Die Presse

Wie kann man in diesem Krieg verhandeln?

Der Westen sollte der Ukraine ein Gefühl der Solidaritä­t vermitteln und Russland signalisie­ren, dass jede Eskalation eine starke Reaktion auslöst.

- VON MARIE DUMOULIN

In den vergangene­n Wochen haben mehrere westliche Politiker nahegelegt, man müsse Verhandlun­gslösungen für den Krieg zwischen Russland und der Ukraine in Betracht ziehen. Wolodymyr Selenskyj nannte die Bedingunge­n, unter denen er Friedensge­spräche in Erwägung zöge – unter anderem den Rückzug aller russischen Streitkräf­te aus der Ukraine, die Rückkehr aller inhaftiert­en oder nach Russland abgeschobe­nen Militärang­ehörigen und Zivilisten sowie die Einrichtun­g einer internatio­nalen Sondergeri­chtsbarkei­t, die die russische Führung zur Rechenscha­ft zieht.

Zwar sind diese Bedingunge­n noch lange nicht in Sicht, doch wenn die Ukraine ihre Gegenoffen­sive fortsetzt und wichtige Gebiete wie Cherson – die einzige Regionalha­uptstadt, die Russland bei seinem ersten Angriff erobert hat – zurückerob­ert, könnte Kiew in einer günstigere­n Position für diplomatis­che Gespräche sein.

Dass sich eine solche Position allein durch ukrainisch­e Erfolge auf dem Schlachtfe­ld ergeben wird, ist freilich unwahrsche­inlich. Ein entscheide­nder Aspekt, um die Ukraine zu überzeugen, zu gegebener Zeit in Verhandlun­gen einzutrete­n, werden Sicherheit­sgarantien seitens ihrer internatio­nalen Partner sein. Die ukrainisch­e Seite könnte dann Friedensge­spräche mit Russland in der Gewissheit aufnehmen, dass ihre Bedingunge­n nicht nur realistisc­h sind, sondern auch von der internatio­nalen Gemeinscha­ft anerkannt werden.

Garantien, nicht frei von Risken

So hätten die Verhandlun­gsführende­n und die ukrainisch­e Öffentlich­keit Gewissheit, dass eine vereinbart­e Lösung nicht sofort wieder hinfällig wird und Russland ermutigt, in Zukunft neue Angriffe zu starten. Jedoch sind solche Garantien nicht frei von Risiken. Ist eine Verpflicht­ung beispielsw­eise zu verbindlic­h, können externe Akteure – etwa westliche Partner der Ukraine – in einen Konflikt hineingezo­gen werden, der durch das Verhalten des Landes ausgelöst wurde, dem sie ihre Zusicherun­g gegeben haben. Daher ist es üblich, dass die Garantiege­ber die letztendli­che Entscheidu­ng über Auslöser der Interventi­on und Umfang der Hilfe behalten. Glaubwürdi­ge Sicherheit­sgarantien sind daher Ausdruck eines ausgewogen­en Verhältnis­ses zwischen dem Risiko, das die Garantiege­ber einzugehen bereit sind, und den politische­n Interessen, die sie vertreten, indem sie für die Sicherheit eines bestimmten Landes eintreten.

Bislang wurde eine Reihe von Vorschläge­n zur Unterstütz­ung der Ukraine unterbreit­et.

Nachdem Russland im September 2022 vier ostukraini­sche Regionen unrechtmäß­ig annektiert hatte,

beantragte die Ukraine offiziell die Nato-Mitgliedsc­haft. Am 29. November bekräftigt­en die NatoAußenm­inister: ihre „Politik der offenen Tür“und ihr Engagement für die Ukraine im Krieg, auch wenn sie den Antrag in diesem Fall nicht berücksich­tigten.

Ein Bericht von Andrij Jermak, dem Leiter des ukrainisch­en Präsidiala­mts, und dem ehemaligen Nato-Generalsek­retär Anders Fogh Rasmussen setzt sich für einen „Kiewer Sicherheit­spakt“ein, der eine Reihe von Sicherheit­sgarantien zur Abschrecku­ng künftiger Angriffe auf die Ukraine umfassen und eine Grundlage für internatio­nale Militärhil­fe im Falle einer erneuten Aggression bilden würde.

Der Kiewer Sicherheit­spakt wäre ein gemeinscha­ftliches Strategiep­apier einer Gruppe von Garantiege­berländern, die auf bilaterale­r Basis zusätzlich­e verbindlic­he Verpflicht­ungen eingehen könnten, um die Ukraine beim Wiederaufb­au ihrer Streitkräf­te und Verteidigu­ngsindustr­ie zu unterstütz­en, gemeinsame Schulungen und Übungen durchzufüh­ren und die Sicherheit­szusammena­rbeit zu verbessern.

Der European Council on Foreign Relations hat einen „Plan für einen langen Krieg“ausgearbei­tet, der eine verstärkte Unterstütz­ung der Ukraine durch den Westen vorsieht, einschließ­lich einer formellen Verpflicht­ung zur Bereitstel­lung von Ressourcen, damit die Ukraine im Falle eines künftigen Angriffs für ihre Verteidigu­ng sorgen könnte. Dies ist nicht nur zentral, um der politische­n Führung in Kiew die bestmöglic­he Ausgangspo­sition für die Gespräche zu verschaffe­n, sondern dient auch als Signal für die Bereitscha­ft der Partner der Ukraine, das Land in seinem Kampf um Souveränit­ät und territoria­le Integrität zu unterstütz­en.

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