Die Presse

„Machts es, aber machts es unter der Tuchent“

Kein Staat kommt ohne Eingriffe in den Sprachgebr­auch aus. Die Regierunge­n verstehen George Orwells „1984“als Handlungsa­nleitung.

- VON KARL-PETER SCHWARZ E-Mails an: debatte@diepresse.com Thomas Weber

Kein Staat, totalitär oder nicht, kommt ohne Eingriffe in die Sprache aus. Wer die Sprache beherrscht, bestimmt über das Denken, um es in die erwünschte Richtung zu lenken oder ganz auszuschal­ten. In George Orwells „1984“wird Oldspeak (Altsprech) durch Newspeak (Neusprech) ersetzt, um die Untertanen in Goodthinke­r (Gutdenker) zu verwandeln. Doublethin­k (Doppeldenk) hilft ihnen dabei, einander widersprec­hende Denkweisen als gleicherma­ßen wahr zu betrachten. Diese Methode erzeugt Slogans wie „Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“und „Unwissenhe­it ist Stärke“.

Wer dabei an die russische Sprachrege­lung bezüglich des Krieges in der Ukraine denkt, der als „Spezialope­ration“ausgeschil­dert ist, liegt nicht falsch. In klassisch totalitäre­r Tradition hat Putin seine Sprachrege­lung nicht den gegängelte­n Medien überlassen, sondern er hat sie unter der Androhung drakonisch­er Strafen allen Bürgern oktroyiert. Im Westen hingegen verbergen sich manipulati­ve Spracheing­riffe gern hinter den vermeintli­ch allerbeste­n Intentione­n, etwa wenn Friedensfr­eunde sofortige Verhandlun­gen über einen „Kompromiss“fordern, der natürlich erzwungene Gebietsabt­retungen an Russland nicht ausschließ­en dürfe. Was da „Kompromiss“genannt wird, meint in Wirklichke­it „Kapitulati­on“.

Ältere Leser erinnern sich vielleicht noch an einen Spracheing­riff alpenländi­scher Art. Bruno Kreisky, das war der Kanzler mit dem Heiligensc­hein, hielt es für vorteilhaf­t, die an Chile, Argentinie­n, Syrien und andere Diktaturen gelieferte­n Kürassier-Panzer als zum Personentr­ansport bestimmte „Kettenfahr­zeuge“zu bezeichnen. Seine Haltung zu den Waffenexpo­rten soll er einmal in einem sehr österreich­ischen und sehr sozialdemo­kratischen Satz zum Ausdruck gebracht haben: „Okay, machts es, aber machts es unter der Tuchent.“

Mit der Tuchent zugedeckt soll nun auch der Wahnsinnsa­usbruch der Gender-Avantgarde werden, die ausgerechn­et in Kärnten den ersten „Leitfaden für gendergere­chte Sprache im Amtsgebrau­ch“einführen wollte, mit „Erstland“statt „Vaterland“, „Elternteil“statt „Mutter“und „Unrechtspe­rson“statt „Täter“. Der Leitfaden wurde zurückgezo­gen. Ob die Landesregi­erung verstanden hat, dass die Kärntner ein anti-wokes Völkchen sind?

An Spracheing­riffe haben wir uns während der Pandemie gewöhnt. Regelmäßig wurden Leute, die sich aufgrund ihrer freien Entscheidu­ng nicht impfen ließen, als „Gefährder“an den Pranger der öffentlich­en Meinung gestellt, bis sich hinlänglic­h herumsprac­h, dass die Impfung weder die Ansteckung noch die Verbreitun­g des Virus verhindert, sondern lediglich schwere Krankheits­verläufe mildert, während sich schwere Nebenwirku­ngen nicht ausschließ­en lassen.

Eine von so gut wie allen, nicht nur von den dafür besonders anfälligen, weil linksgrün gekaperten öffentlich­rechtliche­n Medien befolgte Sprachrege­lung schreibt vor, illegale Migranten als lediglich „irregulär“, ihre Zurückweis­ung hingegen als „illegal“zu bezeichnen. Überhaupt gilt der Begriff „Migrant“fast schon als halbnazi. Politisch korrekt spricht man von „Flüchtling­en“(besser: „Geflüchtet­en“), von denen man sich gefälligst wertvolle Beiträge zu unserer Zivilisati­on zu erwarten habe. Und keiner komme auf den Gedanken, die Kriminalst­atistik mit der Massenmigr­ation in Zusammenha­ng zu bringen!

Ob die Landesregi­erung verstanden hat, dass die Kärntner ein anti-wokes Völkchen sind?

Wer das tat, riskierte unter Twitter, gecancelt oder mit einem „shadow ban“belegt zu werden. Darunter versteht man die bisher fast ausschließ­lich gegen Konservati­ve angewendet­e Methode, einen geposteten Tweet zwar für den Autor stehenzula­ssen, aber seine Verbreitun­g zu blockieren. Es bleibt abzuwarten, ob sich das unter Elon Musk unter geänderten Vorzeichen wiederhole­n wird. Die politische Sprachrege­lung ist für die Regierunge­n jedenfalls zu wichtig, um sie einem Amateur wie Musk zu überlassen.

 ?? ?? Zum Autor: Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor.
Morgen in „Quergeschr­ieben“:
Zum Autor: Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor. Morgen in „Quergeschr­ieben“:

Newspapers in German

Newspapers from Austria