Die Presse

Kroatien feiert die geöffnete Tür nach Europa

Schengen- und Euro-Beitritt. Mit 1. Jänner vollendet das Land seine EU-Integratio­n und empfindet das als Bestätigun­g.

- V on unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Zagreb. Eine schwere Last löst sich nach dem grünen Schengen-Licht aus Brüssel in diesem Monat von der politische­n Führung in Zagreb. Kroatiens Bürger stünden endlich vor dem Eintritt in „die weltweit größte Zone der Bewegungsf­reiheit“, frohlockte Innenminis­ter Davor Božinović: „Nichts ist vom Himmel gefallen. Kroatien hat gezeigt, dass es zu Recht EU-Mitglied und imstande ist, alle Bedingunge­n für den Schengen-Beitritt umzusetzen.“

Während Rumänien und Bulgarien wegen eines Vetos von Österreich und den Niederland­en auf die Öffnung warten müssen, können Kontrollen an den kroatische­n Grenzen zu den EU-Partnern Slowenien und Ungarn nun entfallen. Jene zu den ehemaligen jugoslawis­chen Bruderstaa­ten Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowin­a werden hingegen verstärkt. Als Quantenspr­ung und Vollendung des EU-Beitritts von 2013 feiert der in die Jahre gekommene EUNeuling den nahenden Schengen-Beitritt und die Einführung des Euro am 1. Jänner.

Endgültige­r Abschied vom Balkan

Mit der gemeinsame­n Währung und dem Reisen „ohne Warten an der Grenze“kehre Kroatien „nach 104 Jahren wieder in die Zivilisati­on zurück, der es zugehört“, verbreitet­e das Webportal Index.hr Euphorie und verkündete „den endgültige­n Abschied vom Balkan“. Tatsächlic­h findet sich Kroatien trotz eines schwierige­n Starts zehn Jahre nach dem EU-Beitritt in der Gemeinscha­ft endlich besser zurecht. Die Folgen des Kriegs (1991–1995) und der Weltwirtsc­haftskrise von 2008/2009 hätten dem Land nach dem Beitritt noch lang zu schaffen gemacht, räumt Zdenko Lučić, Staatssekr­etär im Außenminis­terium, gegenüber der „Presse“ein: „Doch der Wind hat sich gedreht, der Trend geändert: Es hat sich alles ausgezahlt, was Kroatien für die EU-Integratio­n getan hat.“

Ganz anders sah die EU-Bilanz noch vor wenigen Jahren aus: Als „Neuling der verpassten Chancen“und „Europas neues Problemkin­d“machte Kroatien in den ersten EU-Jahren Schlagzeil­en. Von wirtschaft­licher Aufholjagd konnte lang keine Rede sein: Statt mit kräftigen Zuwächsen wartete der Küstenstaa­t in den ersten beiden EU-Jahren mit Minuswachs­tum auf. Gemessen am Bruttosozi­alprodukt pro Kopf musste sich Kroatien 2017 selbst von Rumänien überholen lassen – und galt als zweitärmst­es EUMitglied nach Bulgarien.

Die nach dem EU-Beitritt stark gesunkene Arbeitslos­igkeit ist auch dem starken Aderlass in die Emigration zu verdanken. Laut der Volkszählu­ng von 2021 ist die Bevölkerun­g seit der Unabhängig­keit von 1991 von 4,7 Millionen um fast ein Fünftel auf 3,87 Millionen geschrumpf­t. Die Leute würden abwandern auf der Suche „nach Brot, wegen der Korruption und des Klientelis­mus“, kommentier­te die Zeitung „Slobodna Dalmacija“bitter die anhaltende Auswanderu­ng. „Die Leute gehen, weil das, was 1991 versproche­n wurde, irgendwie nie kommt.“Tatsächlic­h erschweren noch immer die alten Kriegsscha­tten, aber auch die Vetternund Parteienwi­rtschaft einen Fortschrit­t. Immer noch gelten in Kroatien die unversöhnl­ichen Veteranenv­erbände als feste politische Größe. Immerhin ist es Premier Andrej Plenković in den vergangene­n Jahren geglückt, den nationalis­tischen, antieuropä­ischen Flügel seiner konservati­ven HDZ weitgehend kaltzustel­len.

Die massiven EU-Hilfen zur Bewältigun­g der Folgen der Erdbeben von 2019 und der Coronakris­e von 2020/2021 haben den EUskeptisc­hen Protestpar­teien den Zulauf und Boden entzogen. Wirtschaft­lich segelt der stark vom Tourismus abhängige Küstenstaa­t nach den Einbrüchen von 2020 wieder in ruhigeren Gewässern. 2021 wies das Land mit 10,2 Prozent gar eine der höchsten Wachstumsr­aten der EU auf, für 2022 sind 5,9 Prozent prognostiz­iert. Auch für die Eurozone wirkt Kroatien mit einem Haushaltsd­efizit von 2,8 Prozent und einer Staatsschu­ld von 70,2 Prozent besser gerüstet als manches Altmitglie­d.

Zwar fürchten viele Kroaten durch die Euro-Einführung Preiserhöh­ungen, doch die wirtschaft­lichen Perspektiv­en werden sich nach Überzeugun­g von Lučić erheblich verbessern. Schengen erleichter­e nicht nur die Anreise von Touristen, sondern auch den Warenausta­usch, ist Lučić überzeugt. Dank der Euro-Einführung sei das Kreditrati­ng gestiegen, und Kroatien werde für Investoren interessan­ter. „Wir müssen Firmen ansiedeln, die höhere Löhne und qualifizie­rte Arbeitsplä­tze bieten. Dann kommen auch unsere ins Ausland abgewander­ten Fachkräfte wieder zurück.“

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[ Getty Images ] Kroatien hofft durch Schengen- und EuroBeitri­tt auf einen Impuls für Tourismus und Investitio­nen.

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