Wo die meisten Kinder Wiens zur Welt kommen
Das St.-Josef-Spital ist mittlerweile die größte Geburtsklinik des Landes. Über den Trend zurück zur Natur, Kaiserschnitte und Geburten im Rettungswagen.
Es ist viel los an diesem Morgen im St.-Josef-Krankenhaus: Alle elf Kreißsäle sind belegt. Elf Frauen sind in diesem Moment also gerade dabei, ein Kind zur Welt zu bringen. Die Urkräfte, die da freigesetzt werden, hört man im Trakt mitunter auch. Eine Geburt ist eben etwas Gewaltiges.
Hier in Wien-Hietzing erleben diesen besonderen Moment mehr Frauen als irgendwo sonst im Land: Fast 100.000 Babys sind hier bisher auf die Welt gekommen. Und seit die Geburtenstation des Göttlichen Heilands vor drei Jahren hierher gewandert ist, ist das St. Josef die größte Geburtsklinik in ganz Österreich: 4134 Babys wurden im vergangenen Jahr hier geboren, im Schnitt elf bis zwölf pro Tag – wobei sich die Kinder ungern an Statistiken halten. „Manchmal sind es in 24 Stunden nur fünf – manchmal sind es 20“, sagt Birgit Krenauer, leitende Hebamme.
„Jeden Tag Weihnachten“
Zu Weihnachten waren es zuletzt neun Kinder, die hier das Licht der Welt erblickt haben. Wobei das Datum bei den Profis gar nicht so viel Sentimentalität auslöst – außer, wenn die geistlichen Schwestern der Salvatorianerinnen singend und als Engel verkleidet durchs Haus ziehen. „Im Grunde ist jeden Tag Weihnachten bei uns“, sagt Krenauer. „Zu Weihnachten feiern wir ja die Geburt eines Kindes – und bei uns werden jeden Tag Kinder geboren.“
Seit zwei Monaten kommen manche von ihnen im Haus Margareta auf die Welt: dem angebundenen Neubau mit drei neuen Kreißsälen – benannt nicht nur nach der Schutzheiligen der Schwangeren, sondern auch nach Ordensschwester Margarita, die hier 13.000 Kinder zur Welt gebracht hat. Nach sieben Jahren hat das 1930 gegründete Ordensspital damit seinen groß angelegten Umbau abgeschlossen. Kernelement: die 2018 eröffnete Kinderabteilung mit Neonatologie, in der auch frühgeborene Babys ab der 28. Schwangerschaftswoche betreut werden.
Bei den Geburten spielen die Ärzte hier allerdings im besten Fall nur eine Nebenrolle.
Denn die Hauptverantwortung haben die rund 70 Hebammen. Seit 2018 werden Gebärende im St.-Josef-Krankenhaus grundsätzlich nur von Hebammen begleitet – und nicht mehr automatisch (auch) von Ärzten. „Eine Geburt ist ja keine Krankheit, sondern ein natürlicher Ablauf“, sagt Andreas Brandstetter, Vorstand der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe. „Der Arzt ist als Sicherheitsnetz da – und wird nur dann hinzugezogen, wenn etwas nicht optimal läuft.“
Damit habe man gute Erfahrungen gemacht. „Ich glaube, dass der Trend in Richtung natürliche Geburt geht – back to the roots, quasi“, sagt Brandstetter. Während es vor 20 Jahren eine Tendenz zu (Wunsch-) Kaiserschnitten gegeben habe, würden sich heute viele Frauen klar eine spontane Geburt wünschen, immer mehr auch mit Wahlhebammen. Und entscheiden sich dann teilweise auch bewusst für das St. Josef. Auf der Plattform zur Geburtsanmeldung in Wien kann man sich vorab etwa ansehen, wie oft in jedem Spital Dammschnitte oder Kaiserschnitte durchgeführt werden.
Die Kaiserschnittrate im St.-Josef-Krankenhaus liegt demnach bei 25 Prozent, deutlich unter dem österreichischen Durchschnitt von 30 Prozent – allerdings immer noch deutlich höher als früher. Brandstetter erklärt das unter anderem mit der Neonatologie, durch die mehr Risikoschwangere hier entbinden. Und mit Fortschritten beim Kaiserschnitt selbst, der nun weniger risikoreich sei als früher. „Wenn man Risken bei der Geburt erkennt, wird man den Kaiserschnitt heute früher machen als vor vielen Jahren. Aber der Kaiserschnitt ist natürlich schon ein Notausgang.“
Dass eine Geburt an sich etwas Natürliches ist, sollen auch die Namen der Kreißsäle vermitteln: Die heißen hier Meer, Berg oder Garten, im Neubau gibt es Savanne, Wiese und Teich. In den Zimmern finden sich neben einem Bett auch allerhand andere Hilfsmittel: eine große runde Matte für Frauen, die lieber auf dem Boden die Wehen durcharbeiten, von der Decke baumelt ein Tuch zum Festhalten, es gibt einen Sitzball, einen Geburtshocker und teils auch Badewannen, in denen eine Wassergeburt möglich ist. „Wobei ich den Frauen immer rate, nicht zu viel zu planen“, sagt Krenauer.
Zwölf bis 15 Stunden dauert es bei Erstgebärenden, bis das Kind da ist – laut Lehrbuch. „Es gibt Frauen, die sind nach einer Geburtseinleitung zwei, drei Tage da, bei anderen geht es sich gerade noch aus, dass wir ins Kreißzimmer kommen“, sagt Krenauer. Oder nicht einmal das: Brandstetter erinnert sich an ein Kind, das er im Hof des Spitals im Rettungsauto auf die Welt holte – noch dazu lag es mit dem Hintern voran: in sogenannter Beckenendlage, einer Position, die in Wien neben dem St. Josef nur im SMZ Ost ohne Kaiserschnitt entbunden werden kann.
Krenauer erinnert sich am intensivsten an die langen Geburten: „Wenn ich viele Stunden mit der Frau darum gekämpft habe, dass es eine gute Geburt wird.“Was sich die Frauen wünschen sei unterschiedlich. „Es ist auch die Kunst der Hebamme, dass sie das herausfindet.“Rein statistisch gibt es dafür genug Zeit: mit zwölf Hebammen, sechs tagsüber, sechs in der Nacht. De facto kommt es drauf an: An einem Vormittag wie heute geht sich eine eins zu eins Betreuung nicht aus.