Der größte Stolz des Hirten ist das Weiden seiner Schafe
Biblisch. Seit es Dichter gibt, wird das Lob des Landlebens gesungen. Doch nicht alle, die sich vor der Krippe drängen, erleben eine Idylle.
Von den zahlreichen Neigungsgruppen im Gegengift ist eine allseits beliebt: Das „Aktionskomitee Krippenspiel“bestimmt, wer welche Rolle am Weihnachtsabend übernehmen darf. Die Karrieristen – sie sind aus jenem Holz, aus dem man Chefredakteure schnitzt – fordern mit Nachdruck, dass sie exklusiv Maria und Josef sind. Die Abenteurer – oft aus dem Lager der Korrespondenten – sehen sich naturgemäß als reiselustige Magier. Für die meisten aber reicht es nur zum Schaf, in Weiß oder verpöntem Schwarz.
GEGEN GIFT
Das Jesus-Baby wollte noch keiner spielen. Auch beim Hirtenamt gibt es wenig Andrang.
Bedauerlich! Dieser naturverbundene Beruf birgt enorme Möglichkeiten. Vielleicht förderte auch die frühkindliche Prägung zwischen Ochs und Esel im Umland Bethlehems, dass Jesus zum guten Hirten wurde, der wohlgefällig auf seine Herde schaut. In dieser Metapher steckt nicht nur Christliches, sondern die allgemeine Sehnsucht nach paradiesischen Zuständen, nach einem unschuldigen Leben in unverbrauchter Natur.
Vor allem Städter im antiken Griechenland und Rom gierten nach Bukolik. Menschen vom Land sei gesagt: Vergil ist in den Eklogen weit weniger anstrengend als in den imperialistischen Irrfahrten des Aeneas. „Omnia vincit amor“: Lassen wir uns besiegen, nicht nur zur Weihnachtszeit! Frische Luft und freie Liebe in Arkadien, weit weg vom Smog in Athen oder
Ostia: Das ist der Stoff, aus dem die sinnlichsten Lieder sind. Er erlebt immer wieder Renaissancen. Ohne die Verheißung erdiger Pastoralen hätte es wahrscheinlich nicht einmal die Oper zur Hochkultur geschafft.
Der Alltag des Hütens ist jedoch kaum so lieblich, wie es Dichter besingen. Eher biblisch. Abel war Hirte, er wurde von einem Ackerbauern ermordet. Abraham musste mit seinen Familien und seinen Herden durch die Lande ziehen, um nicht zu sagen: flüchten. Ähnlich erging es seinen Nachkommen Isaak und Jakob sowie Moses aus Ägypten. Dass die Schützer der Nutztiere dann und wann mit Wölfen konfrontiert werden, zeigt sich auch am wehrhaften David. Er erfand nicht nur das Zitherspiel: Stets hatte er eine Steinschleuder und ein Allzweckmesser bei sich. Damit besiegte er den Philister Goliath und avancierte schließlich zum König. Vielleicht hat sich der Prophet Sacharja später auf ihn bezogen, als er zynisch gesagt hat: „Schlag den Hirten, dann werden sich die Schafe zerstreuen.“
So viel Toxisches wollen wir vor der Stillen Nacht verdrängen. Zitieren wir lieber Shakespeare, der in manchen Werken realistisch die harte Arbeit der Schäfer würdigte. In „As You Like It“zum Beispiel wird der arrogante Hofnarr von Corinnus belehrt: „Herr, ich bin ein ehrlicher Tagelöhner; verdiene, was ich esse, erwerbe, was ich trage, hasse keinen Menschen, beneide niemandes Glück, freue mich über anderer Leute Wohlergehen, bin zufrieden mit meinem Ungemach.“Sein größter Stolz sei es, seine Schafe weiden, seine Lämmer saugen zu sehen. Solche Bescheidenheit passt zur leisesten aller Geburten.