Der blinde Fleck im Klimaschutz
Unser zukünftiger Umgang mit der Natur ist der zentrale Schlüssel für die Bewältigung von Klima- und Naturkrise.
So zeitlich nahe die beiden UNO-Krisenkonferenzen zu Klima und Biodiversität heuer stattfanden, so inhaltlich eng miteinander verknüpft sind die dort behandelten globalen Herausforderungen. Die Klimarelevanz der Natur und intakter Ökosystemleistungen wird von Politik und Öffentlichkeit zwar immer noch verkannt, die Wissenschaft ist sich aber längst einig: In ihrem ersten gemeinsamen Report analysieren Weltklimarat IPCC und Weltbiodiversitätsrat IPBES das Zusammenspiel von Klimawandel und Naturzerstörung. Der Bericht vom Juni 2021 zeigt, dass es bei der Bewältigung der Klimakrise vor allem darum gehen muss, naturbasierte Lösungen umzusetzen, wie den Schutz und die Wiederherstellung von Wäldern oder die Wiedervernässung von Mooren.
Klimaschutz geht nur mit der Natur, nie gegen sie. Denn wir wissen, dass 24 Prozent des CO2 der Atmosphäre aus zerstörten und übernutzten Ökosystemen stammen. Denn wir konnten live mitverfolgen, wie der AmazonasRegenwald in Brasilien abgeholzt und von einer grünen Lunge und CO2-Senke zum CO2-Emittenten degradiert wurde. Denn heute ist klar, wie vom Greifswald-Institut auf der COP in Ägypten dargelegt, dass ohne Schutz und Wiederherstellung der Moore das 1,5-GradZiel nicht zu erreichen ist. Denn wir rasen mit Vollgas auf gleich mehrere Kipppunkte in der Natur zu, wie das Auftauen des Permafrostes oder eine Verlangsamung des Golfstromes offenbaren.
Auch Österreich muss jetzt endlich handeln:
Energiesparen, Verbrauchsreduktion und Effizienzsteigerung müssen zuerst und rasch umgesetzt werden. Binsenweisheit: Die billigste und beste Kilowattstunde ist jene, die gar nicht erst produziert werden muss.
Sämtliche direkten und indirekten Förderungen der fossilen Energieträger sind zu beenden.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist wichtig, muss jedoch bei gleichzeitiger Renaturierung zerstörter Flüsse, Feuchtgebiete, Wälder und Böden erfolgen.
Dafür ist das Fördersystem im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz anzupassen.
Mehr Tempo ist gut, aber . . .
Zusätzlich zur Korrektur rechtlicher und fördertechnischer Rahmenbedingungen soll das Tempo bei Behördenverfahren erhöht werden. National wird dies durch eine Novelle des UVP-Gesetzes versucht, die noch zu verhandeln ist. Allerdings rief das Begutachtungsverfahren bereits Skepsis hervor: Die intendierte Beschleunigung der Verfahren würde zu neuen Rechtsunsicherheiten und sogar längeren Verfahren führen. Überarbeitung ist also angesagt.
Andererseits wurde auf EUEbene nun eine „Notverordnung“beschlossen, die eine begrüßenswerte Beschleunigung von Repoweringprojekten der Windkraft sowie für Solaranlagen und Wärmepumpen bringen wird. Darüber hinaus will die Notverordnung generell aber allen Erneuerbaren-Projekten ein prioritäres öffentliches Interesse durch einen rechtlichen Automatismus zuerkennen, mit dem sogar Artenschutzbestimmungen der EUNaturschutz-Richtlinien ausgehebelt würden. Dass dieser Genehmigungsautomatismus rechtlich zweifelhaft ist, wissen wir spätestens seit dem fehlgeleiteten Standortentwicklungsgesetz. Der Artikel 2 der geplanten Notverordnung gemahnt aber auch an den „bevorzugten Wasserbau“, der zu Recht 1990 als Folge des Hainburg-Konfliktes ersatzlos gestrichen wurde. Wir hätten sonst an der Donau zwischen Wien und der Staatsgrenze statt eines Nationalparks eine Kraftwerkskette und im Reichraminger Hintergebirge zwei Speicherseen statt des Nationalparks Kalkalpen.
Fazit: Klimaschutz auf Basis von Naturverbrauch und -zerstörung – bisher ein blinder Fleck, in Zukunft ein No-Go!
(* 1966) ist studierter Biologe und Präsident des Umweltdachverbandes.