Kroatien feiert die geöffnete Tür nach Europa
Schengen- und Euro-Beitritt. Mit 1. Jänner vollendet das Land seine EU-Integration und empfindet das als Bestätigung.
Zagreb. Eine schwere Last löst sich nach dem grünen Schengen-Licht aus Brüssel in diesem Monat von der politischen Führung in Zagreb. Kroatiens Bürger stünden endlich vor dem Eintritt in „die weltweit größte Zone der Bewegungsfreiheit“, frohlockte Innenminister Davor Božinović: „Nichts ist vom Himmel gefallen. Kroatien hat gezeigt, dass es zu Recht EU-Mitglied und imstande ist, alle Bedingungen für den Schengen-Beitritt umzusetzen.“
Während Rumänien und Bulgarien wegen eines Vetos von Österreich und den Niederlanden auf die Öffnung warten müssen, können Kontrollen an den kroatischen Grenzen zu den EU-Partnern Slowenien und Ungarn nun entfallen. Jene zu den ehemaligen jugoslawischen Bruderstaaten Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina werden hingegen verstärkt. Als Quantensprung und Vollendung des EU-Beitritts von 2013 feiert der in die Jahre gekommene EUNeuling den nahenden Schengen-Beitritt und die Einführung des Euro am 1. Jänner.
Endgültiger Abschied vom Balkan
Mit der gemeinsamen Währung und dem Reisen „ohne Warten an der Grenze“kehre Kroatien „nach 104 Jahren wieder in die Zivilisation zurück, der es zugehört“, verbreitete das Webportal Index.hr Euphorie und verkündete „den endgültigen Abschied vom Balkan“. Tatsächlich findet sich Kroatien trotz eines schwierigen Starts zehn Jahre nach dem EU-Beitritt in der Gemeinschaft endlich besser zurecht. Die Folgen des Kriegs (1991–1995) und der Weltwirtschaftskrise von 2008/2009 hätten dem Land nach dem Beitritt noch lang zu schaffen gemacht, räumt Zdenko Lučić, Staatssekretär im Außenministerium, gegenüber der „Presse“ein: „Doch der Wind hat sich gedreht, der Trend geändert: Es hat sich alles ausgezahlt, was Kroatien für die EU-Integration getan hat.“
Ganz anders sah die EU-Bilanz noch vor wenigen Jahren aus: Als „Neuling der verpassten Chancen“und „Europas neues Problemkind“machte Kroatien in den ersten EU-Jahren Schlagzeilen. Von wirtschaftlicher Aufholjagd konnte lang keine Rede sein: Statt mit kräftigen Zuwächsen wartete der Küstenstaat in den ersten beiden EU-Jahren mit Minuswachstum auf. Gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf musste sich Kroatien 2017 selbst von Rumänien überholen lassen – und galt als zweitärmstes EUMitglied nach Bulgarien.
Die nach dem EU-Beitritt stark gesunkene Arbeitslosigkeit ist auch dem starken Aderlass in die Emigration zu verdanken. Laut der Volkszählung von 2021 ist die Bevölkerung seit der Unabhängigkeit von 1991 von 4,7 Millionen um fast ein Fünftel auf 3,87 Millionen geschrumpft. Die Leute würden abwandern auf der Suche „nach Brot, wegen der Korruption und des Klientelismus“, kommentierte die Zeitung „Slobodna Dalmacija“bitter die anhaltende Auswanderung. „Die Leute gehen, weil das, was 1991 versprochen wurde, irgendwie nie kommt.“Tatsächlich erschweren noch immer die alten Kriegsschatten, aber auch die Vetternund Parteienwirtschaft einen Fortschritt. Immer noch gelten in Kroatien die unversöhnlichen Veteranenverbände als feste politische Größe. Immerhin ist es Premier Andrej Plenković in den vergangenen Jahren geglückt, den nationalistischen, antieuropäischen Flügel seiner konservativen HDZ weitgehend kaltzustellen.
Die massiven EU-Hilfen zur Bewältigung der Folgen der Erdbeben von 2019 und der Coronakrise von 2020/2021 haben den EUskeptischen Protestparteien den Zulauf und Boden entzogen. Wirtschaftlich segelt der stark vom Tourismus abhängige Küstenstaat nach den Einbrüchen von 2020 wieder in ruhigeren Gewässern. 2021 wies das Land mit 10,2 Prozent gar eine der höchsten Wachstumsraten der EU auf, für 2022 sind 5,9 Prozent prognostiziert. Auch für die Eurozone wirkt Kroatien mit einem Haushaltsdefizit von 2,8 Prozent und einer Staatsschuld von 70,2 Prozent besser gerüstet als manches Altmitglied.
Zwar fürchten viele Kroaten durch die Euro-Einführung Preiserhöhungen, doch die wirtschaftlichen Perspektiven werden sich nach Überzeugung von Lučić erheblich verbessern. Schengen erleichtere nicht nur die Anreise von Touristen, sondern auch den Warenaustausch, ist Lučić überzeugt. Dank der Euro-Einführung sei das Kreditrating gestiegen, und Kroatien werde für Investoren interessanter. „Wir müssen Firmen ansiedeln, die höhere Löhne und qualifizierte Arbeitsplätze bieten. Dann kommen auch unsere ins Ausland abgewanderten Fachkräfte wieder zurück.“