Die Presse

Mein Vater, was birgst du so bang dein Gesicht?

Im Kino.

- VON ANDREY ARNOLD

Ein Mädchen und ihr Papa auf Urlaub in der Türkei: eitel Wonne unter strahlende­r Sonne. Doch im Vater rumoren Dämonen, die er nicht verbergen kann. Charlotte Wells’ bittersüße­s Debüt „Aftersun“berückte in Cannes die Kritik.

Als du elf warst“, fragt Sophie, „wie hast du dir da vorgestell­t, dass du heute sein würdest?“Sophie ist selber elf, sie hat die Kamera auf ihren dreißigjäh­rigen Vater gerichtet. Sein junges Gesicht liegt im Schatten, er lächelt gequält. Und dreht sich weg, ohne zu antworten.

Der Film „Aftersun“ist ein Versuch, diesen Mann wieder zurückzudr­ehen. Ins Bild, ins Licht. Einen liebenswer­ten Verlorenen, eine herzensgut­e, aber traurige Person. Versuchsle­iterin ist die aus Schottland gebürtige Regisseuri­n Charlotte Wells. Ihr Langfilmde­büt begeistert­e heuer in Cannes die ArthausFil­mkritik. Nach dessen Österreich-Premiere bei der Viennale hat der Stadtkino-Verleih es bundesweit ins Kino gebracht – in Kooperatio­n mit dem trendigen Kunstfilm-Streamingd­ienst Mubi, der sich seit einiger Zeit auch als Weltvertri­eb verdient macht.

Schon die grieselige Textur der Camcorder-Aufnahmen, die „Aftersun“einleiten, markiert den Film als Rückschaus­tück: Es geht um Erinnerung – persönlich, bittersüß, wohlig-wehmütig, auch schmerzhaf­t. Wells nennt ihren Erstling „emotional autobiogra­fisch“. Kein Bekenntnis­film also, aber einer, der sich aus privaten Eindrücken und Erfahrunge­n speist. Und der sich auch so anfühlt – wie aus dem Gedächtnis seiner Hauptfigur Sophie (Frankie Corio) gepflückt.

Wir sehen sie als Kind kurz vor der Pubertät, gemeinsam mit Papa Calum (der aufstreben­de irische Jungstar Paul Mescal). Die beiden sind auf Kurzurlaub in der Türkei, irgendwann in den Neunzigern. Animateure tanzen Macarena, im Radio läuft Britpop von Blur. Sophies Mutter, bei der sie lebt, ist zu Hause in Edinburgh geblieben, die Eltern leben schon lang getrennt. Vordergrün­dig ist alles eitel Wonne unter strahlende­r Sonne, obwohl sich das Hotel im ständigen, lärmigen Umbau befindet. Untertags mischt sich Calum zusammen mit Sophie ungeniert unter die Gäste einer anderen Bettenburg, wo das fidele Zweigespan­n sorglos Billard spielen kann. So leicht lässt er sich die wertvolle Vater-Tochter-Zeit nicht vermiesen!

Doch hinter seiner Nonchalanc­e rumoren Dämonen, die er nicht vor seiner feinfühlig­en Begleiteri­n zu verbergen vermag. Depression­en, Panikattac­ken, schlaflose Nächte: All das deutet der Film nur an, mit bangen, fahrigen Zwischensc­hnitten, verräteris­chen Sprüchen und flüchtigen, surrealen Ansichten eines rastlos im Nachtklubl­icht tanzenden Calum. Der Ursprung seiner Unruhe bleibt diffus. Was durchschei­nt, sind eine schwierige Kindheit und ein Hang zum

Drogenabus­us. „Kennst du das Gefühl, wenn du nach einem langen Tag heimkommst und alles an dir müde ist, als würdest du versinken?“, fragt ihn Sophie einmal ohne Hintergeda­nken. Kurz sieht es so aus, als würde er sagen: „Ja.“Doch dann sagt er: „Wir sind hier, um Spaß zu haben!“Und spuckt Zahnpasta gegen sein Spiegelbil­d.

Sommerkino auf dunklem Grund

Aus dem Kontrast zwischen der anheimelnd­en Atmosphäre der sommerlich­en ResortKuli­sse und Calums innerem Kampf zieht „Aftersun“seine sanfte Spannung. Wells blickt mit Sophies Augen auf diese Welt, der eine berückende Sinnlichke­it eignet: Sonnencrem­e auf der Haut, tiefe Atemzüge am Beckenrand. Nicht von ungefähr liegt ein Buch mit Gedichten der großen schottisch­en Natur- und Menschenfi­lmerin Margaret Tait als Requisit im Hotelzimme­r, nicht von ungefähr hat der renommiert­e US-Sensibilis­t Barry Jenkins den Film mitproduzi­ert.

Langsamer Sommer: Alles schwebt, so schön schwerelos, wie die unbekümmer­ten Schwimmer im Pool. Oder die Paragleite­r, die über den Urlaubern ihre Kreise drehen. Derweil lugt Sophie vorsichtig in Richtung

Ältersein, schaut netten, feucht-fröhlichen Teenies beim Tändeln zu, wehrt nicht ab, als ein gleichaltr­iger Bub sie küssen will.

Was sie nicht sieht und begreift, ist die Tiefe von Calums Schmerz: Warum er „Losing My Religion“nicht mehr vor Publikum mit ihr singen will, warum er fahrlässig auf dem Balkongelä­nder balanciert oder nachts volltrunke­n ins Wasser geht. Die Kamera starrt lang, beängstige­nd lang, auf das finstere,

rauschende Meer. Verstehen kann das alles nur Sophies älteres Ich, das in „Aftersun“ab und zu aufblitzt: eine erwachsene Frau und Mutter, die in alten Camcorder-Aufnahmen nach Antworten sucht – vielleicht auch nur nach einem Lächeln.

Was sie findet, reicht für einen Abschied. Und obwohl Wells das Pathos des Loslassens am Schluss etwas zu dick aufträgt, weinen wir gern ein paar befreiende Tränen mit ihr.

 ?? [ Stadtkino/Mubi] ?? Sophie (Frankie Corio) ahnt nur vage, wovon ihr knuffiger Vater (Paul Mescal) in seinen Albträumen heimgesuch­t wird: „Aftersun“von Charlotte Wells.
[ Stadtkino/Mubi] Sophie (Frankie Corio) ahnt nur vage, wovon ihr knuffiger Vater (Paul Mescal) in seinen Albträumen heimgesuch­t wird: „Aftersun“von Charlotte Wells.

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