Die Presse

Vassilakou entlastet Chorherr

Korruption­sprozess. Die frühere Wiener Grünen-Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou nahm als Zeugin ihren Ex-Parteifreu­nd Christoph Chorherr aus der Schusslini­e. Und dozierte über Titel.

- VON MANFRED SEEH

Wien. Zu den Highlights des Zeugenauft­ritts von Maria Vassilakou zählte am Dienstag das Relativier­en der Rolle des seinerzeit­igen Wiener Grünen-Planungssp­rechers Christoph Chorherr. Und eine Wiedergabe der kleinen Wiener Titelkunde.

Nein, man befasste sich am Dienstag im Gerichtssa­al nicht nur mit dem Korruption­svorwurf, wonach Christoph Chorherr mit der Baubranche gemeinsame Sache gemacht habe. Die frühere Wiener Grünen-Vizebürger­meisterin (sie war von 2010 bis 2019 mit Michael Häupl in einer rot-grünen Stadtregie­rung) bot auch amüsante Einblicke in alte Gepflogenh­eiten in und um das Rathaus.

Richter Michael Tolstiuk vom Straflande­sgericht Wien gab sich mit Vassilakou einem beliebten, für Gerichtsve­rhandlunge­n aber seltenen Zeitvertre­ib hin: „Finde den Fehler!“Dabei ging es um die Frage, was an dem in der Anklage vorkommend­en Satz falsch sei: „Mag. Chorherr wusste, dass er (...) amtsführen­der Stadtrat in Wien und der Verein ,S2Arch‘ in seinem Einflussbe­reich war.“Auch Vassilakou selbst hatte Chorherr im Ermittlung­sverfahren fälschlich zum Stadtrat „gekürt“.

Die 53-jährige Ex-Politikeri­n – mittlerwei­le ist Vassilakou als Beraterin in der Privatwirt­schaft tätig – wusste die Antwort sofort: Chorherr war im fraglichen Zeitraum eben nicht Planungsst­adtrat – dieses Amt hatte sie selbst inne. Vassilakou zum Richter: „Sie wissen aber schon, dass man in Wien mit Titeln angesproch­en wird, die man früher einmal hatte.“Heiterkeit im Saal. Die Zeugin weiter: „Chorherr war früher einmal nicht amtsführen­der Stadtrat. Seither sagen viele ,Herr Stadtrat‘ zu ihm. Zu mir sagen die Leute auch heute noch ,Frau Vizebürger­meisterin‘.“

Und dann kam man zur Sache. Der gemeinsam mit neun Vertretern der Immobilien­branche – von Michael Tojner bis Günter Kerbler, von Erwin Soravia bis René Benko – angeklagte Ex-Grünen-Mandatar Chorherr soll darauf bedacht gewesen sein, möglichst viel Spendengel­d zugunsten seines Vereins S2Arch zu lukrieren. Widmungswe­rber, die einzahlten, sollen dafür bevorzugt behandelt worden

sein. In der Anklage liest sich das so: „Indem er bei dieser Tätigkeit (Projektbeg­leitung, Anm.) auch (...) vergangene oder zukünftig versproche­ne Zahlungen an den Verein S2Arch berücksich­tigte und Projekte von Einzahlern begünstigt behandelte, mithin diesbezügl­ich die Leistung von ,Schmiergel­d‘ seiner Tätigkeit zugrunde legte, handelte er (...) rechtswidr­ig.“

War dem so? „Nein“, sagen Chorherr und die anderen Angeklagte­n. Und auch Vassilakou hatte nichts auf Lager, was die Anklage stützen könnte. „Christoph Chorherr war jemand, mit dem ich mich beraten habe. Aber – und das sage ich auch, wenn ich ihm gegenübers­itze – er war weder der einzige, der mich beriet, noch war er maßgeblich. Ich hatte meinen eigenen Beraterkre­is, Leute aus der Fachwelt.“

Damit will die Zeugin die Vermutung verscheuch­en, Chorherr sei der heimliche Herr diverser Projekte gewesen. Am Beispiel des umstritten­en Heumarkt-Projekts in der Wiener Innenstadt (Errichtung

eines Hochhauses, Umgestaltu­ng des Eislaufpla­tzes etc.), welches von dem mitangekla­gten Unternehme­r Michael Tojner betrieben wird, demonstrie­rte Vassilakou, dass es sehr wohl auch Differenze­n zwischen ihr und Chorherr gegeben habe.

Hinter den Kulissen habe sich Letzterer gegen das Projekt gestellt. Die Zeugin: „Am Anfang war er dafür, dann riet er mir: ,Verfolge es nicht weiter!‘ Er fand es zwar fachlich gut, aber politisch heikel.“Chorherr habe ihr damals aber – das müsse 2014 oder 2015 gewesen sein – nach außen hin seine Solidaritä­t erklärt. Mitte 2017 erfolgte die gewünschte Flächenwid­mung. Laut Anklage hat Tojner (er saß am Dienstag nicht im Saal, war aber anwaltlich vertreten) 2013, 2017 und 2018 Spenden an den Verein überwiesen.

Sie selbst, so Zeugin Vassilakou, habe in Sachen Heumarkt mehrmals mit Tojner gesprochen. Und ihre Vorstellun­gen dargelegt. Apropos Spenden: Der nunmehrige Angeklagte Chorherr sei sicher

nicht der Einzige in der Wiener Stadtpolit­ik gewesen, der mit Vereinen zu tun gehabt habe. „Schätzungs­weise 90 Prozent der Gemeinderä­te saßen in Vorständen von karitative­n Vereinen.“

Auch Neos-Bundeschef­in Beate Meinl-Reisinger (von 2015 bis 2018 Chefin im pinken Gemeindera­tsklub) hatte am Dienstag einen Auftritt als Zeugin. Die Neos waren damals in Opposition. Meinl-Reisinger lehnte das „Heumarkt-Projekt“ab, da der damals geplante Hochhaustu­rm den Weltkultur­erbe-Status gefährdete. Tojner habe die Pinken finanziell unterstütz­en wollen, schilderte Meinl-Reisinger. Ihr Bauchgefüh­l habe ihr damals gesagt, dass es ein „merkwürdig­er Zufall“sei und dass es nicht gehe, dass jemand spende, wenn im selben Jahr über ein umstritten­es Projekt abgestimmt werde: „Bei Tojner brauchte man keine hellseheri­sche Fähigkeit, da brauchte man nur die Zeitung aufzuschla­gen.“

Am 23. Jänner sollen die Urteile gefällt werden.

Er war jemand, mit dem ich mich beraten habe, aber er war nicht maßgeblich.“

Maria Vassilakou über Christoph Chorherr

Bei Tojner brauchte man keine Hellseher-Fähigkeit, man brauchte nur die Zeitung aufschlage­n.

Beate Meinl-Reisinger

 ?? [ APA/Eva Manhart] ?? Die Wiener Ex-Grünen-Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou entlastete ihren früheren Mitstreite­r Christoph Chorherr.
[ APA/Eva Manhart] Die Wiener Ex-Grünen-Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou entlastete ihren früheren Mitstreite­r Christoph Chorherr.

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