Gemeinden bangen vor Erschwernissen bei Auftragsvergaben WIrtsCHAFts RE©HT
Vergaberecht. Die Schwellenwerteverordnung, die unter anderem Direktvergaben bis zu einem Volumen von 100.000 Euro erlaubt, wurde seit über einem Jahrzehnt immer wieder verlängert. Damit könnte zum Jahresende – mitten in der Wirtschaftskrise – überraschen
wien. Müssen sich öffentliche Auftraggeber ab Jänner auf deutlich mehr Aufwand für die Abwicklung von Vergabeverfahren gefasst machen? Und Wirtschaftstreibende, die sich um Aufträge bewerben, auf längere Verfahrensdauern und schlimmstenfalls sogar auf rechtliche Unsicherheiten bei bereits abgeschlossenen Verträgen?
Neue Rechtslage ab Jänner?
Möglich wäre es – denn einiges deutet darauf hin, dass die Schwellenwerteverordnung, die erstmals 2009 unter dem Eindruck der damaligen Wirtschaftskrise erlassen und dann immer wieder verlängert wurde, zum Jahresende auslaufen wird. Mit dem gewohnten Spielraum für Direktvergaben und für vereinfachte Verfahren im Baubereich – der vor allem der regionalen Wirtschaft zugutekommen soll – wäre es dann schlagartig vorbei. Und das noch dazu mitten in der nächsten, noch schwereren Wirtschaftskrise
und in Zeiten horrend steigender Preise.
Noch ist das nicht fix, bisherige Verlängerungen der Schwellenwerte-VO passierten oft erst in letzter Minute. Diesmal deutet aber vorerst nichts auf eine weitere Neuauflage hin. Man prüfe gerade ressortintern, ob es überhaupt „weiterhin erforderlich ist, die grundsätzlich bereits im BVergG 2008 gesetzlich festgelegten Betragsschwellen für bestimmte Vergabeverfahren mittels Verordnung zu erhöhen“, erfuhr „Die Presse“auf Anfrage vom zuständigen Justizministerium – das auch darauf hinwies, dass der in der Verordnung festgelegte Schwellenwert von 100.000 Euro für Direktvergaben im EU-Vergleich „relativ hoch“angesetzt sei.
Welche Folgen hätte es, wenn nicht mehr verlängert wird? Dann würden die Schwellenwerte wieder auf die im Bundesvergabegesetz vorgesehenen Werte zurückfallen. Direktvergaben wären dann nur noch bis zu einem geschätzten Auftragswert von 50.000 Euro (bzw. bei Sektorenauftraggebern bis 75.000 Euro) möglich. Und die Schwelle für das „nicht offene Verfahren ohne Bekanntmachung“im Baubereich, bei dem mindestens drei geeignete Unternehmen zur Abgabe von Angeboten einzuladen sind, würde von einer Million auf 300.000 Euro sinken. Jenseits dieser Schwellen müssten dann andere, transparentere, aber auch aufwendigere Verfahrensarten gewählt werden. Selbst das einfachste davon – die „Direktvergabe mit vorheriger Bekanntmachung“– erfordert unter anderem eine Leistungsbeschreibung. Eine solche Bekanntmachung kann dann auch innerhalb einer zehntägigen Frist angefochten werden.
„Verfahren jetzt viel kürzer“
Für eine Verlängerung der Verordnung tritt – neben der Wirtschaftskammer – unter anderem der Gemeindebund ein. Er appellierte ans zuständige Justizministerium, aber auch an Finanzministerium und Bundeskanzleramt, dass die derzeitige Regelung „zumindest“beibehalten werden sollte. „Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Schwellenwerteverordnung im Schnitt zu einer Verkürzung der Dauer der Vergabeverfahren um zwei bis drei Monate führt, in Einzelfällen sind die Verfahren sogar um bis zu fünf Monate kürzer. Dazu sinken die Verfahrenskosten um bis zu 75 Prozent, in komplexeren Fällen sogar um mehr als 90 Prozent“, heißt es in den an die Ministerien gerichteten Schreiben. Gemeinden, Städte und öffentliche Unternehmen würden dadurch „in ihrer Rolle als Investitionsmotoren gestärkt“, davon profitieren würden vor allem regionale kleine und mittlere Unternehmen, argumentiert die kommunale Interessenvertretung.
Vor allem kleine Gemeinden dürften bei einer unvorbereiteten Änderung der langjährigen Praxis auch an Kapazitätsgrenzen stoßen. Sie würden dann mehr Mitarbeiter mit dem entsprechenden Fachwissen brauchen – oder externe Beratung, und beides geht ins Geld und ist fürs kommende Jahr möglicherweise nicht budgetiert.
„Es braucht eine Vorlaufzeit“
In der juristischen Fachwelt sieht man die derzeitige Regelung ambivalent: „Von der EU-Kommission wurde die Anhebung der gesetzlichen Schwellenwerte durch eine nationale Verordnung immer skeptisch beäugt“sagt Josef Aicher, emeritierter Professor für Unternehmensrecht an der Uni Wien, zur „Presse“. Er verweist auf EuGHJudikatur, wonach bei öffentlichen Vergaben ganz generell die Grundsätze der Transparenz und Nichtdiskriminierung einzuhalten sind – und zwar „in allen Fällen mit grenzüberschreitendem Interesse“, unabhängig vom Auftragswert.
Denn auch kleinvolumige Aufträge können – etwa in Grenzregionen – für Unternehmen aus dem Nachbarland relevant sein. „Transparenz ist ein wichtiges Anliegen“, betont auch Claudia Fuchs, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Linz. Aber: „Für die Umstellung braucht es eine entsprechende Vorlaufzeit“, und vor allem kleinere Auftraggeber sollten dabei unterstützt und begleitet werden, durch frühzeitige Information, Schulungsangebote, Muster für Leistungsverzeichnisse etc., sagt sie. Eine Umstellung „mit längerer Vorlaufzeit, ohne unliebsamen Überraschungseffekt“hielte auch Aicher für sinnvoll.
Läuft die Verordnung tatsächlich aus, gelten die niedrigeren Werte übergangslos ab sofort. Negative Folgen einer zu Unrecht erfolgten Direktvergabe hätte dann auch der Auftragnehmer zu tragen – denn der Vertrag mit dem jeweiligen Unternehmen könnte sogar für unwirksam erklärt werden, sagt Fuchs. Und dafür kann es auch genügen, dass das Auftragsvolumen zu niedrig angesetzt wird – ein beträchtliches Risiko angesichts der Inflation. Hätte der Auftraggeber erkennen müssen, dass die angenommenen Preise nicht mehr stimmen, „ist die Direktvergabe genauso falsch“, sagt Aicher.