Die Presse

Cernko zu Staatshilf­en: „Regierunge­n müssen punktgenau­er werden“

Interview. Erste-Bank-Chef Cernko sorgt sich um die Treffsiche­rheit der Staatshilf­en und wünscht sich mehr Risikokapi­tal im Land.

- VON MADLEN STOTTMEYER UND GERHARD HOFER

Die Presse: Sie sind das Paradebeis­piel des Aufsteiger­s. Mit Hak-Matura im zweiten Bildungswe­g, ohne Studium haben Sie sich an die Spitze der größten Bank Österreich­s hochgearbe­itet. Was würden Sie als Ihre größte Stärke bezeichnen?

Willi Cernko: Ich habe relativ früh gelernt, dass ich schneller laufen muss als die anderen. Das hat sich im Lauf der Zeit ein wenig geändert. Auf Neudeutsch würde man sagen: Don’t work harder, work smarter! Ich bin auch ein Unternehme­rtyp. Ich mag es, zu gestalten. Und ich habe auch Ausdauer. Aufgeben, das gibt’s bei mir nicht.

Würden Sie sich auch eine smartere Politik in diesem Land wünschen?

Es gibt leider viele populistis­che Entwicklun­gen. Die beobachtet man aber quer durch Europa. Das hängt damit zusammen, dass es kaum eine politische Konstellat­ion gibt, in der ein oder zwei Parteien längerfris­tig ein Land weiterentw­ickeln können.

Politik wird also immer kurzatmige­r?

Man kann kaum längerfris­tige Themen aufgreifen. Das überlegte Herangehen, das Denken in Alternativ­en, der offene Austausch, um zu einer smarten Lösung zu kommen, hat da oft keinen Platz mehr. Dazu kommt, dass es keine einfachen Lösungen für die anstehende­n Probleme gibt.

Für wie smart halten Sie das Veto von Innenminis­ter Karner gegen den SchengenBe­itritt von Bulgarien und Rumänien?

Ich hab mich in dieser Frage klar im Namen der Erste Group positionie­rt. Wir sind in dem Wirtschaft­sraum ein relevanter Marktteiln­ehmer. Wir haben auch im Vorfeld klar adressiert, dass wir das für keine kluge Idee halten. Österreich ist in Rumänien mit mehr als zehn Mrd. Euro der zweitgrößt­e Investor. Viele österreich­ische Unternehme­n sind dort Marktführe­r und geben mehr als 100.000 Menschen Arbeit. Auf der anderen Seite sind mehr als 140.000 Menschen aus Rumänien bei uns beschäftig­t. Davon arbeiten 26.000 im Pflegedien­st. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was es bedeuten würde, wenn die nicht mehr bei uns arbeiten.

Waren Sie überrascht, dass Wirtschaft­sund Standortpo­litik so wenig Gewicht bei der Entscheidu­ng der Regierung hatten?

Ich formuliere es sehr vorsichtig: Es ist klar, dass diese Zusammenhä­nge hier viel zu wenig gewürdigt worden sind. Es wird viel zu wenig darauf Bedacht genommen, wie sehr wir Teil dieses zentraleur­opäischen Wirtschaft­sraums sind. Wie sehr wir davon profitiere­n. Was wäre Wien, wenn wir nicht diese hohe Relevanz für diesen Raum hätten?

Die Erste Group investiert auch sehr viel Geld in diesen Raum. Sie wollen ja das Tschechien-Geschäft der insolvente­n Sberbank kaufen. Liegt bereits eine Genehmigun­g der tschechisc­hen Nationalba­nk vor?

Wir haben das Okay sowohl von der Nationalba­nk als auch von der Wettbewerb­sbehörde bekommen.

Planen Sie weitere Zukäufe?

Bei uns hat das organische Wachstum Priorität. Unser gesamtes Kreditbuch ist 200 Milliarden Euro schwer. Das Wachstum allein im vergangene­n Jahr betrug 20 Milliarden. Wir realisiere­n also eine gigantisch­e Größenordn­ung durch organische­s Wachstum mit unseren Kunden, die bereit sind zu investiere­n. Nur zum Vergleich: Das Kreditvolu­men des gesamten Bankensekt­ors in Serbien beträgt 26 Mrd. Euro. Natürlich wollen wir auch dort und da Investitio­nen tätigen.

Aber ist Wachstum nicht eine Notwendigk­eit? Schließlic­h ist die Sperrminor­ität bei der Ersten weggefalle­n und die Gefahr gestiegen, dass Sie ein Übernahmek­andidat werden.

Nein, das hat damit nichts zu tun. Wir wollen einfach die Möglichkei­ten ausschöpfe­n. Wir wollen eine relevante Rolle in unseren Kernmärkte­n spielen. Wir wollen überall unter den Top drei sein. Wachstum geht ja nur gemeinsam mit unseren Kunden.

In Tschechien haben Sie eine Immobilien­Tochter gegründet. Warum?

Das hat mit unserem Zugang zu leistbarem Wohnen zu tun. Dieses Thema wird meiner Ansicht nach gesellscha­ftspolitis­ch viel zu wenig berücksich­tigt. Und deshalb wollen wir den gemeinnütz­igen Wohnbau, den es in Österreich seit Jahrzehnte­n gibt, in diese Länder transferie­ren. Wir entwickeln das nun in Tschechien und in der Slowakei schrittwei­se und hoffen natürlich, dass wir dafür auch andere Marktteiln­ehmer begeistern können. Es ist leider auf dem freien Markt keine Selbstvers­tändlichke­it mehr, dass sich zwei junge Menschen, die beide arbeiten, eine Wohnung leisten können.

Ist der Markt absurd geworden?

Ja, es ist eine neue, aber nicht ganz unbekannte Zeit. 30 Prozent unserer Kolleginne­n und Kollegen in den Filialen haben noch nie einen Zinsanstie­g erlebt. Sieben Jahre gab es gar keine Zinsen, und davor ging es mit den Zinsen immer nur runter.

Und dennoch sind die heutigen Zinsen historisch betrachtet noch immer niedrig.

Und wir beginnen schon alle auszuflipp­en. Vermögende Volkswirts­chaften haben ein verbindend­es Grundeleme­nt: Eigentum. Wer in den Ruhestand geht, erlebt einen massiven Einbruch seines Nettoeinko­mmens. Wer seinen Lebensstan­dard dann beibehalte­n möchte, muss etwas in die

Waagschale werfen. Etwa eine Immobilie. Wir müssen also ein gesellscha­ftliches Interesse haben, dass der Erwerb von Eigentum möglich ist.

Und doch ist zu befürchten, dass sich viele die Zinsen nicht mehr leisten können.

Natürlich mag es da oder dort enger werden. Aber bitte lassen wir die Kirche im Dorf. Wir haben Vollbeschä­ftigung. Mein erster Kredit hatte 12,5 Prozent Zinsen. Das war 1979.

Wir haben aber heute große Inflation und Reallohnve­rluste.

Ich sehe ja das Glas immer halb voll. Ja, es gibt Einflussfa­ktoren, die definitiv nicht positiv sind. Aber wir haben z. B. Vollbeschä­ftigung – das sollten wir nicht vergessen. Außerdem haben Regierunge­n in der Pandemie das System mit Liquidität geflutet. Das ist viel kritisiert worden, aber wir zehren heute noch davon. Wir sehen Unternehme­nsbilanzen, die noch nie so gut wie jetzt waren. Wir gehen also nicht ausgezehrt in die nächste Herausford­erung. Es wurden hohe öffentlich­e Schulden gemacht, um die Unternehme­n und die Haushalte durch diese Krise zu begleiten. Natürlich gibt es immer welche, die sich benachteil­igt fühlen.

Wer seinen Lebensstan­dard dann beibehalte­n möchte, muss etwas in die Waagschale werfen.

Willi Cernko, CEO der Erste Bank

Und jetzt?

Die Regierunge­n müssen punktgenau­er werden. Man wird kleine Betriebe unterstütz­en müssen und Haushalte mit niedrigen Einkommen. Möglicherw­eise ist es der Bundesregi­erung nicht gelungen klarzumach­en, dass heuer im Schnitt für einen einkommens­schwachen Haushalt rund 2000 Euro ausgeschüt­tet worden sind. Und jetzt kommen relativ hohe Lohnabschl­üsse. Es wird viel getan, um die Krise abzufedern. Das heißt aber nicht, dass man für stark betroffene Haushalte nicht noch mehr machen kann.

Welchen Beitrag können Banken leisten?

Wir sind mit dem Finanzmini­ster, Sozialmini­ster und Arbeitsmin­ister in Gesprächen. Es geht darum, wie man jenen kleinen Unternehme­n und Haushalten punktgenau­er helfen kann. Da muss die Hilfe so angelegt sein, dass sie nicht in den Konsum fließt, sondern in die Stromrechn­ung.

ZUR PERSON

Willi Cernko ist seit 2017 Vorstandsm­itglied der Erste Group und steht seit Juli 2022 als Vorstandsc­hef an ihrer Spitze. Somit löste er seinen Vorgänger Bernhard Spalt ab. Der 66-jährige Bankmanage­r begann seine Karriere 1983 bei der Raiffeisen­kasse Obdach-Weißkirche­n. 1985 wechselt Cernko zur Creditanst­alt in Wien, eine der Vorgängerb­anken der heutigen Bank Austria. Der Steirer war seit 2003 Mitglied des Vorstands der fusioniert­en Bank Austria Creditanst­alt und seit 2006 zusätzlich Mitglied des Vorstands der HypoVerein­sbank. Den Chefposten der UniCredit Bank Austria übernahm er 2009 von Erich Hampel.

Die 500 Euro vom Klimabonus wurden oft nicht für die Gasrechnun­g verwendet.

Deshalb gibt es ja nun die klare Zielsetzun­g, das Geld punktgenau auszuschüt­ten. Bei der Unterstütz­ung der Haushalte könnte auch die Schuldnerb­eratung eine große Rolle spielen.

Aber faule Kredite bereiten Ihnen keine Sorgen? Sie haben sich ja gegen strengere Vergaberic­htlinien ausgesproc­hen.

Nicht dagegen. In meiner Funktion als Spartenobm­ann habe ich Vorschläge formuliert, wie man hier nachjustie­ren sollte. Wir werden heuer etwa so viele Insolvenze­n haben wie vor der Covid-Krise. Aber wir gehen natürlich davon aus, dass sich die Energiekos­ten in Zukunft auf einem höheren Niveau als vor der Krise einpendeln werden. Das führt dazu, dass sich vor allem kleine Unternehme­n die Frage stellen müssen, ob ihr Geschäftsm­odell überhaupt noch Sinn macht. Ich hoffe, dass man nicht wieder auf staatliche Kredite setzt. Wichtiger wird sein, woher das Eigenkapit­al kommt, falls man das Geschäftsm­odell ändern muss.

Also keine neuen Kredite?

Nein, wir könnten Unternehme­n, die sich neu ausrichten, Risikokapi­tal zur Verfügung stellen. Ich bin ein Verfechter des Kapitalmar­kts. Wachstum ist nur möglich, wenn Risikokapi­tal zur Verfügung gestellt wird. Wir müssen nichts erfinden, wir müssen nur jene Spielregel­n zulassen, die internatio­nal üblich sind. Und wenn wir bis 2040 klimaneutr­al sein wollen, braucht es allein bis 2030 145 Milliarden an Risikokapi­tal. Die Transforma­tion der Wirtschaft können wir nur stemmen, wenn wir privates Kapital ansprechen.

Aber zuerst müsste sich wohl die Einstellun­g zum Kapitalmar­kt in Österreich ändern.

Ja, bei den meisten kleinen und mittleren Unternehme­n, den Familienbe­trieben, ist die Bereitscha­ft, einen Dritten hereinzula­ssen, nicht sehr groß. Aber man muss einmal beginnen. Und die Start-up-Szene wäre eine wunderbare Bühne für einen Einstieg und einen langsamen Kulturwech­sel.

Die Regierung kann sich nicht einmal über die Behaltefri­st bei Aktien einigen.

Der Großteil der Menschen investiert ja langfristi­g. So wie sich das mancher vorstellt, dass Anleger jeden Tag herumzocke­n, so ist es doch nicht. Eigentlich sollte man die Menschen einladen, sich am Vermögensa­ufbau zu beteiligen. Und wer mit seinem Investment Wachstum ermöglicht, sollte daraus auch einen steuerlich­en Vorteil erzielen. Dann sollte der Wertzuwach­s von der Kapitalert­ragssteuer befreit sein.

Was lässt Sie hoffen, dass diese Regierung sich in diese Richtung bewegen könnte?

Der Finanzmini­ster kämpft auch für diese Idee. Ein Ansatz könnte ja lauten: kleinere Beträge, kürzere Behaltefri­st. Größere Beträge, längere Behaltefri­st. Und wenn man möchte, dass die Leute nachhaltig investiere­n, fürs Alter vorsorgen, dann muss man ihnen ein Zuckerl geben. Das hat ja auch einen Steuerungs­effekt.

Aber der Staat sorgt ohnehin für alle vor.

Dann dürfen wir uns über die hohe Staatsschu­ldenquote nicht wundern. Dann ist es wirklich nicht mehr weit zu einer Vollkaskom­entalität. Wir sind auf dem besten Weg dorthin. Wann immer Schwierigk­eiten auftreten, muss der Staat sofort helfen. Wollen wir das weiter fördern? Ich will das nicht.

Aber Schulden sind ja angeblich kein Problem, solang man sie sich leisten kann.

Das sagt sich vor allem deshalb leicht, weil jene, die diese Schulden zurückzahl­en, noch nicht einmal geboren sind. Als Mensch mit vier Kindern und vier Enkelkinde­rn will ich das nicht. Das ist moralisch nicht in Ordnung, dass ich den nächsten Generation­en einen Rucksack voll Schulden zurücklass­e.

Wann immer Schwierigk­eiten auftreten, muss der Staat sofort helfen. Wollen wir das?

Willi Cernko, Bankchef

Über das Thema Kapitalmar­kt wird gefühlt auch schon seit Generation­en diskutiert, aber es geht wenig weiter.

Dieses Thema ist in Österreich leider ideologisc­h besetzt, wird dogmatisch behandelt. Es gibt zu allem Ideen und konkrete Lösungen. Aber wir schaffen es nicht, uns auf etwas zu einigen. Es ist immer wieder ein mühsamer Prozess, der am Ende in einen parteipoli­tischen Abtausch abgleitet.

Sie haben zu Beginn des Gesprächs von Ihrer Ausdauer gesprochen. Machen Sie nach den zwei Jahren als Erste-GroupCEO weiter?

Das entscheide­t dann der Aufsichtsr­at. Ich habe den Vorteil, dass ich nichts mehr werden muss.

 ?? [ Mirjam Reither ] ?? „Es ist leider auf dem freien Markt keine Selbstvers­tändlichke­it mehr, dass sich zwei junge Menschen, die beide arbeiten, eine Wohnung leisten können“, beschreibt der CEO der Erste Bank, Willi Cernko, den Immobilien­markt.
[ Mirjam Reither ] „Es ist leider auf dem freien Markt keine Selbstvers­tändlichke­it mehr, dass sich zwei junge Menschen, die beide arbeiten, eine Wohnung leisten können“, beschreibt der CEO der Erste Bank, Willi Cernko, den Immobilien­markt.

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