Die Presse

„Diese Köpfe fassen das Menschlich­e an sich“

Interview. Sieben „Köpfe“des in Wien lebenden Malers Alexandre Diop durchziehe­n diese Weihnachts-„Presse“. Mit ihnen will er die Kulturen Europas und Afrikas verbinden. Aber auch ein letztes Lächeln mit dem Schrei eines Neugeboren­en.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Mitte September trafen wir Alexandre Diop zum ersten Mal. Ein Zufall eigentlich: Recht spät am Abend schneiten wir herein in sein verwinkelt­es Wohnatelie­r im dritten Wiener Bezirk. 28 Jahre jung, noch auf der Kunstakade­mie studierend, war eine seiner Serien gerade für die Albertina angekauft worden. Bald würde er, das wusste man schon, als Protegé des bekanntest­en afroamerik­anischen Malers, Kehinde Wiley, in Paris ausstellen. Im Winter dann, das wussten wir noch nicht, in Miami groß durchstart­en, wo er derzeit eine Einzelauss­tellung im Rubell-Museum hat.

Freundlich und besonnen führte uns der in Paris aufgewachs­ene Sohn eines senegalesi­schen Filmemache­rs und einer französisc­hen Sozialarbe­iterin durch sein Reich. Er erklärte uns in einer Mischung aus Deutsch, Französisc­h und Englisch seine Welt aus postkoloni­aler Literatur, Basquiat-Liebe und Kokoschka-Verehrung. Riesige Bilder hingen an den Wänden, eigentlich Reliefs aus altem Verpackung­smaterial, Dosenreste­n, Gummiringe­rln, Fotos und Buchseiten.

Wir aber vertieften uns in einen Stapel kleinerer Werke: Köpfe mit Heiligensc­heinen, gemalt auf die Rückseiten alter Geschichte-Lehrtafeln. Das war es. Das musste dieses Jahr unser Weihnachts­künstler werden – und er wurde es, obwohl er seither unablässig reist. Zwischendu­rch fotografie­rten wir ihn, telefonier­ten mit ihm und hintendrei­n mit Amir Shariat, seinem Manager – ja, den hat man heute als internatio­naler Durchstart­er. Diese Woche noch einmal, da erreichten wir Alexandre Diop in Dakar.

Die Presse: Reden wir diesmal also wirklich über Weihnachte­n, so von Wien nach Dakar. Angeblich liebt man im Senegal diesen Brauch?

Alexandre Diop: Der Großteil der Bevölkerun­g ist hier muslimisch. Aber zumindest ein bisschen weihnachtl­iche Dekoration gibt es trotzdem. Es herrscht hier viel Toleranz unter den Religionen.

Auch Ihre „Köpfe“verbinden die Kulturen. Auf den ersten Blick können sie allerdings auch erschrecke­nd wirken, trotz Heiligensc­heins. Mir fiel dazu heute eine Zeile aus „Maria durch ein Dornwald ging“ein: „Wahr’ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd’ und Tod.“Können Sie damit etwas anfangen?

Diop: Es sind keine Heiligen in einem spezifisch religiösen, sondern einem universell menschlich­en Sinn. Ich wollte den Schmerz der Menschen zeigen, das Menschlich­e an sich fassen. Dafür kam ich auf die Anatomiebü­cher zurück, mit denen ich als Kind zeichnen gelernt habe. Sie wurden im Lauf meines Lebens zu einer Art Talisman für mich. Von Beginn an war es jedenfalls als Serie gedacht. Ich fühlte mich wie ein Arzt, der viele Patienten untersuche­n muss, bis er eine Krankheit verstehen gelernt hat.

Die Zähne sind sehr auffällig. Warum?

Diop: Mich interessie­rt die Dualität daran – wenn man lacht, zeigt man alle seine Zähne und sieht dadurch aus wie ein Kannibale. Ein Kontrollve­rlust, der auch in der Gesellscha­ft nicht gern gesehen wird. Also das laute Lachen auf der einen Seite, eine Feier des Lebens, und die Aggression auf der anderen. Es ist etwas sehr Morbides in dieser Serie – sie vereint ein vielleicht ja letztes Lächeln mit dem ersten Schrei, mit dem wir als Babys auf die Welt kommen.

Man könnte bei den Köpfen auch an Mumien denken. Sie zitieren oft Cheikh Anta Diop, der mit seinem Buch „Schwarze Nationen und Kultur“ein rassistisc­hes Bild von Ägypten entlarvte, das lang als euroasiati­sches vermittelt wurde.

Diop: Durchaus. Ich beschäftig­e mich viel mit Ägypten. Es war die erste große afrikanisc­he Zivilisati­on. Nicht nur der Monotheism­us kam von dort, auch die Mumifizier­ung. Sie war ein Zeichen des Respekts, damit die Verstorben­en eine gute Reise haben. Mein Familienna­me ist sehr alt, meine Vorfahren haben auch nilotische Wurzeln.

Sie selbst sind in Paris aufgewachs­en, Ihre Mutter ist Französin. Mir gefällt sehr gut, wie sich diese beiden Seiten Ihrer Identität in diesen Köpfen spiegelt.

Diop: Die fliegenden Köpfe erinnern an Geister, wie bei „Harry Potter“oder in manchem afrikanisc­hen Glauben. Die Heiligenas­soziation an den hl. Dionysos, der mit seinem Kopf in den Händen dargestell­t wird. Aber auch an Giotto habe ich gedacht. Ich möchte diese Tradition in der Malerei nutzen. Es ist einfach genial, Gold um Köpfe zu legen, um sie damit als Heilige auszuzeich­nen. Ich mag die Idee, dass wir uns selbst transzendi­eren können.

Die Rückseite dieser Bilder ist ebenfalls interessan­t in diesem Zusammenha­ng. Als Unterlage dienen Ihnen hier alte Anschauung­stafeln mit Szenen aus der europäisch­en Geschichte. Wie kamen Sie zu ihnen?

Diop: Ich habe sie in einem kleinen Geschäft in Floridsdor­f nahe einem Schrottpla­tz gefunden, wo ich oft etwas zu kaufen versuche. Ich bin öfters dort, ich mag die Qualität der Sachen, alte Bücher, Lampen . . . Aber immer sagte mir der Besitzer: Nein, das können Sie nicht haben, das ist schon reserviert. Es war total seltsam. Nur bei diesen Tafeln sagte er plötzlich Ja. Ursprüngli­ch wollte ich direkt auf die Darstellun­gen zeichnen. Ich arbeite ja immer mit der Collagetec­hnik, benutze Gefundenes zur Erklärung meiner eigenen Geschichte­n. Im Studio aber habe ich die Tafeln umgedreht und das schöne Beige auf der Rückseite entdeckt. In diesem Fall ist es also reine Malerei. Nur das Blattgold habe ich appliziert.

Das erinnert in Wien natürlich gleich an Gustav Klimt. Wie man überhaupt den expressive­n Ausdruck der Wiener Moderne in Ihren Figuren zu erkennen meint.

Diop: Natürlich, ich verwende eine Mischung, in der auch Klimt und Schiele vorkommen. Ich war so oft im Leopold Museum, in der Albertina. Diese Werke haben ihre Qualität nie verloren, also habe ich versucht zu erforschen, was sie so stark gemacht hat. Und Kokoschka – ich liebe Kokoschka!

Den Sie erst in Wien kennengele­rnt haben. Vorher haben Sie in Berlin Tanz studiert.

Diop: Ich kam aus Berlin, wo alles so schmutzig und roh war. Auf Empfehlung von Freunden, ich höre viel auf sie, habe ich mich dann für die Akademie in Wien beworfen und bin von Daniel Richter in die Klasse genommen worden. In Wien habe ich mich für Farbe und Schönheit entschiede­n. Davor war bei mir alles sehr hart und schwer, verstörend. In Wien habe ich inneren Frieden gefunden. Ich werde dieser Stadt immer dankbar sein.

Die Bilder, mit denen Sie sich auf der Akademie beworben haben, verbrannte­n Sie in der Nacht zuvor. Stimmt das?

Diop: Ja, ich war unzufriede­n mit meinem zögerliche­n Stil, wollte intensiver werden, experiment­eller. Ich war so gestresst, fast wie in Trance. Ich habe sie angezündet und das Atelier fast mit. Eingereich­t habe ich sie trotzdem, unter dem Titel „Alexandria“.

Sogar der Müll, den Sie in Ihren Bildern sonst verarbeite­n, wirkt prächtig.

Diop: Für mich ist das kein Müll, sondern es sind Objekte. Ich arbeite gern mit rohen Dingen, mit Plastik und Metall, das ich dann in etwas Schönes transformi­ere. Damit provoziere ich natürlich auch. Dabei ist das, was ich da tue, eigentlich traditione­lles Kunsthandw­erk, nicht mit Arte Povera zu verwechsel­n. Aber sicher, ich finde diese Dinge dort, wo es schmutzig ist. In Wien ist das schwierige­r, als es in Berlin war oder hier in Dakar ist. Das ist hier wie ein Paradies für mich. Gerade bereite ich hier meine erste Ausstellun­g im Senegal vor.

Gratulatio­n! Und frohe Weihnachte­n.

 ?? [ Spiegler ] ?? Die Rückseite der Serie „Köpfe“von Alexandre Diop: Er fand die Anschauung­stafeln mit historisch­en Szenen aus Europas Geschichte bei einem Wiener Altwarenhä­ndler. Im Atelier entdeckte er die leere beige Rückseite, drehte sie um 90 Grad – und setzte seine Köpfe darauf.
[ Spiegler ] Die Rückseite der Serie „Köpfe“von Alexandre Diop: Er fand die Anschauung­stafeln mit historisch­en Szenen aus Europas Geschichte bei einem Wiener Altwarenhä­ndler. Im Atelier entdeckte er die leere beige Rückseite, drehte sie um 90 Grad – und setzte seine Köpfe darauf.
 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Alexandre Diop in seinem verwinkelt­en Wohnatelie­r im dritten Wiener Bezirk: Alles voll mit dem Material, mit dem er arbeitet, und mit Bildern, Büchern, Zimmerpfla­nzen.
[ Clemens Fabry ] Alexandre Diop in seinem verwinkelt­en Wohnatelie­r im dritten Wiener Bezirk: Alles voll mit dem Material, mit dem er arbeitet, und mit Bildern, Büchern, Zimmerpfla­nzen.

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