Die chinesische Corona-Rosskur
Pandemie. Nach dem Scheitern der „Zero Covid“Strategie lässt China das Coronavirus unkontrolliert durchrauschen. Das hat gravierende Auswirkungen – auch für den Rest der Welt.
Wien. Es sind verstörende Videos, die auf sozialen Netzwerken in den vergangenen Tagen immer häufiger auftauchen. Bilder aus chinesischen Krankenhäusern, in denen Patienten dicht an dicht gedrängt in Betten liegen und beatmet werden müssen. Und wenige Meter entfernt, mitunter nur durch einen Vorhang getrennt, liegen am Boden zugedeckt jene, die es nicht geschafft haben. Die Szenen erinnern an das italienische Bergamo im Februar 2020. Denn derzeit baut sich in China die wohl größte Coronawelle auf, die die Welt seit Beginn der Pandemie vor drei Jahren gesehen hat. Und aufgrund der Folgen für die chinesische Volkswirtschaft wird das auch in Europa zu spüren sein.
Das Virus
Vor etwa zwei Wochen hat Peking nach den größten Massenprotesten seit Jahrzehnten nachgegeben und die Corona-Bestimmungen gelockert. Die rigide „Zero Covid“-Strategie war einfach nicht mehr aufrechtzuerhalten. Auslöser für den Ärger der Bevölkerung sollen unter anderem Bilder der Fußball-WM in Katar gewesen sein, durch die den Chinesen klar wurde, dass die Pandemie im Rest der Welt quasi vorbei ist. Doch schon kurz nach den Lockerungen ist den Behörden die Kontrolle über das Virus weitgehend entglitten.
Das Hauptproblem sind die zu geringe Durchimpfungsrate und die chinesischen Impfstoffe, die nicht so gut vor schweren Verläufen schützen wie die westlichen mRNA-Impfstoffe. Anders als in Europa trifft die hochinfektiöse Omikron-Variante somit auf eine gesundheitlich darauf kaum vorbereitete Bevölkerung. Laut Hochrechnungen könnten sich diesen Winter mehr als 60 Prozent der 1,4 Milliarden Chinesen anstecken. Die Zahl der Toten könnte laut Forschern der Universität Hongkong auf über eine Million ansteigen, weil die Intensivstationen komplett überlastet wären.
Die Wirtschaft
Neben dem menschlichen Leid hat die Situation auch massive Auswirkungen auf die chinesische Volkswirtschaft. Am Dienstag reduzierte die Weltbank ihre Prognose für das chinesische Wachstum für 2023 auf 4,3 Prozent – im Juni war man noch von 8,1 Prozent ausgegangen. Dieser hohe Wert war damals vor allem auch deshalb erwartet worden, weil China schon heuer ein extrem schwaches Wachstum verzeichnet. Laut Weltbank werden es gerade einmal 2,7 Prozent werden (zum Vergleich: Österreichs Wirtschaft wächst 2022 um 4,8 Prozent). Bis zum Frühjahr wurde für China noch ein Plus von über acht Prozent erwartet. Doch dann setzten die ständigen Lockdowns und die damit einhergehenden Produktions- und Lieferunterbrechungen der Wirtschaft sehr zu.
Die Lockerungen werden diese Probleme mittelfristig zwar beheben. Zuvor wird die nun erfolgende Rosskur die Wirtschaft in
China aber nochmals ordentlich nach unten drücken. Und das könnte auch die seit Sommer angespannte Situation an den chinesischen Anleihemärkten weiter verstärken.
Die Auswirkungen
Aber auch in der restlichen Welt werden die Folgen der Schwächung von Chinas Wirtschaft vermutlich zu spüren sein. Einerseits könnte es neuerlich zu Lieferkettenproblemen kommen, wenn Fabriken weniger produzieren oder Schiffe nicht entladen werden. Diesfalls nicht infolge von Lockdowns, sondern wegen Ausfällen von Corona-erkrankten Mitarbeitern. Und diese Lieferkettenproblematiken waren 2021 der Auslöser für die Inflationswelle, die durch Russlands Krieg in der Ukraine noch verschärft wurde.
Andererseits ist China für westliche Unternehmen einer der wichtigsten Absatzmärkte. So verkaufen beispielsweise die deutschen Autohersteller in dem Land inzwischen so viele Fahrzeuge wie nirgendwo sonst auf der Welt. Bleiben wegen der wirtschaftlichen Schwäche die Käufer aus, spüren das die Hersteller. Und ihre österreichischen Zulieferer.