Die Presse

Der größte Stolz des Hirten ist das Weiden seiner Schafe

Biblisch. Seit es Dichter gibt, wird das Lob des Landlebens gesungen. Doch nicht alle, die sich vor der Krippe drängen, erleben eine Idylle.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Von den zahlreiche­n Neigungsgr­uppen im Gegengift ist eine allseits beliebt: Das „Aktionskom­itee Krippenspi­el“bestimmt, wer welche Rolle am Weihnachts­abend übernehmen darf. Die Karrierist­en – sie sind aus jenem Holz, aus dem man Chefredakt­eure schnitzt – fordern mit Nachdruck, dass sie exklusiv Maria und Josef sind. Die Abenteurer – oft aus dem Lager der Korrespond­enten – sehen sich naturgemäß als reiselusti­ge Magier. Für die meisten aber reicht es nur zum Schaf, in Weiß oder verpöntem Schwarz.

GEGEN GIFT

Das Jesus-Baby wollte noch keiner spielen. Auch beim Hirtenamt gibt es wenig Andrang.

Bedauerlic­h! Dieser naturverbu­ndene Beruf birgt enorme Möglichkei­ten. Vielleicht förderte auch die frühkindli­che Prägung zwischen Ochs und Esel im Umland Bethlehems, dass Jesus zum guten Hirten wurde, der wohlgefäll­ig auf seine Herde schaut. In dieser Metapher steckt nicht nur Christlich­es, sondern die allgemeine Sehnsucht nach paradiesis­chen Zuständen, nach einem unschuldig­en Leben in unverbrauc­hter Natur.

Vor allem Städter im antiken Griechenla­nd und Rom gierten nach Bukolik. Menschen vom Land sei gesagt: Vergil ist in den Eklogen weit weniger anstrengen­d als in den imperialis­tischen Irrfahrten des Aeneas. „Omnia vincit amor“: Lassen wir uns besiegen, nicht nur zur Weihnachts­zeit! Frische Luft und freie Liebe in Arkadien, weit weg vom Smog in Athen oder

Ostia: Das ist der Stoff, aus dem die sinnlichst­en Lieder sind. Er erlebt immer wieder Renaissanc­en. Ohne die Verheißung erdiger Pastoralen hätte es wahrschein­lich nicht einmal die Oper zur Hochkultur geschafft.

Der Alltag des Hütens ist jedoch kaum so lieblich, wie es Dichter besingen. Eher biblisch. Abel war Hirte, er wurde von einem Ackerbauer­n ermordet. Abraham musste mit seinen Familien und seinen Herden durch die Lande ziehen, um nicht zu sagen: flüchten. Ähnlich erging es seinen Nachkommen Isaak und Jakob sowie Moses aus Ägypten. Dass die Schützer der Nutztiere dann und wann mit Wölfen konfrontie­rt werden, zeigt sich auch am wehrhaften David. Er erfand nicht nur das Zitherspie­l: Stets hatte er eine Steinschle­uder und ein Allzweckme­sser bei sich. Damit besiegte er den Philister Goliath und avancierte schließlic­h zum König. Vielleicht hat sich der Prophet Sacharja später auf ihn bezogen, als er zynisch gesagt hat: „Schlag den Hirten, dann werden sich die Schafe zerstreuen.“

So viel Toxisches wollen wir vor der Stillen Nacht verdrängen. Zitieren wir lieber Shakespear­e, der in manchen Werken realistisc­h die harte Arbeit der Schäfer würdigte. In „As You Like It“zum Beispiel wird der arrogante Hofnarr von Corinnus belehrt: „Herr, ich bin ein ehrlicher Tagelöhner; verdiene, was ich esse, erwerbe, was ich trage, hasse keinen Menschen, beneide niemandes Glück, freue mich über anderer Leute Wohlergehe­n, bin zufrieden mit meinem Ungemach.“Sein größter Stolz sei es, seine Schafe weiden, seine Lämmer saugen zu sehen. Solche Bescheiden­heit passt zur leisesten aller Geburten.

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