit natürlich für die Energiepolitik. Die Regierung der Niederlande etwa hat deshalb erst dieser Tage den Bau von zwei neuen Atomkraftwerken angekündigt.
Das ist insofern klug, als damit langfristig sichergestellt werden kann, dass auch an windstillen und schattigen Tagen die Grundversorgung sichergestellt ist – und Strom für gutes Geld nach Deutschland geliefert werden könnte, das ja nach wie vor stur am Ausstieg im Frühjahr 2023 festhält, wider jede Vernunft und jedes nationales Interesse.
Deutschland und das diesbezüglich nicht minder wie ein fundamentalistischer Öko-Gottesstaat aufgestellte Österreich werden damit zunehmend zu Geisterfahrern auf dem Energie-Highway. Noch dazu zu jenen, die allen anderen dauernd erklären, auf der falschen Spur unterwegs zu sein. Es sind ja nicht nur die traditionell in ökologischen Belangen tonangebenden Niederländer, die sich der Vernunft beugen und Atomkraftwerke zu bauen beginnen. Polen errichtete gleich sechs neue Reaktoren, um schneller von der schmutzigen Kohle loszukommen, Tschechien wird seinen derzeit sechs Meilern weitere hinzufügen, ebenso die Slowakei. Auch Schweden hat seinen Atomausstieg schon entsorgt und wird neue AKWs aufstellen, ebenso wie Litauen im Baltikum. Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien planen dies auch, und unsere ungarischen Nachbarn haben schon zwei neue Reaktorblöcke in Auftrag gegeben. In Finnland, wo auch die Grünen aus Gründen des Klimaschutzes pro Atomstrom sind, wird gerade neben einem Mega-AKW sogar eine Endlagerstätte fertiggestellt.
Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Wähler in Schweden, Finnland etc. und deren politische Klasse dumm genug sind, den grauenhaften Strahlentod zu riskieren; während der österreichische Wähler und seine Repräsentanten in Folge ihrer weit überragenden Intelligenz gegen „das Atom“sind und als Einzige richtig entscheiden, während alle anderen Geisterfahrer sind.
Man sollte besser nicht. Denn viel naheliegender ist, dass die Niederländer, Schweden und all die anderen pragmatisch, dem Stand der Technik und ihren Interessen entsprechend handeln, während in Österreich die ökoreligiösen Ajatollahs und ihre mediale Sittenpolizei weiterhin jede rationale Auseinandersetzung über die friedliche Nutzung der Kernenergie hierzulande verweigern.
Dabei muss man kein Atomphysiker sein, um sich auszumalen, wie Österreich heute dastünde, hätten wir nicht 1978 gegen Zwentendorf gestimmt (und die zwei anderen geplanten Mailer in St. Pantaleon und St. Andrä). Aber das ist verschüttete Milch von vorgestern. Das Problem von heute ist, dass nicht weniger Politiker hinter vorgehaltener Hand konzedieren, wie irrational und unvernünftig spätestens seit Beginn des Kriegs in Europa unsere Anti-AKW-Politik ist, aber nicht mutig genug sind, öffentlich zu erklären, dass neue Fragen neuen Antworten erfordern – und sei es um den Preis des politischen Strahlentods.
Deutschland und Österreich werden damit zunehmend zu Geisterfahrern auf dem Energie-Highway.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was da eigentlich das schwerwiegendere Problem dieses Landes ist: dass wir in den nächsten Jahren in vieler Hinsicht einen hohen Preis für die kollektive Weigerung zahlen werden, genauso vernünftig wie Holländer, Schweden, Finnen oder Schweizer zu handeln – oder dass wir von einer politischen Klasse regiert werden, die überhaupt kein anderes Ziel mehr im Auge hat, als den nächsten Wahltag irgendwie zu überleben und damit seine Gage für weitere fünf Jahre zu sichern, komme da, was wolle.
Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.