Angst vor Folgen des Gaspreisdeckels
Die EU hat eine Deckelung des Gaspreises beschlossen. Experten fürchten mehr Anfälligkeit für Lieferengpässe.
Brüssel. Die europäischen Länder haben sich am Montag auf eine Obergrenze für die Gaspreise geeinigt und ein monatelanges politisches Tauziehen beendet. Der Mechanismus kann dazu beitragen, extreme Preisschwankungen zu verhindern. Er macht den Kontinent jedoch auch anfällig für weitere Lieferengpässe und für stärkere Konkurrenz von asiatischen Abnehmern, fürchten Experten.
Eine Preisobergrenze ohne eine damit verbundene Begrenzung der Nachfrage könnte das Defizit bei Europas Gasversorgung laut Goldman Sachs noch verschlimmern, weil sie den Verbrauch anregt. Im nächsten Jahr drohe ein angespannterer Weltmarkt. Im schlimmsten Fall sei in Europa dann eine Rationierung zu erwarten, heißt es in einem Bericht der Bank.
Der Preisdeckel könnte es den europäischen Importeuren erschweren, ihre Offerten für Flüssigerdgas deutlich zu erhöhen. Sind die Preise in Asien im Vergleich höher, dürften Ladungen dorthin umgeleitet werden. Mit Pekings Entscheidung zur Lockerung der Coronamaßnahmen zeichnet sich dort bereits eine steigende Energienachfrage ab.
Gaspreis gibt nach
Die Importeure von Flüssigerdgas (LNG) aus Europa und Asien konkurrieren um Lieferungen derselben Exporteure, so zum Beispiel um Gas aus den USA und Katar. Die asiatischen LNG-Preise folgen eng der Entwicklung in Europa, wobei sich das Niveau im Zuge der europäischen Energiekrise hochschaukelte, da Importeure aus beiden Regionen um das knappe Gut wetteiferten.
AUF EINEN BLICK
Gaspreis. Die EU hat ein Preislimit für Gas-Futures an der niederländischen Gasbörse TTF bechlossen. Es soll an einen Referenzwert (Index mehrerer globaler Preiswerte für Flüssiggas) gebunden werden. Ausgelöst wird der Mechanismus, wenn der Gaspreis an drei Tagen 180 Euro übersteigt und um 35 Euro über dem Referenzpreis liegt.
Der TTF-Gaspreis lag am Dienstagnachmittag sechs Prozent im Minus bei 106,5 Euro je Megawattstunde. Die EU hat sich am Montag auf eine Deckelung der Erdgaspreise mit 180 Euro je Megawattstunde geeinigt. Der sogenannte Korrekturmechanismus für den Gasmarkt – eine vorübergehende Maßnahme zur Verhinderung extremer Preisschwankungen – wird ab dem 15. Februar für ein Jahr gelten. Der Preisdeckel ist deutlich niedriger als ein früherer Vorschlag der Europäischen Kommission, der die heurigen Preisspitzen nach den russischen Lieferstopps nicht verhindert hätte. Zum Vergleich: Ende August war der Gaspreis auf über 300 Euro hochgeschnellt.
Damit die Obergrenze in Kraft tritt, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Die niederländischen TTF-Gaspreise müssen über 180 Euro pro Megawattstunde liegen und mindestens 35 Euro über den Weltmarktpreisen für Flüssiggas. Beide Obergrenzen müssen drei Tage lang überschritten werden, damit der Mechanismus aktiviert wird. Sobald er
ausgelöst wurde, bleibt er für mindestens 20 Arbeitstage in Kraft. Er gilt auch für alle Gashandelsplätze in der EU.
Positiv für Asien
Das Niveau der beschlossenen Deckelung entspricht 56 Dollar pro Million britischer Wärmeeinheiten. In Asien lagen die LNG-Preise zwischen August und September rund zwei Wochen über diesem Preis. Händlern zufolge betrachten asiatische LNG-Abnehmer die europäische Maßnahme als glückliche Fügung. Russlands Krieg in der Ukraine hatte sie in Bedrängnis gebracht, da auf dem Flüssiggas-Markt plötzlich zahlungskräftige Konkurrenz aus Europa auftauchte.
Steigende Energiekosten im Gefolge des russischen Krieges in der Ukraine haben Europa bereits mit einer Billion Euro belastet – und die schwerste Energiekrise seit Jahrzehnten steht erst am Anfang.
Nach diesem Winter wird die EU die Gasreserven ohne oder mit nur geringen Lieferungen aus Russland wieder auffüllen müssen, was den Wettbewerb um Flüssiggas verschärft.
Selbst wenn mehr Anlagen für die Einfuhr von LNG in Betrieb genommen werden, dürfte der Markt bis 2026 angespannt bleiben, wenn zusätzliche Produktionskapazitäten von den USA bis Katar verfügbar werden. Es wird keine Entwarnung bei den hohen Preisen geben.
Nach Angaben der Brüsseler Denkfabrik Bruegel sind die Mitgliedstaaten der EU Betrieben und Verbrauchern zwar mit mehr als 700 Milliarden Euro beigestanden, um einen Großteil der Folgen abzufedern, aber der Ausnahmezustand könnte noch Jahre dauern. Da die Zinsen steigen und die Volkswirtschaften sich wahrscheinlich bereits in einer Rezession befinden, scheint diese Subventionierung immer unbezahlbarer zu werden.
„Wenn man alles zusammenzählt – Rettungsaktionen, Subventionen – ist das eine gigantische Summe“, sagte Martin Devenish, Direktor der Beratungsfirma S-RM. „Es wird für die Regierungen schwieriger werden, diese Krise zu bewältigen.“(Bloomberg/red.)