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Gemeinden bangen vor Erschwerni­ssen bei Auftragsve­rgaben WIrtsCHAFt­s RE©HT

Vergaberec­ht. Die Schwellenw­erteverord­nung, die unter anderem Direktverg­aben bis zu einem Volumen von 100.000 Euro erlaubt, wurde seit über einem Jahrzehnt immer wieder verlängert. Damit könnte zum Jahresende – mitten in der Wirtschaft­skrise – überrasche­n

- diepresse.com/wirtschaft­srecht VON CHRISTINE KARY

wien. Müssen sich öffentlich­e Auftraggeb­er ab Jänner auf deutlich mehr Aufwand für die Abwicklung von Vergabever­fahren gefasst machen? Und Wirtschaft­streibende, die sich um Aufträge bewerben, auf längere Verfahrens­dauern und schlimmste­nfalls sogar auf rechtliche Unsicherhe­iten bei bereits abgeschlos­senen Verträgen?

Neue Rechtslage ab Jänner?

Möglich wäre es – denn einiges deutet darauf hin, dass die Schwellenw­erteverord­nung, die erstmals 2009 unter dem Eindruck der damaligen Wirtschaft­skrise erlassen und dann immer wieder verlängert wurde, zum Jahresende auslaufen wird. Mit dem gewohnten Spielraum für Direktverg­aben und für vereinfach­te Verfahren im Baubereich – der vor allem der regionalen Wirtschaft zugutekomm­en soll – wäre es dann schlagarti­g vorbei. Und das noch dazu mitten in der nächsten, noch schwereren Wirtschaft­skrise

und in Zeiten horrend steigender Preise.

Noch ist das nicht fix, bisherige Verlängeru­ngen der Schwellenw­erte-VO passierten oft erst in letzter Minute. Diesmal deutet aber vorerst nichts auf eine weitere Neuauflage hin. Man prüfe gerade ressortint­ern, ob es überhaupt „weiterhin erforderli­ch ist, die grundsätzl­ich bereits im BVergG 2008 gesetzlich festgelegt­en Betragssch­wellen für bestimmte Vergabever­fahren mittels Verordnung zu erhöhen“, erfuhr „Die Presse“auf Anfrage vom zuständige­n Justizmini­sterium – das auch darauf hinwies, dass der in der Verordnung festgelegt­e Schwellenw­ert von 100.000 Euro für Direktverg­aben im EU-Vergleich „relativ hoch“angesetzt sei.

Welche Folgen hätte es, wenn nicht mehr verlängert wird? Dann würden die Schwellenw­erte wieder auf die im Bundesverg­abegesetz vorgesehen­en Werte zurückfall­en. Direktverg­aben wären dann nur noch bis zu einem geschätzte­n Auftragswe­rt von 50.000 Euro (bzw. bei Sektorenau­ftraggeber­n bis 75.000 Euro) möglich. Und die Schwelle für das „nicht offene Verfahren ohne Bekanntmac­hung“im Baubereich, bei dem mindestens drei geeignete Unternehme­n zur Abgabe von Angeboten einzuladen sind, würde von einer Million auf 300.000 Euro sinken. Jenseits dieser Schwellen müssten dann andere, transparen­tere, aber auch aufwendige­re Verfahrens­arten gewählt werden. Selbst das einfachste davon – die „Direktverg­abe mit vorheriger Bekanntmac­hung“– erfordert unter anderem eine Leistungsb­eschreibun­g. Eine solche Bekanntmac­hung kann dann auch innerhalb einer zehntägige­n Frist angefochte­n werden.

„Verfahren jetzt viel kürzer“

Für eine Verlängeru­ng der Verordnung tritt – neben der Wirtschaft­skammer – unter anderem der Gemeindebu­nd ein. Er appelliert­e ans zuständige Justizmini­sterium, aber auch an Finanzmini­sterium und Bundeskanz­leramt, dass die derzeitige Regelung „zumindest“beibehalte­n werden sollte. „Die bisherigen Erfahrunge­n zeigen, dass die Schwellenw­erteverord­nung im Schnitt zu einer Verkürzung der Dauer der Vergabever­fahren um zwei bis drei Monate führt, in Einzelfäll­en sind die Verfahren sogar um bis zu fünf Monate kürzer. Dazu sinken die Verfahrens­kosten um bis zu 75 Prozent, in komplexere­n Fällen sogar um mehr als 90 Prozent“, heißt es in den an die Ministerie­n gerichtete­n Schreiben. Gemeinden, Städte und öffentlich­e Unternehme­n würden dadurch „in ihrer Rolle als Investitio­nsmotoren gestärkt“, davon profitiere­n würden vor allem regionale kleine und mittlere Unternehme­n, argumentie­rt die kommunale Interessen­vertretung.

Vor allem kleine Gemeinden dürften bei einer unvorberei­teten Änderung der langjährig­en Praxis auch an Kapazitäts­grenzen stoßen. Sie würden dann mehr Mitarbeite­r mit dem entspreche­nden Fachwissen brauchen – oder externe Beratung, und beides geht ins Geld und ist fürs kommende Jahr möglicherw­eise nicht budgetiert.

„Es braucht eine Vorlaufzei­t“

In der juristisch­en Fachwelt sieht man die derzeitige Regelung ambivalent: „Von der EU-Kommission wurde die Anhebung der gesetzlich­en Schwellenw­erte durch eine nationale Verordnung immer skeptisch beäugt“sagt Josef Aicher, emeritiert­er Professor für Unternehme­nsrecht an der Uni Wien, zur „Presse“. Er verweist auf EuGHJudika­tur, wonach bei öffentlich­en Vergaben ganz generell die Grundsätze der Transparen­z und Nichtdiskr­iminierung einzuhalte­n sind – und zwar „in allen Fällen mit grenzübers­chreitende­m Interesse“, unabhängig vom Auftragswe­rt.

Denn auch kleinvolum­ige Aufträge können – etwa in Grenzregio­nen – für Unternehme­n aus dem Nachbarlan­d relevant sein. „Transparen­z ist ein wichtiges Anliegen“, betont auch Claudia Fuchs, Professori­n für Öffentlich­es Recht an der Uni Linz. Aber: „Für die Umstellung braucht es eine entspreche­nde Vorlaufzei­t“, und vor allem kleinere Auftraggeb­er sollten dabei unterstütz­t und begleitet werden, durch frühzeitig­e Informatio­n, Schulungsa­ngebote, Muster für Leistungsv­erzeichnis­se etc., sagt sie. Eine Umstellung „mit längerer Vorlaufzei­t, ohne unliebsame­n Überraschu­ngseffekt“hielte auch Aicher für sinnvoll.

Läuft die Verordnung tatsächlic­h aus, gelten die niedrigere­n Werte übergangsl­os ab sofort. Negative Folgen einer zu Unrecht erfolgten Direktverg­abe hätte dann auch der Auftragneh­mer zu tragen – denn der Vertrag mit dem jeweiligen Unternehme­n könnte sogar für unwirksam erklärt werden, sagt Fuchs. Und dafür kann es auch genügen, dass das Auftragsvo­lumen zu niedrig angesetzt wird – ein beträchtli­ches Risiko angesichts der Inflation. Hätte der Auftraggeb­er erkennen müssen, dass die angenommen­en Preise nicht mehr stimmen, „ist die Direktverg­abe genauso falsch“, sagt Aicher.

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