So klang es, als Mozart selbst spielte
Im Gespräch. Robert Levin hat alle Klaviersonaten Mozarts auf dessen Hammerklavier eingespielt – und dabei die Kunst der variierten Wiederholung wieder aufleben lassen.
„Man bekommt Gänsehaut“, sagt Robert Levin auf die Frage, wie sich ein Pianist fühle, der sämtliche KLASSIK Klaviersonaten Mozarts auf dessen eigenem Hammerklavier für CD aufnimmt. „Man denkt immer wieder: Diese Tasten haben seine Finger berührt! Alle Wiener Meisterwerke hat er an diesem Klavier komponiert!“
Der historische Walter-Flügel gehört der Stiftung Mozarteum. Levin, versiert im Umgang mit alten Instrumenten, hat schon etliche Konzerte auf diesem Juwel gegeben. „Die Initiative zur Aufnahme der Mozart-Sonaten ist von der Stiftung ausgegangen“, erzählt er. Vorangegangen waren den Aufnahmen jeweils Livekonzerte im Rahmen der Mozartwochen von 2017 und 2018.
Die ersten Reaktionen auf die Neuerscheinung waren euphorisch. „Es ist aufregend, wie diese nicht gerade konventionelle Art ankommt“, sagt Levin. Er meint damit keineswegs nur das klangliche Ergebnis seiner Arbeit auf Mozarts Originalklavier. Kenner werden nämlich rasch bemerken, dass auch die musikalische Struktur der Sonaten sich bei ihm anders ausnimmt: Levin befolgt alle Wiederholungszeichen, aber der Hörer bemerkt das zunächst nicht. Denn: Wenn zweimal das Gleiche erklingt, tönt es keineswegs identisch!
Bachs Sohn als Vorbild
Levin gönnt sich den in der Mozart-Zeit üblichen Luxus, Wiederholungen auszuzieren und zu variieren. Er verweist auf den glücklichen Umstand, dass just in die Zeit der Vorbereitung dieser Aufnahmen seine editorische Arbeit an den Klaviersonaten von Carl Philipp Emanuel Bach fiel.
Der Bach-Sohn war für die Wiener Klassiker eines der prägenden Vorbilder, nicht zuletzt mit seinen „Sonaten mit veränderten Reprisen“, die eben jene Praxis der variierten Wiederholung belegen.
Für den Gebrauch der weniger versierten Zeitgenossen hat der Komponist hier Vorschläge notiert, wie diese Veränderungen aussehen könnten. „Statt Wiederholungszeichen zu setzen“, erläutert der Pianist und Musikwissenschaftler Levin, „hat er die Passagen, die wiederholt werden sollten, gleich neu komponiert – ähnlich wie das, was da zuerst stand, aber eben doch anders. Es ist dieselbe Geschichte, die aber inhaltlich durchaus neue Facetten bekommen kann, nach Lust und Laune farbig nacherzählt. Als ich das bei Bach gesehen habe, ist mir ein Licht aufgegangen: Wir haben es bisher, ich möchte nicht sagen falsch, aber nicht dem Zeitgeist entsprechend gemacht, wenn wir die Musik eins zu eins noch einmal gespielt haben.“
Diese Erkenntnis auch auf Mozart anzuwenden liegt für Levin auf der Hand: „Die Familie Mozart hat einen Druck dieser ,Sonaten mit veränderten Reprisen‘ besessen. Vater Leopold schreibt an seinen Verleger Breitkopf in Leipzig, sein Sohn Wolfgang könnte auch solche Sonaten komponieren. Für Leopold war Carl Philipp Emanuel Bach der Vater und die nächste Generation waren die Söhne. Auch Haydn schreibt einmal: ,Wer meine Klaviersonaten kennt, weiß, wie hoch ich Bach schätze.‘ Bach, das war damals der Sohn, nicht − wie für uns − der Vater. Selbst Beethoven bezieht sich noch auf Carl Philipp Emanuel und meint: ,Ohne ihn können wir nichts machen.‘“
Mit Gulda fing das Improvisieren an
Mag sein, dass Robert Levin der erste Pianist ist, der so konsequent diese Erkenntnisse auf die Interpretation der Wiener Klassik anwendet. Er selbst nennt freilich ein großes Vorbild: „Friedrich Gulda! Ich war immer begeistert von Guldas Art, Mozart zu spielen. Wir dürfen nicht vergessen, dass er sich sein Leben lang dem Jazz gewidmet hat. Da spielt Improvisation eine immense Rolle. Ich kann mich noch gut erinnern, dass mir Hans Swarowsky, bei dem ich in Wien studierte, gesagt hat: ,Wer Mozart spielen will, muss improvisieren können.‘ Und als ich ihn nach Beispielen gefragt habe, hat er mir Guldas Mozart-Aufnahmen empfohlen.“
Das war für Levin ein Schlüsselerlebnis. „Die improvisatorische Freizügigkeit galt damals als sehr gewagt. Nicht alle waren einverstanden. Mittlerweile hat sich das geändert. Aber wenn es heute unter den MozartSpezialisten Sitte geworden ist, dass man bei Wiederholungen hie und da einen Triller oder sonst eine kleine Verzierung einfügt, dann ist das gut und schön, aber es berührt bloß die Oberfläche.“
Wie weit Mozart selbst gegangen ist, wissen wir nur von einigen wenigen Beispielen, wenn er etwa in einer seiner Sonaten für eine seiner Schülerinnen, die keine gute Improvisatorin war, veränderte Reprisen notiert hat. Das sind die Dinge, an denen Levin sich orientiert. Der Erfolg gibt ihm recht.
In der November-Ausgabe des „Gramophone“jubelt der Rezensent nicht nur über die Interpretationen der vollendeten Sonaten, sondern auch über Levins Versuche, die erhaltenen Fragmente in Mozarts Sinn fertigzustellen: Die Ergebnisse klängen „nahtlos und überzeugend“.