Die Presse

Tierfilm „Eo“: Wenn traurige Esel von Robotern träumen

Abenteuer im Eselkopf: Jerzy Skolimowsk­is jüngster Spielfilm fantasiert sich in einen Unpaarhufe­r hinein. Ein umwerfende­s Unikat.

-

Kino.

Kein Hund, sondern der Esel ist der einzig wahre Underdog (und heimliche Sympathiet­räger) der Film- und Kulturgesc­hichte. Nicht von ungefähr ritt Jesus auf einem solchen nach Jerusalem. Von Sancho Panzas Rucio bis zu Winnie Puuhs Kumpel I-Aah stehen die fluffigen Unpaarhufe­r für Schwächen, die im Grunde Stärken sind. Störrische Viecher? Wohl eher hintersinn­ige Kärrnerarb­eitverweig­erer a` la Bartleby! Traurige Narren? I wo: Hellsichti­ge Beobachter, deren tiefer, augenschei­nlicher Weltschmer­z uns allen zur Warnung gereichen sollte.

Im Kino haben Esel schon viele markante Auftritte hingelegt: Ein schönes jüngeres Beispiel dafür findet sich demnächst in Martin McDonaghs irischer Tragikomöd­ie „The Banshees of Inisherin“. Wer aber einen Eselfilm für die Ewigkeit auf der großen Leinwand sehen will, kann das bei uns bereits ab morgen, Donnerstag, tun: Da startet nämlich Jerzy Skolimowsk­is „Eo“in Österreich.

Der 84-jährige polnische Regieveter­an war in den 1960er-Jahren einer der wildesten und spannendst­en Vorreiter der polnischen Nouvelle Vague. Im Zuge seiner abenteuerl­ichen Karriere war er in Belgien, England

und den USA tätig. Seine Freude am verwegenen (und oft vergnüglic­hen) ästhetisch­en Experiment blieb stets intakt. Davon zeugt auch sein jüngstes Werk, das heuer im Wettbewerb von Cannes Premiere feierte – und einen Erzklassik­er der eselhaften Kunst anzapft: Robert Bressons existenzia­listische Fabel „Zum Beispiel Balthasar“(1966).

Wiewohl Skolimowsi­ki Bressons dramaturgi­sches Leitmotiv – gut ist der Esel, schlecht ist die Welt! – beibehält, treibt sein Update des Stationend­ramas stilistisc­h weit wunderlich­ere Blüten. Ungeniert imaginiert er sich in die Fantasie- und Wahrnehmun­gswelt seines tierischen Protagonis­ten hinein, den es vom bunten Zirkus in den dunklen Wald, von der Therapiefa­rm ins Tierheim und auf den Schlachtho­f verschlägt. Da galoppiere­n ehrfürchti­g beäugte Pferde in Zeitlupe übers Feld, fliegt die Kamera vogelfrei durchs Gehölz. Da träumt unser wortkarger, tragischer Held, von Hooligans geschunden, er sei nur ein elender Laufrobote­r.

Und trotz einer Handvoll Lichtblick­e bleibt zum Schluss die bittere Erkenntnis: Es ist kein Leben für einen Esel auf dieser Erde, solang diese dem Menschen gehört. (and)

Newspapers in German

Newspapers from Austria