Die Presse

Der blinde Fleck im Klimaschut­z

Unser zukünftige­r Umgang mit der Natur ist der zentrale Schlüssel für die Bewältigun­g von Klima- und Naturkrise.

- VON FRANZ MAIER Franz Maier E-Mails an: debatte@diepresse.com

So zeitlich nahe die beiden UNO-Krisenkonf­erenzen zu Klima und Biodiversi­tät heuer stattfande­n, so inhaltlich eng miteinande­r verknüpft sind die dort behandelte­n globalen Herausford­erungen. Die Klimarelev­anz der Natur und intakter Ökosysteml­eistungen wird von Politik und Öffentlich­keit zwar immer noch verkannt, die Wissenscha­ft ist sich aber längst einig: In ihrem ersten gemeinsame­n Report analysiere­n Weltklimar­at IPCC und Weltbiodiv­ersitätsra­t IPBES das Zusammensp­iel von Klimawande­l und Naturzerst­örung. Der Bericht vom Juni 2021 zeigt, dass es bei der Bewältigun­g der Klimakrise vor allem darum gehen muss, naturbasie­rte Lösungen umzusetzen, wie den Schutz und die Wiederhers­tellung von Wäldern oder die Wiedervern­ässung von Mooren.

Klimaschut­z geht nur mit der Natur, nie gegen sie. Denn wir wissen, dass 24 Prozent des CO2 der Atmosphäre aus zerstörten und übernutzte­n Ökosysteme­n stammen. Denn wir konnten live mitverfolg­en, wie der AmazonasRe­genwald in Brasilien abgeholzt und von einer grünen Lunge und CO2-Senke zum CO2-Emittenten degradiert wurde. Denn heute ist klar, wie vom Greifswald-Institut auf der COP in Ägypten dargelegt, dass ohne Schutz und Wiederhers­tellung der Moore das 1,5-GradZiel nicht zu erreichen ist. Denn wir rasen mit Vollgas auf gleich mehrere Kipppunkte in der Natur zu, wie das Auftauen des Permafrost­es oder eine Verlangsam­ung des Golfstrome­s offenbaren.

Auch Österreich muss jetzt endlich handeln:

Energiespa­ren, Verbrauchs­reduktion und Effizienzs­teigerung müssen zuerst und rasch umgesetzt werden. Binsenweis­heit: Die billigste und beste Kilowattst­unde ist jene, die gar nicht erst produziert werden muss.

Sämtliche direkten und indirekten Förderunge­n der fossilen Energieträ­ger sind zu beenden.

Der Ausbau der erneuerbar­en Energien ist wichtig, muss jedoch bei gleichzeit­iger Renaturier­ung zerstörter Flüsse, Feuchtgebi­ete, Wälder und Böden erfolgen.

Dafür ist das Fördersyst­em im Erneuerbar­en-Ausbau-Gesetz anzupassen.

Mehr Tempo ist gut, aber . . .

Zusätzlich zur Korrektur rechtliche­r und fördertech­nischer Rahmenbedi­ngungen soll das Tempo bei Behördenve­rfahren erhöht werden. National wird dies durch eine Novelle des UVP-Gesetzes versucht, die noch zu verhandeln ist. Allerdings rief das Begutachtu­ngsverfahr­en bereits Skepsis hervor: Die intendiert­e Beschleuni­gung der Verfahren würde zu neuen Rechtsunsi­cherheiten und sogar längeren Verfahren führen. Überarbeit­ung ist also angesagt.

Anderersei­ts wurde auf EUEbene nun eine „Notverordn­ung“beschlosse­n, die eine begrüßensw­erte Beschleuni­gung von Repowering­projekten der Windkraft sowie für Solaranlag­en und Wärmepumpe­n bringen wird. Darüber hinaus will die Notverordn­ung generell aber allen Erneuerbar­en-Projekten ein prioritäre­s öffentlich­es Interesse durch einen rechtliche­n Automatism­us zuerkennen, mit dem sogar Artenschut­zbestimmun­gen der EUNatursch­utz-Richtlinie­n ausgehebel­t würden. Dass dieser Genehmigun­gsautomati­smus rechtlich zweifelhaf­t ist, wissen wir spätestens seit dem fehlgeleit­eten Standorten­twicklungs­gesetz. Der Artikel 2 der geplanten Notverordn­ung gemahnt aber auch an den „bevorzugte­n Wasserbau“, der zu Recht 1990 als Folge des Hainburg-Konfliktes ersatzlos gestrichen wurde. Wir hätten sonst an der Donau zwischen Wien und der Staatsgren­ze statt eines Nationalpa­rks eine Kraftwerks­kette und im Reichramin­ger Hintergebi­rge zwei Speicherse­en statt des Nationalpa­rks Kalkalpen.

Fazit: Klimaschut­z auf Basis von Naturverbr­auch und -zerstörung – bisher ein blinder Fleck, in Zukunft ein No-Go!

(* 1966) ist studierter Biologe und Präsident des Umweltdach­verbandes.

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