Cernko zu Staatshilfen: „Regierungen müssen punktgenauer werden“
Interview. Erste-Bank-Chef Cernko sorgt sich um die Treffsicherheit der Staatshilfen und wünscht sich mehr Risikokapital im Land.
Die Presse: Sie sind das Paradebeispiel des Aufsteigers. Mit Hak-Matura im zweiten Bildungsweg, ohne Studium haben Sie sich an die Spitze der größten Bank Österreichs hochgearbeitet. Was würden Sie als Ihre größte Stärke bezeichnen?
Willi Cernko: Ich habe relativ früh gelernt, dass ich schneller laufen muss als die anderen. Das hat sich im Lauf der Zeit ein wenig geändert. Auf Neudeutsch würde man sagen: Don’t work harder, work smarter! Ich bin auch ein Unternehmertyp. Ich mag es, zu gestalten. Und ich habe auch Ausdauer. Aufgeben, das gibt’s bei mir nicht.
Würden Sie sich auch eine smartere Politik in diesem Land wünschen?
Es gibt leider viele populistische Entwicklungen. Die beobachtet man aber quer durch Europa. Das hängt damit zusammen, dass es kaum eine politische Konstellation gibt, in der ein oder zwei Parteien längerfristig ein Land weiterentwickeln können.
Politik wird also immer kurzatmiger?
Man kann kaum längerfristige Themen aufgreifen. Das überlegte Herangehen, das Denken in Alternativen, der offene Austausch, um zu einer smarten Lösung zu kommen, hat da oft keinen Platz mehr. Dazu kommt, dass es keine einfachen Lösungen für die anstehenden Probleme gibt.
Für wie smart halten Sie das Veto von Innenminister Karner gegen den SchengenBeitritt von Bulgarien und Rumänien?
Ich hab mich in dieser Frage klar im Namen der Erste Group positioniert. Wir sind in dem Wirtschaftsraum ein relevanter Marktteilnehmer. Wir haben auch im Vorfeld klar adressiert, dass wir das für keine kluge Idee halten. Österreich ist in Rumänien mit mehr als zehn Mrd. Euro der zweitgrößte Investor. Viele österreichische Unternehmen sind dort Marktführer und geben mehr als 100.000 Menschen Arbeit. Auf der anderen Seite sind mehr als 140.000 Menschen aus Rumänien bei uns beschäftigt. Davon arbeiten 26.000 im Pflegedienst. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was es bedeuten würde, wenn die nicht mehr bei uns arbeiten.
Waren Sie überrascht, dass Wirtschaftsund Standortpolitik so wenig Gewicht bei der Entscheidung der Regierung hatten?
Ich formuliere es sehr vorsichtig: Es ist klar, dass diese Zusammenhänge hier viel zu wenig gewürdigt worden sind. Es wird viel zu wenig darauf Bedacht genommen, wie sehr wir Teil dieses zentraleuropäischen Wirtschaftsraums sind. Wie sehr wir davon profitieren. Was wäre Wien, wenn wir nicht diese hohe Relevanz für diesen Raum hätten?
Die Erste Group investiert auch sehr viel Geld in diesen Raum. Sie wollen ja das Tschechien-Geschäft der insolventen Sberbank kaufen. Liegt bereits eine Genehmigung der tschechischen Nationalbank vor?
Wir haben das Okay sowohl von der Nationalbank als auch von der Wettbewerbsbehörde bekommen.
Planen Sie weitere Zukäufe?
Bei uns hat das organische Wachstum Priorität. Unser gesamtes Kreditbuch ist 200 Milliarden Euro schwer. Das Wachstum allein im vergangenen Jahr betrug 20 Milliarden. Wir realisieren also eine gigantische Größenordnung durch organisches Wachstum mit unseren Kunden, die bereit sind zu investieren. Nur zum Vergleich: Das Kreditvolumen des gesamten Bankensektors in Serbien beträgt 26 Mrd. Euro. Natürlich wollen wir auch dort und da Investitionen tätigen.
Aber ist Wachstum nicht eine Notwendigkeit? Schließlich ist die Sperrminorität bei der Ersten weggefallen und die Gefahr gestiegen, dass Sie ein Übernahmekandidat werden.
Nein, das hat damit nichts zu tun. Wir wollen einfach die Möglichkeiten ausschöpfen. Wir wollen eine relevante Rolle in unseren Kernmärkten spielen. Wir wollen überall unter den Top drei sein. Wachstum geht ja nur gemeinsam mit unseren Kunden.
In Tschechien haben Sie eine ImmobilienTochter gegründet. Warum?
Das hat mit unserem Zugang zu leistbarem Wohnen zu tun. Dieses Thema wird meiner Ansicht nach gesellschaftspolitisch viel zu wenig berücksichtigt. Und deshalb wollen wir den gemeinnützigen Wohnbau, den es in Österreich seit Jahrzehnten gibt, in diese Länder transferieren. Wir entwickeln das nun in Tschechien und in der Slowakei schrittweise und hoffen natürlich, dass wir dafür auch andere Marktteilnehmer begeistern können. Es ist leider auf dem freien Markt keine Selbstverständlichkeit mehr, dass sich zwei junge Menschen, die beide arbeiten, eine Wohnung leisten können.
Ist der Markt absurd geworden?
Ja, es ist eine neue, aber nicht ganz unbekannte Zeit. 30 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen in den Filialen haben noch nie einen Zinsanstieg erlebt. Sieben Jahre gab es gar keine Zinsen, und davor ging es mit den Zinsen immer nur runter.
Und dennoch sind die heutigen Zinsen historisch betrachtet noch immer niedrig.
Und wir beginnen schon alle auszuflippen. Vermögende Volkswirtschaften haben ein verbindendes Grundelement: Eigentum. Wer in den Ruhestand geht, erlebt einen massiven Einbruch seines Nettoeinkommens. Wer seinen Lebensstandard dann beibehalten möchte, muss etwas in die
Waagschale werfen. Etwa eine Immobilie. Wir müssen also ein gesellschaftliches Interesse haben, dass der Erwerb von Eigentum möglich ist.
Und doch ist zu befürchten, dass sich viele die Zinsen nicht mehr leisten können.
Natürlich mag es da oder dort enger werden. Aber bitte lassen wir die Kirche im Dorf. Wir haben Vollbeschäftigung. Mein erster Kredit hatte 12,5 Prozent Zinsen. Das war 1979.
Wir haben aber heute große Inflation und Reallohnverluste.
Ich sehe ja das Glas immer halb voll. Ja, es gibt Einflussfaktoren, die definitiv nicht positiv sind. Aber wir haben z. B. Vollbeschäftigung – das sollten wir nicht vergessen. Außerdem haben Regierungen in der Pandemie das System mit Liquidität geflutet. Das ist viel kritisiert worden, aber wir zehren heute noch davon. Wir sehen Unternehmensbilanzen, die noch nie so gut wie jetzt waren. Wir gehen also nicht ausgezehrt in die nächste Herausforderung. Es wurden hohe öffentliche Schulden gemacht, um die Unternehmen und die Haushalte durch diese Krise zu begleiten. Natürlich gibt es immer welche, die sich benachteiligt fühlen.
Wer seinen Lebensstandard dann beibehalten möchte, muss etwas in die Waagschale werfen.
Willi Cernko, CEO der Erste Bank
Und jetzt?
Die Regierungen müssen punktgenauer werden. Man wird kleine Betriebe unterstützen müssen und Haushalte mit niedrigen Einkommen. Möglicherweise ist es der Bundesregierung nicht gelungen klarzumachen, dass heuer im Schnitt für einen einkommensschwachen Haushalt rund 2000 Euro ausgeschüttet worden sind. Und jetzt kommen relativ hohe Lohnabschlüsse. Es wird viel getan, um die Krise abzufedern. Das heißt aber nicht, dass man für stark betroffene Haushalte nicht noch mehr machen kann.
Welchen Beitrag können Banken leisten?
Wir sind mit dem Finanzminister, Sozialminister und Arbeitsminister in Gesprächen. Es geht darum, wie man jenen kleinen Unternehmen und Haushalten punktgenauer helfen kann. Da muss die Hilfe so angelegt sein, dass sie nicht in den Konsum fließt, sondern in die Stromrechnung.
ZUR PERSON
Willi Cernko ist seit 2017 Vorstandsmitglied der Erste Group und steht seit Juli 2022 als Vorstandschef an ihrer Spitze. Somit löste er seinen Vorgänger Bernhard Spalt ab. Der 66-jährige Bankmanager begann seine Karriere 1983 bei der Raiffeisenkasse Obdach-Weißkirchen. 1985 wechselt Cernko zur Creditanstalt in Wien, eine der Vorgängerbanken der heutigen Bank Austria. Der Steirer war seit 2003 Mitglied des Vorstands der fusionierten Bank Austria Creditanstalt und seit 2006 zusätzlich Mitglied des Vorstands der HypoVereinsbank. Den Chefposten der UniCredit Bank Austria übernahm er 2009 von Erich Hampel.
Die 500 Euro vom Klimabonus wurden oft nicht für die Gasrechnung verwendet.
Deshalb gibt es ja nun die klare Zielsetzung, das Geld punktgenau auszuschütten. Bei der Unterstützung der Haushalte könnte auch die Schuldnerberatung eine große Rolle spielen.
Aber faule Kredite bereiten Ihnen keine Sorgen? Sie haben sich ja gegen strengere Vergaberichtlinien ausgesprochen.
Nicht dagegen. In meiner Funktion als Spartenobmann habe ich Vorschläge formuliert, wie man hier nachjustieren sollte. Wir werden heuer etwa so viele Insolvenzen haben wie vor der Covid-Krise. Aber wir gehen natürlich davon aus, dass sich die Energiekosten in Zukunft auf einem höheren Niveau als vor der Krise einpendeln werden. Das führt dazu, dass sich vor allem kleine Unternehmen die Frage stellen müssen, ob ihr Geschäftsmodell überhaupt noch Sinn macht. Ich hoffe, dass man nicht wieder auf staatliche Kredite setzt. Wichtiger wird sein, woher das Eigenkapital kommt, falls man das Geschäftsmodell ändern muss.
Also keine neuen Kredite?
Nein, wir könnten Unternehmen, die sich neu ausrichten, Risikokapital zur Verfügung stellen. Ich bin ein Verfechter des Kapitalmarkts. Wachstum ist nur möglich, wenn Risikokapital zur Verfügung gestellt wird. Wir müssen nichts erfinden, wir müssen nur jene Spielregeln zulassen, die international üblich sind. Und wenn wir bis 2040 klimaneutral sein wollen, braucht es allein bis 2030 145 Milliarden an Risikokapital. Die Transformation der Wirtschaft können wir nur stemmen, wenn wir privates Kapital ansprechen.
Aber zuerst müsste sich wohl die Einstellung zum Kapitalmarkt in Österreich ändern.
Ja, bei den meisten kleinen und mittleren Unternehmen, den Familienbetrieben, ist die Bereitschaft, einen Dritten hereinzulassen, nicht sehr groß. Aber man muss einmal beginnen. Und die Start-up-Szene wäre eine wunderbare Bühne für einen Einstieg und einen langsamen Kulturwechsel.
Die Regierung kann sich nicht einmal über die Behaltefrist bei Aktien einigen.
Der Großteil der Menschen investiert ja langfristig. So wie sich das mancher vorstellt, dass Anleger jeden Tag herumzocken, so ist es doch nicht. Eigentlich sollte man die Menschen einladen, sich am Vermögensaufbau zu beteiligen. Und wer mit seinem Investment Wachstum ermöglicht, sollte daraus auch einen steuerlichen Vorteil erzielen. Dann sollte der Wertzuwachs von der Kapitalertragssteuer befreit sein.
Was lässt Sie hoffen, dass diese Regierung sich in diese Richtung bewegen könnte?
Der Finanzminister kämpft auch für diese Idee. Ein Ansatz könnte ja lauten: kleinere Beträge, kürzere Behaltefrist. Größere Beträge, längere Behaltefrist. Und wenn man möchte, dass die Leute nachhaltig investieren, fürs Alter vorsorgen, dann muss man ihnen ein Zuckerl geben. Das hat ja auch einen Steuerungseffekt.
Aber der Staat sorgt ohnehin für alle vor.
Dann dürfen wir uns über die hohe Staatsschuldenquote nicht wundern. Dann ist es wirklich nicht mehr weit zu einer Vollkaskomentalität. Wir sind auf dem besten Weg dorthin. Wann immer Schwierigkeiten auftreten, muss der Staat sofort helfen. Wollen wir das weiter fördern? Ich will das nicht.
Aber Schulden sind ja angeblich kein Problem, solang man sie sich leisten kann.
Das sagt sich vor allem deshalb leicht, weil jene, die diese Schulden zurückzahlen, noch nicht einmal geboren sind. Als Mensch mit vier Kindern und vier Enkelkindern will ich das nicht. Das ist moralisch nicht in Ordnung, dass ich den nächsten Generationen einen Rucksack voll Schulden zurücklasse.
Wann immer Schwierigkeiten auftreten, muss der Staat sofort helfen. Wollen wir das?
Willi Cernko, Bankchef
Über das Thema Kapitalmarkt wird gefühlt auch schon seit Generationen diskutiert, aber es geht wenig weiter.
Dieses Thema ist in Österreich leider ideologisch besetzt, wird dogmatisch behandelt. Es gibt zu allem Ideen und konkrete Lösungen. Aber wir schaffen es nicht, uns auf etwas zu einigen. Es ist immer wieder ein mühsamer Prozess, der am Ende in einen parteipolitischen Abtausch abgleitet.
Sie haben zu Beginn des Gesprächs von Ihrer Ausdauer gesprochen. Machen Sie nach den zwei Jahren als Erste-GroupCEO weiter?
Das entscheidet dann der Aufsichtsrat. Ich habe den Vorteil, dass ich nichts mehr werden muss.