Die Presse

„Es gibt im Land demokratie­politische Defizite“

SPÖ-Spitzenkan­didat Franz Schnabl hält ÖVP-Dominanz für eine „ungesunde Monokultur“. Von einer „Schande“spricht er mit Blick auf die Flüchtling­sunterbrin­gung. In der Schengen-Frage widerspric­ht er seiner Parteichef­in.

- VON JULIA NEUHAUSER

Die Presse:

Die ÖVP steckt derzeit in einer großen Krise. Warum profitiert die SPÖ in Niederöste­rreich davon nicht?

Franz Schnabl: Das hat mit den Schnittmen­gen in der Wählerscha­ft zu tun. Der Wähleraust­ausch findet seit Jahren eher zwischen der SPÖ, den Grünen und vielleicht noch ein bisschen den Neos statt. Der andere große Wähleraust­ausch passiert zwischen FPÖ und ÖVP.

NÖ-Wahl am 29. Jänner 2023 Was heißt das für Ihre Positionie­rung? Werden Sie nach rechts rücken?

Es gibt sehr viele Menschen, die christlich-soziale Wurzeln haben und bereit wären, der Sozialdemo­kratie da und dort ihre Stimme zu geben. Die werden wir mit unserer Themensetz­ung adressiere­n.

Was ist Ihr Wahlziel?

Das Wichtigste ist, die absolute Allmacht der ÖVP zu brechen. Seit 1945 gab es nur zehn Jahre, in denen es keine absolute Mehrheit der ÖVP gegeben hat. Daran hat sich nicht nur die ÖVP gewöhnt. Ich bin der Meinung, dass Macht und Machtvollk­ommenheit in gewisser Weise korrumpier­en . . .

Ist die ÖVP hier korrupt?

Ich meine das nicht im strafrecht­lichen Sinne. Aber ich sage ganz deutlich: Es gibt in der gesamten Landesverw­altung eine Monokultur, die nicht gesund ist. Mit Ausnahme von einer einzigen Dienststel­le gibt es in keiner Dienststel­le der gesamten Landesverw­altung – von Neunkirche­n bis Gmünd – eine zweite Partei, die bei Personalve­rtretungsw­ahlen kandidiert.

Das ist aber ein selbst gewähltes Schicksal . . .

Die Wahrheit ist: Es gibt im Land demokratie­politische Defizite.

Das konstatier­ten Sie auch in der Landesstud­io-Causa. Hatten Sie von den Interventi­onsversuch­en nicht schon vor den Enthüllung­en in der „Presse“Kenntnis?

Es liegt jetzt schwarz auf weiß in den Enthüllung­en auf dem Tisch. Den Eindruck haben die Niederöste­rreicher freilich schon länger, dass „NÖ Heute“häufig wie eine Belangsend­ung der ÖVP NÖ wirkt.

Glauben Sie, dass das in den rot geführten Bundesländ­ern tatsächlic­h anders ist?

Ich sehe regelmäßig auch die 19-Uhr-Sendungen aus anderen Bundesländ­ern. Und kann Ihnen sagen: Der Vergleich macht sicher. In dieser Ausprägung erlebe ich das in keinem anderen Bundesland. Beispielsw­eise gibt es nur mehr in Niederöste­rreich eine Radio-Belangsend­ung der Landeshaup­tfrau.

Erste anonyme Journalist­en aus den Landesstud­ios im Burgenland und in Wien berichten bereits von Parallelen.

Das kann ich nicht beurteilen. Die Gesamtrede­zeiten der Landeshaup­tleute zeigen ein anderes Bild. Aber: Wo es Unregelmäß­igkeiten gibt, braucht es Aufklärung.

Sie haben in der Causa den Rücktritt von Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner gefordert. Schließen Sie eine Zusammenar­beit mit Ihr nach der Wahl aus?

Mir geht es jetzt erst einmal darum, für unsere Themen und Inhalte zu werben. Danach werden wir mit allen Parteien auf Basis dieser Inhalte Gespräche führen.

In einer Umfrage wurde zuletzt gefragt, wem zugetraut wird, die Bundes-SPÖ zu führen. Sie sind bei null Prozent gelandet. Wieso?

Da hätte ich auch von mir selbst kein Prozent erhalten. Weil es weder mein Ziel ist noch etwas, was ich jemals in meinem Leben in Betracht gezogen habe.

Schließen Sie diesen Posten also für immer aus?

Das ist frei nach Helmut Zilk ein Notariatsa­kt.

Das Thema Asyl ist zurück. Haben wir eine Flüchtling­skrise?

Das Thema wird durch die unschönen Bilder, die der Innenminis­ter zu verantwort­en hat, und durch die unmenschli­che Haltung und populistis­che Politik des Kanzlers befeuert. Ich halte es für einen Skandal, von Asyltouris­mus zu reden.

Aber gibt es ein Problem?

Ja. Aber nicht in dem Sinne, dass wir die Flüchtling­szahlen nicht bewältigen können, sondern in dem Sinne, dass es seit Monaten Versäumnis­se der Politik gibt, für die Unterbring­ung der riesigen Zahl an Flüchtling­en zu sorgen.

Der Traiskirch­ner Bürgermeis­ter Andreas Babler, der auf der SPÖLandesl­iste steht, nannte es kürzlich eine eigentlich kleine Zahl.

Er hat insofern recht, als wir zwischen den Menschen, die einen Asylantrag stellen, und den Menschen, die tatsächlic­h hier in Betreuung bleiben, unterschei­den müssen. Viele würden eigentlich weiterzieh­en wollen. In einem hat Babler zu hundert Prozent recht: Es ist eine Schande, dass wir nicht die Größe aufbringen, diese Menschen bei dieser Kälte menschlich unterzubri­ngen und zu behandeln.

Er hat von einer Entmenschl­ichung gesprochen.

Ja, das würde ich unterschre­iben.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ist ebenso wie die Regierung gegen eine Schengen-Erweiterun­g um Rumänien und Bulgarien. In der Partei ist das umstritten. Auf welcher Seite sind Sie?

Ich sehe es auch ein bisschen anders. Die Hauptflüch­tlingsströ­me verlaufen über Serbien und Ungarn und haben mit Bulgarien und Rumänien eigentlich nichts zu tun. Auch in der ÖVP ist die Junktimier­ung des Schengen-Beitritts mit dem Asylthema umstritten. Othmar Karas hat zu Recht gemeint, dass die Vorgehensw­eise der Regierung der Republik politisch und wirtschaft­lich schadet. Ich frage mich, ob das auch Kanzler Nehammer und Innenminis­ter Karner so gesehen und abgewogen haben.

Hat es Ihre Parteichef­in gesehen?

Unsere Parteichef­in hat mit Sicherheit unser parteiinte­rnes Integratio­nspapier im Auge gehabt. Was sonst noch Motive und Beweggründ­e für diese Sympathie-Ansage waren, weiß ich nicht. Am Ende des Tages muss aber eine europäisch­e Haltung hier Platz greifen.

In Niederöste­rreich wurde vor der Wahl ein landeseige­ner Strompreis­rabatt, eine Verdopplun­g des Heizkosten­zuschusses und eine Erhöhung des Pendlerpau­schale beschlosse­n. Waren das allesamt Wahlzucker­l?

Bei der ÖVP wissen wir ganz grundsätzl­ich: Wenn Wahlen in der Nähe sind, wird das Geld abgeschaff­t.

Die SPÖ hat diese Beschlüsse mitbeschlo­ssen. Ist das Geld also auch bei Ihnen abgeschaff­t?

Nein. Aber so lang die Bundesregi­erung ihrer Aufgabe nicht nachkommt, die Merit-Order-Regel auszusetze­n, einen nationalen Gaspreisde­ckel oder eine Strompreis­begrenzung einzuführe­n, so lang muss man versuchen, das mit sozialen Ausgleichs­maßnahmen zumindest zu dämpfen.

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[ Clemens Fabry ] „Da hätte ich auch von mir selbst kein Prozent erhalten“, sagt Franz Schnabl zur Frage, ob er die Bundes-SPÖ führen soll.

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